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Freiburger Exempel

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„Wir achten Sie, wir nehmen Sie ernst.“ Mit diesen Worten wendet sich der Intendant der Städtischen Bühnen Freiburgs, Manfred Beilharz, an seine bisherigen und künftigen Abonnenten. Man hat es hier fast immer so gehalten, und die Erfolgsbilanz gibt der Direktion recht, die nicht nur „schöne und unterhaltende“, sondern auch „betroffen machende und aufrüttelnde“ Werke spielen will. Alle drei Bühnen, das Große Haus mit 1067 Plätzen, das Kammertheater für 100 Besucher und das Podium für 270 waren während der abgelaufenen Spielzeit zu über 90 Prozent ausgelastet und haben mit der Besucherzahl von 316.000 die höchste Quote seit 25 Jahren erreicht - womit die Städtischen Bühnen Freiburg im Spitzenfeld der deutschen Theater liegen.

Wie sieht ein so offenkundig attraktives Programm aus? Gleich während der ersten zehn Tage der neuen Spielzeit gab es eine Erst- und eine Uraufführung, der in den nächsten Tagen noch eine Eigenproduktion folgen wird: „Die tragische Historie von Doktor Faust“ nach Marlowe, bearbeitet von Pierre Jean Valentin und dem Hausdramaturgen Hans Ammann. Die Opemspielzeit wurde mit einer sehr gelungenen Neuinszenierung von

Smetanas „Verkaufter Braut“ eröffnet. Für eine unmanierierte, nichts verfremdende und von außen ins Stück hineintragende Spielleitung sorgte einer der großen alten Männer der deutschen Opembühne: Joachim Klaiber, zuletzt in Kiel, vorher an einem halben Dutzend anderer Bühnen tätig, unterstützt von Grit Scheinpflugs realistischen Bühnenbildern und der böhmischen Folklore nachempfundenen Kostümen. Am Pult stand der jüngste Träger des Salzburger Dr.-Karl- Böhm-Dirigentenpreises, Hans Urba- nek, und die Doppelbesetzung der Hauptpartien ließ kaum einen Wunsch offen. Man spielt durchweg mit hauseigenen Kräften, was aber nicht bedeutet, daß diese vornehmlich aus dem südwestdeutschen Raum kommen: Nicht weniger als 21 Nationen sind im Ensemble der Städtischen Bühnen Freiburg vertreten. Wie heute fast überall in der Welt, besonders in Oper und Ballett…

Das macht sich, zum Teil auch nachteilig, in dem Volksstück „Schweig, Bub!“ von Fitzgerald Kusz bemerkbar. Der heute 33jährige Autor schrieb sein Stück in fränkischer Mundart, und in dieser Urfassung wurde es nicht weniger als 87mal in Nürnberg gespielt. Doch auf den Wortlaut kommt es hier nicht an, daher wird der Text in die jeweilige Mundart jener Stadt oder Landschaft übertragen, wo man das Stück gerade spielt. Für Freiburg gab es also eine „badensische Fassung“. Es zeigte sich jedoch, daß nur einige Schauspieler ihrer mächtig waren. Doch geht es ja um das Was, nicht um das Wie der Dialoge und Gespräche. Und deren Gegenstand ist ausschließlich Alltägliches, Banales. Drei Akte lang sitzen neun Personen an einer festlichen Tafel, nach der Konfirmation, und schwatzen und schwatzen.

Der Anlaß und der Firmling sind Nebensache: Es wird mehr als zwei Stunden lang gegessen, indem das Mittagsmahl in die Jause und diese in das Abendessen übergeht. Im Vergleich mit unseren österreichischen Dialektdichtem gibt sich Kusz recht manierlich. Es ist mehr das „Schichtspezifische“ als das Grobe und Vulgäre, worum es ihm geht. Und davon weiß der Anton viel und versteht es auch, sein Publikum zu unterhalten. Markwart Müller-Elmau hat das Ganze inszeniert und Margit Bardy Ausstattung und Kostüme beigesteuert, ganz ohne berufsspezifischen Ehrgeiz und Krampf. Die südwestdeutsche Fassung von Manfred Bosch geriet freilich unter die Räder, nämlich die der zahlreichen nach Freiburg „zugereisten" Schauspieler. Doch konnte, wer das Stück zum ersten Mal sah, sich leidlich unterhalten …

An einem der nächsten Abende: „Gullivers Reisen zu mehreren entlegenen Völkern der Erde" nach Jonathan Swifts bekanntem Buch sehr frei bearbeitet von Peter Siefert, ausgestattet von Massimo Schuster, dramaturgisch betreut Von Marion Victor und mit einer recht originellen Musik von dem Amerikaner Jaohn V. Baer ausgestattet, der in seinem besten Song in die Nähe von Kurt Weill kommt. In der Zeit des Massentourismus, der eine einzige Fluchtbewegung aus der Wirklichkeit ist, versteht man die These, daß in der Fremde nichts exotischer ist als der Fremde selbst. In diesem Falle: Gulliver, sowohl im Land der Zwerge wie in dem der Riesen. Dieses Riesenspektakel platzt vor Einfällen und Gags fast aus den Nähten. Auch wenn der tiefere Sinn nicht immer sinnfällig wird und von Swift nur das Konzept übrigbleibt (seine Erzählung hatte ja einmal sozialkritischen Charakter): man unterhält sich gut, und nicht gerade auf banale und grobe Weise.

Noch eine Institution der Städtischen Bühnen Freiburg müssen wir erwähnen: das Theater-Cafė, jeden Freitag. Es schafft eine enge Verbindung zwischen Publikum und Ausführenden. In der vergangenen Woche war das Thema „Wie anstrengend es ist, positiv zu sein", demonstriert an rund 20 Texten von Erich Kästner.

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