6875766-1978_43_06.jpg
Digital In Arbeit

Freiheit als Recht und Pflicht

19451960198020002020

Die Arbeit an einem Grundsatzprogramm beschäftigt die Christlich-Demokratische Union Deutschlands (CDU) nun schon nahezu ein halbes Jahrzehnt. Während die ÖVP bereits im zweiten Jahr ihrer Oppositionszeit, nämlich 1972, mit dem „Salzburger Programm“ ein modernes Grundsatzpapier beschloß, brauchte ihre deutsche Schwesterpartei nördlich der Mainlinie von Oktober 1969 (Regierung Brandt) bis November 1973 (Hamburger Bundesparteitag), um sich überhaupt einmal über die Notwendigkeit einer ideologischen Neuformierung klarzuwerden. Beim diesjährigen Bundesparteitag der CDU, der vom 23. bis 26. Oktober in Ludwigshafen stattfindet, soll dieses neue Grundsatzprogramm verabschiedet werden. Dr. Peter Diem, ehemaliger Referent für Grundlagenforschung der ÖVP, hat für die FURCHE das CDU-Programm untersucht.

19451960198020002020

Die Arbeit an einem Grundsatzprogramm beschäftigt die Christlich-Demokratische Union Deutschlands (CDU) nun schon nahezu ein halbes Jahrzehnt. Während die ÖVP bereits im zweiten Jahr ihrer Oppositionszeit, nämlich 1972, mit dem „Salzburger Programm“ ein modernes Grundsatzpapier beschloß, brauchte ihre deutsche Schwesterpartei nördlich der Mainlinie von Oktober 1969 (Regierung Brandt) bis November 1973 (Hamburger Bundesparteitag), um sich überhaupt einmal über die Notwendigkeit einer ideologischen Neuformierung klarzuwerden. Beim diesjährigen Bundesparteitag der CDU, der vom 23. bis 26. Oktober in Ludwigshafen stattfindet, soll dieses neue Grundsatzprogramm verabschiedet werden. Dr. Peter Diem, ehemaliger Referent für Grundlagenforschung der ÖVP, hat für die FURCHE das CDU-Programm untersucht.

Werbung
Werbung
Werbung

Auf dem Bundesparteitag in Hamburg 1973 wurde der Bundespartei-vorstand der CDU ermächtigt, eine

Grundsatzprogrammkommission einzusetzen. Diese, präsidiert von dem erst vor kurzem zum Spitzenkandidaten der Berliner CDU für die Landtagswahl 1979 bestellten, dem „liberalen“ Parteiflügel angehörenden, evangelischen Bundestagsabgeordneten Dr. Richard von Weizsäcker, veröffentlichte im Mai 1976, also nach dreijähriger Arbeit, den ersten Kommissionsentwurf.

Nach einjähriger Diskussion in der Partei und in der Öffentlichkeit wurde der Entwurf einem sogenannten „Grundsatzforum“, einer Versammlung von über 500 Wissenschaftlern, Vertretern von Verbänden und Parteimitgliedern, vorgelegt, wo der Text einer stellenweise recht harten, aber prinzipiell loyalen Kritik unterzogen wurde. Danach überarbeitete eine Redaktionskommission des Parteivorstandes und dieser selbst den Entwurf in ausführlichen Beratungen. Am 8. Mai 1978 erblickte schließlich der zweite Entwurf das Licht der Welt, der mit einigen Modifikationen einem Bundesparteitag zur Beschlußfassung vorliegt, der dieser Tage in Ludwigshafen stattfindet.

Damit kann die CDU mit Fug und Recht von sich behaupten, den Fragen der grundsätzlichen politischen Orientierung mit deutscher Gründlichkeit zu Leibe gerückt zu sein. Sie ist damit den beiden Regierungsparteien SPD und FDP um einiges voraus, stammt das letzte Parteiprogramm der deutschen Sozialdemokraten (Godesberger Programm) doch aus dem Jahre 1959, das der Freien Demokraten (Freiburger Programm) aus dem Jahre 1971.

Wenn man die vielfältigen geistigen Umbruchsituationen in Rechnung stellt (Höhepunkt der Wohlstandsphase, Studentenrevolte, Neue Linke, Vatikanum II, Erdölschock, Wachstums- und Energiekrise, Terrorismus), die in den letzten beiden Jahrzehnten gerade in der Bundesrepublik Deutschland in besonders deutlicher Form aufgetreten sind, dann wird man wohl zugeben müssen, daß nur eine aktuelle und intensive Auseinandersetzung mit der „Geistigen Situation der Zeit“ (Karl Jaspers) Klarheit' über die weltanschaulichen Grundlagen einer politischen Gesinnungsgemeinschaft geben kann.

Der erste und wichtigste Prüfstein für die Beurteilung, eines Grundsatzprogramms ist die Position seiner Verfasser zu den gesellschaftlichen Grundwerten. In der von einem relativ breiten „Basiskonsens“ über die Grundrechtsordnung der Bundesrepublik getragenen Grundwerte-Diskussion der letzten Jahre haben sich Freiheit, Gerechtigkeit (Gleichheit) und Solidarität als jene Prinzipien herausgebildet, die von allen drei

Parlamentsparteien ihrer Programmatik vorangestellt werden. Innerhalb dieser, auf die Parolen der Französischen Revolution zurückweisenden „Grundwerte-Trias“ kommt es jedoch sehr auf Auslegung und gegenseitige Gewichtung ihrer drei Elemente an.

Je weiter rechts im parteipolitischen Spektrum eine Meinung angesiedelt ist, um so stärker wird der Grundwert Freiheit betont werden, um so eher verschiebt sich der Begriffsinhalt des zweiten Grundwertes von „Gleichheit“ zu „Chancengleichheit“ und von da zu „Chancengerechtigkeit“ oder überhaupt zu „Gerechtigkeit“.

Die CDU kommt im Programmentwurf mit drei Grundwerten aus, ändert aber die Reihenfolge: Freiheit, Solidarität, Gerechtigkeit. Nach“ einer kurzen Einleitung über das Selbstverständnis der CDU als Volkspartei, deren Politik „auf dem christlichen Verständnis vom Menschen und seiner Verantwortung vor Gott“ beruht, deren Aufgabe es ist, „das Bewährte zu schützen und den Wandel in Freiheit zu bewältigen“ und deren Merkmale Offenheit, Toleranz, Bereitschaft zum Kompromiß und der Wille zu Solidarität und Partnerschaft sind, geht der Programmentwurf zunächst auf das Menschenbüd der CDU ein. Im Gegensatz zu allen anderen politischen Parteien legen ja die christlich-demokratischen Wert darauf, ihre Auf-

„Die CDU kann mit Fug und Recht von sich behaupten, den Fragen der grundsätzlichen politischen Orientierung mit deutscher Gründlichkeit zu Leibe gerückt zu sein.“

fassung von der Würde und der eigentlichen Bestimmung des Menschen darzulegen.

So findet sich etwa im „Salzburger Programm“ der ÖVP der Satz „Die ÖVP anerkennt den über die materielle Existenz hinausweisenden Sinn des Lebens“. Im CDU-Entwurf heißt es: „Der Mensch ist zur freien Selbstbestimmung geschaffen. Mit ihr steht er in der Verantwortung vor seinem Gewissen und damit nach christlichem Verständnis vor Gott. Seine freie Selbstbestimmung beruht auf einer Wirklichkeit, welche die menschliche Welt überschreitet.“

Während aber das ÖVP-Programm an den oben zitierten „metaphysischen Vorbehalt“ den Satz anschließt: „Dieser ist für uns ein wesentlicher Antrieb, die frei entscheidende Persönlichkeit des Menschen zu stärken und aktiv an der Verbesserung der Lebensbedingungen aller Menschen mitzuwirken“, heißt es bei der CDU: „Der Mensch verdankt sie

weder sich selbst noch der Gesellschaft. Er ist nicht das letzte Maß aller Dinge. Seinem Bedürfnis, sich und der Welt einen letzten Sinn zu geben, kann er aus eigener Kraft nicht gerecht werden. Aber er ist zur sittlichen Entscheidung befähigt. In verantworteter Freiheit sein Leben selbst zu gestalten, ist Gabe und Aufgabe für den Menschen.“ Aus diesen beiden Formulierungen klingt der Unterschied in der Entstehungszeit (1972 und 1978) und im Entstehungsort (Wien und Bonn) an: so formulierten katholische Österreicher in einer optimistischen Phase der Politik, in der man sich noch „fortschrittliche Mitte“ zu sagen traute, und so formulieren protestantische Deutsche in einer pessimistischen Phase der Politik, in welcher der Slogan „Freiheit oder Sozialismus“ die Stimmung angibt.

Der Grundwert Freiheit wird von der CDU als „Recht und Pflicht“ ge-sehen. Der Gemeinschaftsbezug, die Verbindung mit sozialer Gerechtigkeit und Mitverantwortung, grenzen ihn gegen einen altliberalen Freiheitsbegriff ab. Das Leistungsprinzip erweitert den Freiheitsbegriff, denn „für jeden im Rahmen seiner Möglichkeiten, auch für den Behinderten, ist Leistung ein unentbehrlicher Antrieb“. Damit bringt die CDU eine an sich zwar richtige, aber doch etwas rigide Einstellung zur Leistung in ihr Programm ein: die Grenzen des Leistungsprinzips (Streßfaktoren in Arbeit und Freizeit) hätten eine Erwähnung verdient.

Der Grundwert Solidarität wird als Ausdruck der sozialen Natur des Menschen und als Verpflichtung der Gemeinschaft zu Maßnahmen der sozialen Sicherung verstanden. Dazu fügt die CDU auch die Subsidiarität, die verantwortliche Selbsthilfe fördern und verhindern soll, daß der Staat alles an sich zieht. Besonders wichtig ist der Ruf nach mehr „persönlicher Zuwendung von Mensch zu Mensch“, was in der Praxis die Schaffung und Förderung sozialer Dienste erfordert.

Dem Grundwert Gerechtigkeit liegt nach dem Text des Entwurfes die „Gleichheit aller Menschen in ihrer Würde und Freiheit, ohne Rücksicht auf Macht, Leistung oder Versagen des einzelnen“ zugrunde. In der Folge wird aber nicht von „Chancengleichheit“, sondern von „Chancengerechtigkeit“ gesprochen, als „notwendige Ergänzung der Gleichheit vor dem Recht“. Dabei wird vor dem Versuch gewarnt, die „menschlichen Existenzen als solche gleichzumachen“. So richtig und wichtig diese Warnung ist, so zweifelhaft scheint die Begründung dafür, daß nämlich die Chancen des einzelnen „immer nur nach den unterschiedlichen persönlichen Anlagen des einzelnen genutzt werden können“.

Damit wird in einer in einem politischen Programm doch etwas einsei-

tigen Weise für die Befürworter der Theorie der Prädominanz der Erbanlagen Partei genommen. In dem Satz „Gerechtigkeit verlangt, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln“ liegt die Verpflichtung, „ausgleichende Maßnahmen zugunsten derer zu treffen, die sonst zurückbleiben würden ... Es gilt, auch den Erfolglosen nicht fallen zu lassen und jedermann menschenwürdige Lebensverhältnisse zu sichern, auch wenn er durch eigenes Verschulden zu seiner Bedürftigkeit beigetragen hat.“ Damit weist sich die Union als eine genuin soziale Partei aus. Auch wenn sie weiß, daß „absolute Gerechtigkeit nicht erreichbar ist“, hat sie „die Zuversicht, daß es sich lohnt,

„Insgesamt unterscheiden sich die. Positionen der CDU wenig von denen programmatischer Vorstellungen anderer christlich-demokratischer Parteien, wie etwa der ÖVP.“

ständig an der Verbesserung der Verhältnisse zu arbeiten“.

In seinem praktisch-politischen Teil ist der Programmentwurf in folgende Kapitel gegliedert:

• Entfaltung der Person (Familie, Erziehung und Bildung, Arbeit und Freizeit)

• Soziale Marktwirtschaft (Grundsätze, Wirtschaft, öffentliche Aufgaben, Sozialpolitik)

• Der Staat (Demokratie, Föderalismus, Sozialstaat)

• Deutschland in der Welt (Deutschlandpolitik, Europa, Sicherheit, Ostpolitik und weltweite Verantwortung)

In der Außen- und Ostpolitik spricht das Programm eine sehr gemäßigte, auf Zusammenarbeit abstellende Sprache, ohne jedoch die Forderung nach Verwirklichung der Menschenrechte „insbesondere auch für deutsche Volksangehörige unter Einschluß ihres Volksgruppenrechts“ zu vergessen.

Damit wird die CDU (mit der CSU, die 1976 ein neues Grundsatzprogramm verabschiedete) als einzige politische Bewegung der BRD über eine moderne ideologische Plattform verfügen, die sicher nicht ohne Einfluß auf die Formierung der CDU für den Bundestagswahlkampf 1980 sein wird.

Insgesamt unterscheiden sich die Positionen der CDU wenig von den programmatischen Vorstellungen anderer christlich-demokratischer Parteien, wie etwa der ÖVP. Sie sind vielleicht etwas detaillierter. Aber gerade dort, wo sie wirklich konkret werden, kann es auf dem Bundesparteitag noch zu Konfrontationen kommen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung