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Frei in der Fremde

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Hier wird untersucht, wie Dissidenten aus Osteuropa, die in Österreich eine neue Heimat gefunden haben, bei uns leben. Wirtschaftlich geht es ihnen gut, die geistige und seelische Integration ist schwierig.

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Hier wird untersucht, wie Dissidenten aus Osteuropa, die in Österreich eine neue Heimat gefunden haben, bei uns leben. Wirtschaftlich geht es ihnen gut, die geistige und seelische Integration ist schwierig.

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Vor wenigen Wochen jährte sich die Unterzeichnung der UN-Menschenrechtsdeklaration zum dreißigsten Mal. Im Ostblock traten politisch Verfolgte in den Hungerstreik, in Westberlin wurde dem ostdeutschen

Regimekritiker Rudolf Bahro in Abwesenheit von der Internationalen Liga für Menschenrechte eine Medaille verliehen, in Österreich strahlte das Fernsehen die Dokumentation von Amnesty International „Sie ersticken an unserem Schweigen“ aus, und einer der Wortführer der Charta 77, Pavel Kohout, nahm zwei Tage später in Wien den österreichischen Staatspreis für europäische Literatur entgegen.

Ladislav Mnacko hat sein Heimatland CSSR schon 1968 als Emigrant verlassen. Nach kurzem Italienaufenthalt siedelte er sich mit seiner Famüie in Wien und später im Burgenland an. Seither lebt er zurückge-

Mnaöko spricht vom „persönlichen Bankrott“ seines Lebens

zogen als Schriftsteller und Drehbuchautor in selbstgewählter Ruhe und Einsamkeit: „Zwei Drittel meines Lebens habe ich einer Idee gewidmet, die sich nicht bewährt hat“ Mnacko spricht vom „persönlichen Bankrott“ seines Lebens.

Hineingeboren in die Zwischenkriegszeit und geprägt vom Elend der Arbeiterschicht, erhoffte er sich vom Kommunismus die Erlösung von allem ÜbeL In der Stalin-Ära jedoch wurde ihm als einem der ersten bewußt, daß dieses System in einer Sackgasse von Angst und Gewalt enden müsse. Vor die Wahl gestellt, in materieller oder persönlicher, politischer Unsicherheit zu leben - „man weiß nie, wie das persönliche Verhalten von der Behörde interpretiert wird; es herrscht die totale Willkür der Interpretation“ - entschied sich Mfiacko für das erstere.

Und so entschieden Tausende andere vor und nach ihm. Viele von den politisch Verfolgten aus dem Ostblock haben sich in Österreich niedergelassen. Seit der Unterzeichnung der Charta 77 kamen allein aus der CSSR rund 70 Dissidenten in unser Land. Allgemeines Lob wird den österreichischen Behörden ausgestellt. Asyl werde ohne bürokratische Komplikationen gewährt; ähnlich verhalte es sich bei der Erteilung der österreichischen Staatsbürgerschaft. Damit allerdings sind in vielen Fällen die Grenzen der Hilfsbereitschaft auch schon erreicht. Das Leistungsprinzip - in milder österreichischer Spielart - zeige die jedem Ding eigene zweite Seite: Der einzelne Emigrant ist sich selbst überlassen, er muß allein sehen, wie er zurechtkommt, wie er Leistung erbringt.

Für die Menschen aus Ostblockländern führt dieser Umstand zu besonderen Härten. Durch die plan-wirtschaftliche Absicherung ihrer Minimalexistenz geprägt, haben sie kaum die Verhaltensweisen einer

von Markt und Konkurrenz bestimmten Gesellschaft erlernt So empfinden sie die psychische Spannung der Wettbewerbssituation oft als Belastung.

Der russische Emigrant Leo Kwa-cewsky, seit vier Jahren mit seiner Familie in Wien, etwa meint: „Ich arbeite so viel, ich habe nicht einmal Zeit für Heimweh.“ Im Westen werde weit mehr Leistung gefordert, „drüben“ könne man auch bei geringerem beruflichen Einsatz halbwegs durchkommen. Seine Frau, wie Kwa-cewsky selbst mit abgeschlossenem Chemiestudium graduiert, leidet dagegen unter Heimweh. Trotz beruflicher Bestätigung - das Ehepaar übt in den Labors des Wiener Allgemeinen Krankenhauses eine qualifizierte Tätigkeit aus.

Mit Wiener Familien besteht wenig Kontakt, zu Hause spricht man Russisch, um dem sechsjährigen Zwillingspaar die Muttersprache der Eltern zu erhalten. Leo Kwacewsky, 1939 in einem sibirischen Städtchen als Sohn verbannter Eltern geboren, setzt deren Kampf gegen politische Willkür und für geistige Freiheit fort So durchlebt er als Dissident alle Phasen politischer Verfolgung und hat zuletzt nur noch die Wahl zwischen Entzug der sozialen Existenzbasis und Verlust der Heimat. Mit der „freiwilligen“ Auswanderung beginnt sein „drittes und letztes Leben“. Und auf die Frage nach weiterer Umsetzung seiner politischen Erkenntnisse: „Mit der Emigration ist alles zu Ende.“

All dies kommt etwas resigniert, manchmal sogar enttäuscht - wie bei vielen Dissidenten. Nach anfänglicher Beachtung seitens der Medien breitet sich über sie die zwischenmenschliche Gleichgültigkeit des Westens. Aufgewachsen in einer Leidensgemeinschaft, in der Gewalt und

„... kaum die Verhaltensweisen einer von Markt und Konkurrenz bestimmten Gesellschaft erlernt“

Angst durch tiefe menschliche Beziehungen erträglicher werden, empfinden sie das für den Westen typische Nebeneinanderleben, die vorherrschende Achtlosigkeit, in erhöhtem Maße deprimierend. Ersticken sie an unserer Lethargie?

Wohl interessiert sich die Öffentlichkeit für Schriftsteller wie Vilem Hejl, Ladislav Mnacko oder Dezsö Monoszloy, um nur einige zu nennen; ihre Bücher werden von österreichi-

schen und deutschen Verlagen präsentiert, sie publizieren in österreichischen Zeitungen und arbeiten für das Fernsehen. Sie leben nach eigenem Urteil nicht schlecht in Österreich.

Dezsö Monoszloy, seit 1969 in Österreich, gebürtiger Ungar aus der CSSR und österreichischer Staatsbürger, während des Prager Frühlings Sekretär des tschechischen Schriftstellerverbandes, ist Mitglied des PEN-Clubs und lebt in bestem Kontakt mit seinen österreichischen Freunden. Er habe keine wie immer gearteten Integrationsschwierigkeiten. Monoszloy führt die vergleichsweise geringere Beachtung vieler Schriftsteller im besonderen auf den für den Westen charakteristischen Starkult zurück. Die „Hochkultur“ werde mit ihren Interpreten unverhältnismäßig stark bewertet; die Volkskunst komme im Osten viel mehr zum Tragen.

Auch angesichts des politischen Druckes würden dort Menschen zum Nachdenken, zum Lesen, zur Auseinandersetzung mit menschlichen Werten gezwungen, anders als im „goldenen Westen“. Literatur sei hier nicht hoch angeschrieben, Gedichte, Hörspiele und Publikationen seien schlecht bezahlt: „Im Osten kann man als Schriftsteller gut leben, in Osterreich ist der Literat ein unbekanntes Wesen.“

Im Ostblock kommt jedoch nur der linientreue Schriftsteller in den Genuß höheren Lebensstandards. Beachtung finden sie alle - der Oppositionelle allerdings durch Verfolgung, Verfemung, Ausbürgerung.

Jeder in Österreich lebende Dissident hat sein ureigenstes Schicksal. Eines aber verbindet sie alle: Sie haben die geistige, die künstlerische, die wissenschaftliche Freiheit gewählt; sie zogen Heimatlosigkeit und Unsicherheit der Existenz jener fragwürdigen Anpassung vor, die ein Aufgeben ihrer geistigen Existenz bedeutet hätte.

Die georgische Pianistin Elisabeth Leonskaja, seit 28. November des Vorjahres in Wien, sucht im Westen künstlerische Freiheit Sie sei nie-

mals politisch tätig gewesen und habe auch keine politischen Motive: „Ich bin keine Dissidentin.“ Wer aber ist Dissident, wer ist Flüchtling? Wer ein Emigrant?

Darüber gehen die Meinungen stark auseinander. Im Englischen bedeutet „dissident“ so viel wie „andersdenkend“. Viele engen diesen Begriff auf politisch aktives Verhalten ein, verstehen darunter das endgültige Verlassen der Heimat aus Gründen der Unfreiheit - einen demonstrativen Akt, den die meisten Dissidenten bewußt vollziehen.

Elisabeth Leonskaja hat Wien als Musikstadt, als Stadt der Komponisten, zu ihrem Aufenthalt gewählt. Sie wurde von Österreichs Künstlern freundlichst aufgenommen, jegliche Hilfe wird ihr zuteil und sie ist mit

Konzertterminen bis Sommer 1979 international ausgebucht. „Ich bin meinem Lande dankbar für die erstklassige Ausbildung“, sagt sie.„Es gibt dort wunderbare Menschen.“

Sie will einer einseitigen Beurteilung ihrer Heimat zuvorkommen: „Ich lebe in der Hoffnung, eines Tages meine Heimat als Künstler wiederzusehen. Ich brauche diese Hoffnung, ohne sie könnte ich nicht leben, nicht Klavier spielen.“

Solche Hoffnung hegt auch Vilem Hejl; auch er würde zurückkehren, „aber nur dann, wenn wir alle gehen können“. Wenn sich die Lage entspannt, wenn sich die Grenzen für jedermann öffnen - „entweder ordnet sich alles in diesem Sinne oder die Menschheit wird einem Nuklear-kriegnichtentgehen.“DerCSSR-Dis-sident Hejl war Pressesekretär des Club K 231 unter Alexander Dubcek und Mitglied einer Organisation zur Verteidigung der Menschenrechte. Auch er war politischer Häftling und ist Unterzeichner der Charta 77. Seit August 1978 lebt er mit seiner Frau -sie ist Fachärztin für innere Medizin -in Wien.

Als kritischem Beobachter des westlich-demokratischen Systems erscheint ihm der Westen im permanenten Vergleich mit dem Ostblock als ein „im Grunde gesundes System, fähig der Entwicklung: die Seele des Menschen wird nicht ignoriert“.

Selbst Ladislav Mnacko - ehemals Mitglied er KPC - gibt unserer Gesellschaft die Chance einer Entwicklung zu Gerechtigkeit und Gewaltlo-sigkeit: „Die westlichen Demokratien haben in der sozialen Frage Riesenschritte getan.“ In der intellektuellen Bildung der Völker sieht auch Mnacko einen Hoffnungsstrahl.

Die Dissidentenszene Österreichs erscheint komplex und fragmentarisch zugleich. Aus aller Herren Länder strömen politische Flüchtlinge in unser Land. In den Deutschkursen der Wiener Universität sitzen Chilenen und Russen, Vietnamesen und CSSR-Emigranten nebeneinander. Bilden sie eine intellektuelle Subkultur? Es sieht nicht so aus. Wohl gibt es gelegentlich nationale Gruppierungen, aber im Großen und Ganzen le-

ben sie ihr Einzelleben, suchen wenig Kontakt mit ihren Landsleuten. Die Integration in die österreichische Bevölkerung gelingt aber auch nur teilweise.

Sie alle stehen vor der Entscheidung, ihr Leben lang Emigrant zu bleiben oder sich zu assimilieren. Unsere tradierten Vorurteile erschweren diesen Prozeß. Ein promi-

„Tiefes Wissen um eine Ohnmacht, die vereinsamt“

nenter, aus Ungarn gebürtiger Schriftsteller formulierte es einmal so: „Wir Emigranten stehen vor der Schlüsselfrage: Wollen wir geliebt werden oder wollen wir darauf verzichten?“

Während all dieser Gespräche kommt immer wieder eine gewisse Schwermut zum Ausdruck. Wohl sind die Ostblockdissidenten zumeist an sich von eher schwerblütigem Temperament, aber hinter den Einzelschicksalen, Einzelreaktionen steht mehr, steht tiefes Wissen um eine Ohnmacht, die vereinsamt, die isoliert. Manche leben für eine Hoffnung, manche haben sich in Österreich eingelebt, einige bilden kleine, eigene Inseln, verstreut über das ganze Land. Sie erscheinen heimatlos, obwohl sie nicht staatenlos sind. Ihr Innerstes blieb beim Uberschreiten der Grenzen zurück - in der Heimat.

Sie nehmen regen Anteil am politischen Geschehen in Ost und West, sind bestens informiert und scheuen keine politische Diskussion - ihr privates Leben hingegen wollen sie nicht preisgeben. Sie vermeiden es, über ihre Angehörigen zu sprechen und öffnen sich selbst nur zögernd -wenn überhaupt.

Auf die Frage, ob sie das Verlassen des Heimatlandes nachträglich bereuen oder ob das Heimweh das Freiheitsgefühl überschatte, verneinten die Gefragten dezidiert. Und trotzdem - ein Hauch von Schwermut bleibt.

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