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Frauen leiden mit Jesus

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Eigentlich mag ich Kreuzwege nicht, diese frommen Übungen, in denen mit minuziöser Genauigkeit das Leiden, die Folter eines unschuldigen Menschen betrachtet wird. Jemand, der mir sehr nahesteht, wird umgebracht. Macht es meine Liebe zu ihm größer, wenn ich mir immer wieder die einzelnen Stadien der Tortur vorstelle? Wird mir dadurch erst seine Erlösungstat so richtig bewußt? Gilt das Schema: je größer das Leid, desto vollkommener die Erlösung?

Mein Glaube nährt sich aus der Erfahrung, daß Jesus lebt, daß er den Tod überwunden hat, aufer-

standen ist, lebendig unter uns ist. Wozu also muß ich mir sein grausames Sterben immer wieder andächtig vor Augen halten?

Wenn ich nun doch den Blick auf jene entsetzliche Situation dort am Stadtrand von Jerusalem vor zweitausend Jahren richte, so liegt das an den Frauen. Die Beschäftigung mit den biblischen Frauengestalten hat mich diesen fernen Schwestern solidarisch gemacht. Und nun stehen sie unter dem Kreuz.

Was für Frauen sind das? „Viele“, sagt Matthäus, „einige“, sagt Markus, und „noch viele andere Frauen“, „auch die Frauen“ unter allen seinen Bekannten, sagt Lukas. Alle drei aber beschreiben sie als jene, die Jesus schon seit Galiläa nachgefolgt sind, Frauen also, die ihre bisherige Lebensform aufgegeben haben, Maria von Magdala immer namentlich genannt, manche Mütter von er wachsenen Söhnen. Frauen, die ausgebrochen sind aus ihrer bisherigen Lebenstradition und ein Wanderleben geführt haben in der Gefolgschaft eines Mannes, der ihnen Hoffnung auf ein ganz anderes Leben gemacht hat.

Nun wird dieser Mann umgebracht, langsam, brutal, als Verbrecher. Sie sehen seine Schmerzen, sehen, wie seine Kraft, die sie so stark gemacht hat, verlöscht. Jahrelanger täglicher Kontakt ist plötzlich zu Ende. Die Botschaft vom „nahen“ Reich Gottes verflüchtigt sich in unerreichbare Ferne. Grauer, sogar schwarzer Alltag ohne Faszination, ohne Sinn, ohne Hoffnung zeichnet sich ab.

Stundenlang beobachten sie das qualvolle Sterben. Das ist nicht auszuhalten, unerträglich, wenn nicht Liebe und Treue die menschlichen Grenzen sprengen. „Stark wie der Tod ist die Liebe.“ Daß diese Frauen so stark sind im Angesicht des Todes, löst Verwunderung und Bewunderung in mir aus. Aus dieser inneren Kraft kommt auch der Mut, sich nach außen zu widersetzen. Wir wissen seit Tacitus, daß die Römer durchaus auch Angehörige und Sympathisanten von Staatsfeinden umbrachten, auch Frauen und Kinder. Es war schon verboten, Trauer zu zeigen. Wachen sorgten dafür, daß niemand zu nahe kam.

Doch eigene Lebensgefahr scheint den Frauen nebensächlich geworden zu sein in einer Situation, wo mit dem Leben Jesu so viel vom eigenen Leben aufhört.

Es tröstet mich, daß sie nicht allein sind. Die Gruppe hält sie, stärkt. Verbunden durch jahrelanges gemeinsames Leben, vor bereitet durch viele Extrem-Erfahrungen auf diese härteste, stützen sie sich gegenseitig, geben sie sich Halt. Gemeinsam können sie bleiben, das Grausige aushal- ten.

Jesus hängt sterbend am Kreuz.

Die Frauen leiden mit ihm. Machtlos.

Plötzlich füllt sich die Szene. Ich sehe Millionen von „Frauen unter dem Kreuz“, solche, die Jesus kennen, und solche, die nichts von ihm wissen; Frauen aus allen Jahrhunderten, aus allen Gegenden der Erde, aus allen Religionen; brennende Frauen, verstümmelte, mißhandelte, vergewaltigte; klagende, erschöpfte, verzweifelte Frauen, kleine Mädchen und runzelige Alte; Frauen, deren Leben bedroht ist, und solche, denen man allen Lebenssinn und Lebensmut genommen hat.

Nicht alle haben eine Gemeinschaft, die sie stärkt und hält, nicht alle erleben Treue und Liebe, die sie das Grausige aushalten läßt.

Viele zerbrechen unter dem Kreuz.

Und Jesus leidet mit ihnen. Machtlos.

Ich sehe allerdings auch Frauen, die in all ihrem Schmerz erleben, daß ihre Liebe stark wird wie der Tod. Ihre Liebe zu Jesus und die geheimnisvolle Erfahrung, mittragen zu können an seinem Leid, läßt sie das „Kreuz auf sich nehmen“. Die Liebe zu ihren Angehörigen läßt sie widerständig werden gegen Krieg, Terror und Diktatur. Ihre Liebe zu hilflos Leidenden bringt sie dazu, ein entbehrungsreiches, unbequemes, armseliges Leben zu führen, eigene Bedürfnisse aufzugeben.

Und schließlich: ihre Liebe zur Kirche als dem Leib Christi stützt sie, wenn sie trauern darüber, wie die Botschaft Jesu vom menschenfreundlichen, liebenden Gott verkürzt und eingeengt wird — oder gar nicht gehört wird. Stark muß die Liebe sein, die sie aushalten läßt, daß gerade die Kirche, die Gemeinschaft, der sie durch jahrelanges gemeinsames Leben, durch viele gemeinsame Erfahrungen verbunden sind, von der sie sich Stütze und Halt erwarten, sie immer wieder den Schmerz der Zurückweisung erfahren läßt.

Die Frauen leiden mit Jesus.

Jesus leidet mit den Frauen.

Machtlos?

Die Autorin lehrt Religionspädagogik an der Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck.

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