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Freie Forschung und freie Gesellschaft

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Die freie Erkenntnis wird von vielen als sicherstes Mittel akzeptiert, um viele verschiedene gesellschaftliche Zwecke zu erreichen. Diese Freiheit liegt auch der „Idee der Universität" zugrunde. Sie hat im Recht ihren normativen Niederschlag gefunden. Und sie ist im Universitätsbereich lebendig geblieben. Durch die Freiheit von Forschung und Lehre und durch die Verbindung von Forschung und Lehre unterscheiden sich die Universitäten sowohl von anderen Forschungseinrichtungen als auch von anderen Schulen.

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Die freie Erkenntnis wird von vielen als sicherstes Mittel akzeptiert, um viele verschiedene gesellschaftliche Zwecke zu erreichen. Diese Freiheit liegt auch der „Idee der Universität" zugrunde. Sie hat im Recht ihren normativen Niederschlag gefunden. Und sie ist im Universitätsbereich lebendig geblieben. Durch die Freiheit von Forschung und Lehre und durch die Verbindung von Forschung und Lehre unterscheiden sich die Universitäten sowohl von anderen Forschungseinrichtungen als auch von anderen Schulen.

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Im Bereich der Wissenschaft setzt Lehre Forschung voraus, ist Forschung der Lehre logisch und genetisch vorgeordnet. Allerdings ist für viele ein *Universitätsstudium" nichts anderes als die Fortsetzung des Schulunterrichtes mit anderen Mitteln. Selbst Studenten haben nicht selten wenig innere Beziehungen zur „Idee der Universität". Sie erleben zu stark die „Massenuniversität" und zu wenig die „Forschungsuniversität".

Verschulungstendenzen, Formali-sierung der Studiengänge, Anpassungsdruck und ökonomische Zwänge, manchmal auch mangelnde Information und mangelndes Interesse, das alles kann bewirken, daß die Hochschulen in der Bewußtseinsverfassung vieler Studierender zu höheren staatlichen Lehranstalten werden, zu Berufsausbildungsstätten, die praxisnah und reibungslos funktionieren sollen.

Da sich die Universitäten durch verschiedene berufsbezogene Lehraufgaben der Gesellschaft in besonderer Weise aufschließen, ist es auch nicht verwunderlich, wenn manche Kreise der Bevölkerung in den Hochschulen bessere Berufsschulen sehen. Solche Vorstellungen erinnern an die Universitätsvorstellungen Josephs IL, der das niedere Schulwesen auf Kosten der schon unter Maria Theresia verstaatlichten und verschulten Universitäten förderte.

Bei der Verstärkung solcher „jose-phinistischen" gesellschaftlichen Bedingungen könnte sich der Vorrang der Forschung im Rahmen der Universität über die Bewußtseinsverfassung mancher Gruppen der Bevölkerung zum Nachrang verwandeln. Die Verbindung von Forschung und Lehre könnte verlorengehen. Unter dem Druck der Verhältnisse könnte es zur Ausgliederung mancher Forschung auf „Neben- und Gegenuniversitäten" kommen.

Es könnten normative Kräfte des

Faktischen entstehen, die schließlich auch die Wissenschafter an den Universitäten motivieren könnten, diese zu verlassen und an anderen Forschungsstätten zu wirken. Dort wäre vielleicht die Freiheit der Forschung nur mehr verdünnt wirksam. Und an den Universitäten hätte die Lehre an Substanz verloren.

Gewiß, in Österreich will derzeit niemand eine „Ausgliederung" der Forschung und eine „Auswanderung" der Forscher. In anderen Staaten ist aber die Tendenz zu beobachten, daß die wissenschaftliche Forschung mehr und mehr von den herkömmlichen Universitäten zu peri-' pheren „Neben- und Gegenuniversitäten" übergeht.

Gerade weil in Österreich ein großer Konsens darüber besteht, daß die Forschung an den Universitäten bleiben soll und ihr dort Priorität zukommen soll, ist es notwendig, die Öffentlichkeit über die Bedeutung der universitären Forschung und ihrer Förderung ständig zu unterrichten. Presse, Rundfunk und Fernsehen kommt diesbezüglich eine besondere Aufgabe der Aufklärung und Volksbildung zu.

Universitäten haben eine einmalige und eindeutige Aufgabe: sie dienen der wissenschaftlichen Forschung und Lehre. Ihr Hauptzweck liegt fest. Er bedeutet einen inhaltlich bestimmten und dauernden Leistungsauftrag.

Durch Forschung und Lehre tragen die Universitäten zur Lösung von Problemen der Gesellschaft und deren Weiterentwicklung bei. Damit sind sie mit der Gesellschaft verbunden. Als Einrichtungen des Staates sind sie von der Gesellschaft weitgehend freigestellt. Sie stehen unter dem Schutz des Staates und sind von gesellschaftlichen Einflüssen relativ unabhängig.

Sie sind aber vom Staat in besonderer Weise abhängig, denn sie werden von ihm erhalten. Ihr Stellenwert drückt sich daher dort besonders sinnfällig aus, wo die Werte, zu denen sich der Staat bekennt, in Zahlen ihren Niederschlag finden: im Budget und im Stellenplan. Hier kann das Bekenntnis zum Kulturstaat in Zahlen abgelesen werden.

Deshalb spielen neben der Freiheit und der Verbindung von Forschung und Lehre Budget und Stellenplan vor allem bei jenen Universitätseinrichtungen eine wesentliche Rolle, die unmittelbar den universitären Hauptzweck erfüllen: Das sind die Institute.

Das Charakteristikum unserer Universitäten besteht darin, daß sie ihre Hauptaufgabe in den Instituten und durch die Institute, also dezentralisiert, erfüllen. Es gibt an ihnen viele selbständige Arbeitszentren.

In Hunderten von voneinander unabhängigen Instituten wählen Wissenschafter die Gegenstände, die

Themen, die Probleme und die Methoden ihrer Arbeit frei aus. Sie können frei entscheiden, ob und was von ihrer Arbeit veröffentlicht werden soll. Sie können frei bestimmen, ob und wie die Forschungsergebnisse in die Lehre einfließen.

Durch die Lehrfreiheit, die Meinungsäußerungsfreiheit, die Infor-mations- und Medienfreiheit erfährt die Forschungsfreiheit im Medienzeitalter gegenüber früheren Zeiten eine Bedeutungserweiterung und Bedeutungssteigerung.

An ihren Iristituten erkennt man die Universitäten. An dieser Basis entsteht der Ruf und das Ansehen der Universität, ihre Reputation. Dementsprechend hat man festgestellt, daß das Wort „men not measures" hier mehr gilt als auf irgendeinem anderen Gebiet des Staates.

Hier geht es um das Lebenselement der Universität, um die menschliche Leidenschaft des Wissenwollens, um die Entfaltung des Strebens, sich „um Wahrheit als etwas noch nicht ganz Gefundenes und nie ganz Aufzufindendes" zu bemühen.

Dem entspricht die Pflicht des Staates, einen von Fremdbestimmung freien Raum persönlicher und autonomer Verantwortung des einzelnen Wissenschafters zu gewährleisten, einen Raum, der unabhängig ist von Augenblicksfragen und Tagesereignissen.

Es scheint leicht zu sein, die Notwendigkeit der wissenschaftlichen Forschung ökonomisch oder durch politische Entscheidungen zu begründen. Man könnte die einzelnen Wissenschaften und ihre Leistungen Revue passieren lassen und dann feststellen, daß sie mehr oder weniger für die verschiedenen gesellschaftlichen Bereiche und Bedürfnisse „nützlich" sind.

Man könnte die Verfahrensregeln des Marktes oder die Verfahrensregeln des politischen Prozesses, insbesondere die Mehrheitsregel, walten lassen. Die Nachfrage nach bestimmten wissenschaftlichen Werken und Dienstleistungen würde dann durch den Marktpreis oder

durch politische Entscheidungen bestimmt.

Beiden Verfahren sind aber die Universitäten als bestandskräftige Einrichtungen mit einem festen Ziel, der Forschung und Lehre kontinuierlich und in Unabhängigkeit zu dienen, weitgehend entzogen. Die Verfassung des Gemeinwesens und die Verfassung der Universität gewährleisten zumindest eine gewisse Unabhängigkeit von Mächten, Märkten und Mehrheiten.

Beim Leistungsauftrag der Universitäten unter dem Grundsatz der Freiheit von Forschung und Lehre geht es nicht mehr darum, die Not-

wendigkeit der wissenschaftlichen Forschung politisch oder ökonomisch, „utilitaristisch", zu begründen. Wissenschaftliche Arbeit soll unabhängig und kontinuierlich sein. Sie soll sich nicht wechselnden Markt- und Mehrheitsentscheidungen anpassen müssen.

Bei Anpassungszwang an gesellschaftliche Macht, an Markt und Mehrheiten kann Forschung nicht mehr kritisch und selbständig sein. Aus diesem Grund ist auch nicht unproblematisch, wenn Wissenschafter unter Aktualitätsdruck zu Tagesfragen schlechthin „Stellung" nehmen. Wenn der Wissenschafter als stef-lungnehmender Staatsbürger auftritt, hat er keinerlei Vorrang vor anderen und ist so zu behandeln wie die anderen Bürger.

Daß die Forschung „Nutzen" schaffen kann, weiß fast jeder. Es ist aber in der Öffentlichkeit zu wenig Bewußtsein dafür vorhanden, daß freie wissenschaftliche Forschung für eine freie Gesellschaft unentbehrlich ist.

Sie ist unentbehrlich für die Selbstbestimmung des Menschen. Sie ist wesentlich für die Demokratie, die davon ausgeht, daß die Menschen zur Selbstbestimmung fähig sind und daß offene und rationale Diskussion möglich ist. Sie ist unerläßlich für die Demokratie, deren Hauptaufgabe es ist, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß jeder die Chance haben soll, sich selbst zu bestimmen und seine Möglichkeiten zu verwirklichen.

Dazu muß er sich kennen. Dazu muß in der Gesellschaft viel Wissen vorhanden sein, das sich jeder unabhängig und selbständig aneignen kann. Die Menschen müssen sich Wissen über sich und ihre Möglichkeiten, über Natur und Technik, Wirtschaft und Umwelt, über die geschichtlichen und gesellschaftlichen Prozesse frei beschaffen können.

Freie Forschung trägt darüber hinaus zur Rationalisierurig der Information und der öffentlichen Diskussion bei. Sie bedeutet ein Kritik- und Kontrollpotential. Sie bedeutet eine besondere Möglichkeit der Aufklärung.

Freiheit der Forschung und Freiheit der Beschaffbarkeit von Wissen für jedermann sind ein wesentliches

Element der politischen Freiheit. Auf den Zusammenhang von Wissenschaft und Freiheit in diesem Sinn, auf den Beitrag der Wissenschaft zur Bestimmung der Freiheit des Menschen, hat vor allem der Politologe Franz Neumann hingewiesen, für dessen Arbeit und Denken Freiheit der Schlüsselbegriff ist.

Er machte klar: wenn man den Zusammenhang zwischen Freiheit der Wissenschaft und Freiheit der Gesellschaft aufzeigen will, kann man Forschung nicht utilitaristisch begründen. Vielmehr geht es darum, die Notwendigkeit der freien Forschung idealistisch-humanistisch zu begründen und zu begreifen.

Wenn wir nur zeigen, welchen großen Nutzen „die Gesellschaft", „der Staat", „die Wirtschaft" aus der Forschung ziehen, werden uns die verschiedenen gesellschaftlichen Machtträger zeigen, was sie für nützlich halten. Sie werden sagen, was wir forschen müssen und was wir forschen dürfen. Wäre das freie wissenschaftliche Forschung?

Gerade weil die Forschung Informationen produziert, die für Gesellschaft, Staat, Wirtschaft wichtig sind, muß sie gegenüber „Wirtschaft" und „Gesellschaft" zumindest in der gleichen Weise unabhängig sein wie gegenüber „dem Staat". Die Notwendigkeit der Forschung folgt nicht aus ihrer „Utilität für Staat und Gesellschaft", sondern daraus, „daß sie dem Menschen das Verstehen der äußeren Natur, der Natur des Menschen und des historischen Prozesses ermöglicht, und weil sie somit ein entscheidendes Merkmal für die Bestimmung der Freiheit des Menschen ist" (Neumann).

Was die optimalen gesellschaftlichen Bedingungen der Forschung betrifft, so bedürfte es noch vieler Forschung, um eine systematische Antwort geben zu können. Mit Neumann kann man aber wohl annehmen, daß die liberale Demokratie für die freie Forschung die besten Bedingungen bietet.

Daß auch hier Gefahren bestehen, ist bekannt. Tendenzen eines repressiven Konformismus, Anti-Intellektualismus, pluralitärer Korporativismus, hypertrophe Spezialisierung mit Bürokratisierungstendenzen -das alles sind erfahrbare Gefahren für die freie Forschung und die offene Gesellschaft.

Gefahren können aber auch aus dem Verhalten der Wissenschafter selbst entstehen. Mangel an Selbstkritik und Selbstkontrolle, Hierar-chisierungs- und Spezialisierungstendenzen im Forschungsbetrieb, Mißbräuche der Freiheitsausübung, Verlust des individuellen Verantwortungsbewußtseins können die Freiheit der Wissenschaft und damit diese selbst mehr gefährden als Gefahren von außen. Der Sinn jeder Freiheit, auch der Forschungsfreiheit, liegt in ihrem verantwortungsvollen Gebrauch. Diese Verantwortung kann den Wissenschaftern niemand abnehmen.

(Der Autor ist Rektor der Universität für Bodenkultur in Wien)

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