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Freiheit — für wen?

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Ihre Präsenz auf Kathedern ist so alt wie der Kommunismus selbst. Forschung und Lehre sind nach seinem Selbstverständnis abzulösen durch Interpretation vorhandener Doktrinen, die unwandelbar den Wandel der Zeiten ignorieren. Schon darin bekamen die Katheder der Kommunisten den Rang einer orthodoxen Kanzel, von welcher die rechte Lehre kompromißlos verkündigt wird. Die Ersatzkirche stellte und stellt an Intoleranz alles in den Schatten, was Kirchen jemals in dieser Hinsicht zuwege brachten.

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Ihre Präsenz auf Kathedern ist so alt wie der Kommunismus selbst. Forschung und Lehre sind nach seinem Selbstverständnis abzulösen durch Interpretation vorhandener Doktrinen, die unwandelbar den Wandel der Zeiten ignorieren. Schon darin bekamen die Katheder der Kommunisten den Rang einer orthodoxen Kanzel, von welcher die rechte Lehre kompromißlos verkündigt wird. Die Ersatzkirche stellte und stellt an Intoleranz alles in den Schatten, was Kirchen jemals in dieser Hinsicht zuwege brachten.

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Jetzt solider nächste Schritt ge-schehen: die Kanzeln werden zum Katheder der Kommunisten. In zwei deutschen Bundesländern, Hessen und Rheinland, mußten die evangelischen Kirchenleitungen mehreren Dutzend Pfarrern, und vor allem Vikaren, die Unvereinbarkeit von Pfarramt und Zugehörigkeit zur Kommunistischen Partei zur Kenntnis geben. Kirchenpräsidenten und Oberkirchenräte müssen sich gegen den Vorwurf zur Wehr setzen, damit lediglich die radikalen Vorschriften der Regierung nachzuahmen. Dem Wesen des Kommunismus, so die Anhänger der DKP innerhalb der Theologenschaft, eignen lediglich systemverändernde, keinesfalls aber atheistische Motive.

Soweit in Kürze der Tatbestand. Ein Blick zurück. Die Versäumnisse der Kirchen, was den emporkommenden dritten Stand im vorigen Jahrhundert angeht, sind bekannt. Sie lösten ihrerseits die Bewegung des Christlichen Sozialismus aus, rüttelten an den Privilegien der Amtskirchen und deckten Ansprüche des Evangeliums auf die übersehen worden waren. Nicht nur das Seelenheil, sondern das Heil der Welt — darum ging es. Der Rückzug in die Privatsphäre ist immer Verrat an Jesus Christus, der nicht nur das Verhältnis des Menschen zu Gott, sondern auch das zu seinen Mitmenschen in Ordnung bringen will. Soweit der christliche Sozialismus — soweit und so gut, wie auch nötig.

Unbestritten blieb, daß es mit dem materialistischen Grundansatz des Marxismus kein Paktieren geben könne. Diese Linie wurde auch von der jungreformatorischen Bewegung, vor allem ihrem Initiator und Sprecher Karl Barth, durchgehalten. Der Mensch ist mehr als das Produkt ökonomischer Verhältnisse; seine Ängste und Hoffnungen lassen sich nicht deckungsgleich machen mit den Spannungen zwischen Kapital und Arbeit. Seine Unmittelbarkeit zu Gott erfährt er nicht aus dem Zustand der Welt, sondern aus dem Wort Jesu Christi. Arbeitsgemeinschaften zwischen Christen und Sozialisten entstanden nach dem Zweiten Weltkrieg allerorten und mit neuer, durch die Hitler-Zeit geschärfter Sehweite. Nicht mehr ein Paradies auf Erden stand nach kaum überstandenem Tausendjährigem Reich zur Debatte, sondern Abbau von Schranken zwischen Bürgern und Arbeitern. Auch dieser neue Aufschwung flachte ab, nicht zuletzt deshalb, weil die Arbeiter sich zusehends selbst als Bürger entdeckten. Das Gespräch wurde und blieb akademisch, auch nach einer Neubelebung in den sechziger Jahren. Das Godesberger Programm der SPD hatte mehr dazu beigetragen, als die Anstrengungen der Theologen. Die Etablierung der SPD als Regierungspartei vollends brachte an den Tag, daß es manchen Theologen weniger um den Sozialismus, als um das Nein zu ihrem Staat ging. Der Weg führte nach links-außen, in die Nähe und oft genug an die Seite der Systemveränderer, mit denen man offen sympathisierte. Während Verletzungen von Menschenrechten in den östlichen Satellitenstaaten verniedlicht wurden, suchte man nach Opfern angeblicher Justiz- und Polizeiwillkür im eigenen Land.

Der Weg in die DKP war also konsequent und kommt nicht überraschend. Eine Linkspartei, die Regierungsverantwortung trägt, war für Strategen einer Ideologie, welche die Wahrheit immer und überall gepachtet hat, untragbar. Dieser Weg ist als Alternative unter dem Schutz einer überaus freiheitlichen Verfassung in den westlichen Demokratien niemandem verboten, während es bekanntlich unter totalitären Systemen keine auch nur Rnnähernd mögliche Alternative gibt — in einem Dutzend „befreiter“ afrikanischer Staaten nicht nnders, als im Herrschaftsbereich der letzten Kolonialmacht alten Stils, der UdSSR. Eben hier aber, in den Satellitenstaaten Osteuropas, hat man sich in den letzten dreißig Jahren nun auf jede erdenkliche Weise seitens der Kirchen bemüht, einen Dialog zwischen Christen und Marxisten zumindest — von weiteren Synthesen ganz zu schweigen — zu führen. Erst jüngst tagte in Warschau wieder mit starker westlicher Beteiligung „Pax Christi“. Selbst deren behutsame und standfeste Initiatoren müssen zugeben, daß der Geländegewinn mehr als bescheiden ist. Die Prager Christliche Friedenskonferenz ist mit diesem ihrem Hauptanliegen längst gescheitert — der restliche „Dialog“ erschöpft sich augenblicklich in unverbindlichem akademischem Schulterklopfen und der gegenseitigen Versicherung ehrenhafter Motive, woran ja niemand zweifelte.

Nun also: zwei Pfarrer im Talar nehmen an einer Aktion „Roter Punkt“ in Hannover teil. Oder: ein württembergischer Religionsiehrer kandidiert bei den Landtagswahlen für die KPD, nachdem er vorher in einem Ballett seine Motive erläutert und mit Sichel- und Hammeremblem garniert hat. Nun also: mehrere Dutzend Pfarrer und Vikare müssen von ihren Kirchenleitungen gefragt werden, wie sie die ökonomische von der materialistisch-atheistischen Programmatik des Marxismus zu trennen gedächten. Eine Frage, die um so berechtigter erscheint, als der Vorsitzende der hessischen DKP in einem offenen Brief an den Kirchenpräsidenten des Landes selbst zugestand, daß seine Partei ihrem Wesen nach atheistisch sei.

Und schließlich: die kirchliche Realität dort, wo der Staatsatheismus, zäh und mit allen Machtmitteln •ausgerüstet, die Kirchen Schritt um Schritt aus der Öffentlichkeit verdrängt hat! Nicht der Westen, auch nicht seine Kirchen waren nach 1945 auf ein „anti“ eingeschworen — es ist ihnen aufgedrängt worden. Am Anfang stand kein Antikommunis-mus, sondern die Bereitschaft, nach dem Kampf gegen Hitler es nun auf ein wenigstens pragmatisches Miteinander ankommen zu lassen. Was blieb von dieser Bereitschaft? Man studiere Worte von Kirchenleuten aus ganz Osteuropa anläßlich der Jubelfeiern zum 30. Jahrestag der „Befreiung“! Kein handfester Kommunist kommt dortzulande je auf die Idee, auch Christ sein zu wollen. Heimlich vielleicht, bei Nacht und Nebel — aber öffentlich?

Kommunisten auf Kanzeln schaden nicht nur der Sache des noch immer diskussionswürdigen Christlichen Sozialismus, sondern auch vor allem den Christen Osteuropas und überall dort in der Dritten Welt, wo die Missionare zu Paaren getrieben werden. Ihre Parteüichkeit läßt ihnen, mögen sie noch so sehr ihre Pastorale Verantwortung beteuern, keinen Rest an christlicher Freiheit. In der Partei, die sie vertreten, herrscht unumstößlich das Gesetz, das jede Abweichung ahndet. Niemand kann Seelsorger an Menschen sein, die unter Zwängen und Ängsten mannigfacher Art leiden, der sich selbst einer Partei verschreibt, die nur eine Angst kennt: vor dem freien Wort, das sie mit jedem erdenklichen Zwang unterdrückt.

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