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Frauen, Kultur

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Eigentlich wünsche ich sie dorthin wo der Pfeffer wächst, die nette junge Stimme am Telefon. Im ersten Moment zumindest. Ich sollte Text lernen. Wir möchten, daß Sie bei uns lesen, ich spreche für das Frauenreferat der Österreichischen Hochschülerschaft - aha, denke ich, jetzt werde ich die nette Stimme gleich wieder aufklären müssen, daß sie mit der falschen verbunden ist, irgendeine Abteilung der österreichischen Hochschülerschaft besitzt eine längere Tradition darin, Elfriede mit Elisabeth und Ott mit Orth zu verwechseln.

Die nette Stimme scheint aber zu wissen, was sie will, es laufen Frauenkulturwochen vom 5. bis zum 28. Oktober in Wien - aha zum zweiten Mal, ich hab' was darüber gelesen oder gehört oder wieder einmal überlesen oder überhört -es handelt sich um Marina Zwetajewa, die russische Lyrikerin, deren Werk gerade eine Renaissance erlebt, in Rußland natürlich, wir wollen sie in Wien vorstellen.

Verflixt, denke ich, da klingelt mir doch ein fernes, kleines Lyrik-Glöckchen irgendwo im Gedächtnis, fiel der Name nicht in Moskau, als wir mit dem Burgtheater dort waren, das Glöckchen läutet aber ziemlich verschüttet, hoffentlich sagt die nette Stimme nicht gleich: sie ist Ihnen doch ein Begriff...? Ich weiß nicht einmal, ob Marina Zwetajewa eine tote oder eine lebende Dichterin ist.

Ich schlage vor, sagt die nette Stimme zu meiner Erleichterung, wir treffen uns im Kaffeehaus, lernen Sie die Übersetzerin kennen, wir besprechen dann die Auswahl, werden Sie Zeit haben? Ich habe, wie mir der Spielplan versichert.

Das Treffen im'Kaffeehaus ist ein Reinfall, drei Frauen sitzen über eine Stunde im selben Etablissement und versäumen einander. Frauenkulturwochen kommen eben anders zustande als gewöhnliche Kulturwochen.

Ein Paket Bücher kommt also ins Haus, Biographisches, Prosa und Lyrik. Und Briefe! Mein Gott, konnte die Zwetajewa Briefe schreiben! Wer entfacht eine Renaissance der Kultur des Briefeschreibens...

Drei Nächte habe ich Zeit. Beginne zu lesen, sehe einer Unbekannten ins Gesicht, auf verblaßten Fotografien aus Moskau, Paris, Prag. 1941 hat sie sich umgebracht, 1892 wurde sie in Moskau geboren. Emigrantin fast ihr halbes Leben lang. Rilkes Elegien an sie. Pasternaks Briefe. Warum kann ich nicht Russisch... das ewig Unbefriedigende aller Übersetzungen. Man weiß, daß junge Menschen in Rußland ihre Lyrik auswendig rezitieren, nicht erst seit Glasnost.

Aus der Unbekannten wird langsam eine entfernte Bekannte. Tastend versuche ich, ihr eine Sprache zu geben. Ich habe nur meine.

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