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Frauenrechte - nur auf Papier

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Als die Frau des ägyptischen Präsidenten Sadat, Jihan el Sadat, die Rednertribüne betrat, erhoben sich die Delegationen der meisten arabischen und osteuropäischen Länder und verließen Palästina, Palästina” schreiend den Saal. So geschehen bei der zweiten Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationen in Kopenhagen, die noch bis etwa 30. Juli andauern wird und unter dem Motto,,Gleichheit, Entwicklung und Frieden” steht. Wie dieser Eklat gezeigt hat, sind die Warnungen vor einer Politisierung der Konferenz scheinbar ungehört verhallt. Und das in einer Zeit, in der sich die Lage der Frau, international gesehen, ständig verschlechtert: gerade auch in jenen Ländern, deren Delegierte die Konferenz in Kopenhagen in eine politische Propaganda- Veranstaltung umfunktionieren wollen, nämlich in der Sowjetunion und in der arabischen Welt im allgemeinen. Dazu zwei Beiträge:

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Als die Frau des ägyptischen Präsidenten Sadat, Jihan el Sadat, die Rednertribüne betrat, erhoben sich die Delegationen der meisten arabischen und osteuropäischen Länder und verließen Palästina, Palästina” schreiend den Saal. So geschehen bei der zweiten Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationen in Kopenhagen, die noch bis etwa 30. Juli andauern wird und unter dem Motto,,Gleichheit, Entwicklung und Frieden” steht. Wie dieser Eklat gezeigt hat, sind die Warnungen vor einer Politisierung der Konferenz scheinbar ungehört verhallt. Und das in einer Zeit, in der sich die Lage der Frau, international gesehen, ständig verschlechtert: gerade auch in jenen Ländern, deren Delegierte die Konferenz in Kopenhagen in eine politische Propaganda- Veranstaltung umfunktionieren wollen, nämlich in der Sowjetunion und in der arabischen Welt im allgemeinen. Dazu zwei Beiträge:

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In der demokratischen Bewegung der Sowjetunion, die im Kampf gegen die tägliche Unterdrückung viele Strömungen -von mystisch-religiös bis neomarxistisch - in sich vereinigt, haben Frauen von Anfang an eine große Rolle gespielt. Seit einem Jahr bilden die russischen Feministinnen eine eigene Gruppe innerhalb dieser demokratischen Bewegung.

Eine dieser engagierten russischen Feministinnen ist Julja Wosnesenskaja, Mitherausgeberin des ersten Frauenal-manachs „Frauen in Rußland” (erschienen im Oktober 1979) und Mitbegründerin des feministischen „Club Maria”, die am 11. Mai dieses Jahres mit ihren beiden Söhnen - 15 und 19 Jahre alt - in den Westen abgeschoben wurde. Ihr Mann blieb zur Betreuung seiner schwerkranken Mutter in Leningrad. Die heute in Wien lebende 40jäh-rige Schriftstellerin und Journalistin bezeichnet sich selbst als „Feministin im Sinne des Evangeliums”.

Wie in der demokratischen Bewegung vereinigen auch die russischen Feministinnen Frauen verschiedener weltanschaulicher und religiöser Strömungen, wenn auch - wie Julja Wosnesenskaja sagt - die Zahl der religiösen Frauen weitaus am größten ist; sie stehen dem Marxismus als Theorie nicht unbedingt feindlich, aber doch ablehnend gegenüber.

Bis zur Revolution des Jahres 1917 konnte die russische Frau nur im religiösen Bereich schöpferisch sein, durfte sie nur im Rahmen der kirchlichen Wohlfahrt öffentlich tätig werden. Da die Verbesserung der Stellung der Frau nach 1917 sehr rasch dem Stalinismus zum Opfer fiel, sehen viele russische Frauen neben der Mutterschaft nach wie vor in der Religion die einzige Möglichkeit zur Selbstverwirklichung.

In der Sowjetunion, wo Religion verpönt, diskriminiert und verfolgt wird, hat sich auch aufgrund der fehlenden allgemeinen Lehre eine fast kämpferische, in jedem Fall aber oppositionelle Form von Religion entwickelt. Deshalb bedeutet „Christianisierung des Feminismus”, wie sie der „Club Maria” fordert, auch etwas anderes als beispielsweise in der Katholischen Frauenbewegung, klingen manche Forderungen nicht weniger radikal als die der Frauenbewegung im Westen.

Dafür ausschlaggebend ist, daß die konkrete Situation der russischen Frau noch um vieles schlechter ist als die der Männer.

In vielen kleinen Städten der Sowjetunion gibt es eine - mehr oder minder versteckte - weibliche Arbeitslosigkeit. Daß diese nicht auf die Männer übergreift, dafür sorgen die Gesetze, die eine Wahlmöglichkeit zwischen Beruf und Haushalt beziehungsweise Kindererziehung ausschließt.

Dieses Gesetz kann bei Bedarf auch unverheiratete Frauen treffen; verheiratete Mütter dürfen zu Hause bleiben und auf Kosten des Ehemannes leben.

Aus der Nahrungsmittelknappheit in der Sowjetunion folgt eine Dreifachbelastung der Frau: neben Beruf und Haushalt bzw. Kindererziehung ist sie es, die sich stundenlang um Brot, Milch oder Fleisch anstellen muß. Denn wie im Westen finden es auch viele Männer in der Sowjetunion unter ihrer Würde, sich um Haushalt und Kinder zu kümmern. Aus dieser Realität resultieren einseitige Forderungen für Frauen, die die Gefahr in sich bergen, die bestehende Rollenverteilung zu verstärken und damit der Gleichberechtigung zuwiderzulaufen.

Gleichen Lohn für gleiche Arbeit gibt es in der Sowjetunion wie in vielen westlichen Ländern nur auf dem Papier. In der Praxis sind die gutbezahlten Stellen von Männern besetzt, gibt es „typisch weibliche” Berufe, die als solche sehr schlecht bezahlt sind. Allgemein haben sich die Bildungsmöglichkeiten auch für die Frauen verbessert, aber nicht in allen Bereichen. So gilt für Mädchen in der Sowjetunion noch immer die Regel: Medizin, Pädagogik oder Standesamt.

Es ist zwar selbstverständlich, daß Frauen zu Schwerstarbeiten auf dem Bau oder an Werkbänken herangezogen werden - Vorarbeiter, Meister und Direktoren sind jedoch die Männer, die in diesen Positionen nicht nur besser bezahlt werden, sondern auch die leichtere Arbeit leisten.

Muß ein Mann einen „typisch weiblichen” Arbeitsplatz übernehmen, so erhält er von vornherein eine erheblich bessere Bezahlung. Kein Wunder, daß auch die russischen Feministinnen in ihrem Almanach „Frauen in Rußland” eine Forderung erheben, die erst kürzlich in Österreich so viel Staub aufgewirbelt hat: Um die Gleichberechtigung der Frau zu verwirklichen, müsse die Gesellschaft ihr mehr zahlen als dem Mann und nicht weniger.

Mit ihrer Forderung, der Frau für jedes Kind fünf Jahre anzurechnen, berufen sie sich keineswegs auf eine Frauenrechtlerin der Gegenwart, sondern auf Maxim Gorki, der diesen Vorschlag schon vor vielen Jahrzehnten gemacht hat. Im öffentlichen Leben der Sowjetunion haben Frauen so gut wie keine Chance.

Julja Wosnesenskaja will sich auch im Westen weiter für die Gleichberechtigung der Frau in der Sowjetunion einsetzen. Mit Hilfe der westlichen Frauenbewegung glaubt sie, den Kampf der russischen Feministinnen unterstützen zu können. Dabei hofft sie vor allem auf Kontakte mit katholischen Frauen.

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