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Freiheit ist kein Geschenk

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„Jeder Mensch hat das Recht..." Mit diesen Worten beginnt die Mehrzahl der Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Auch jener Satz, in dem es heißt, daß jeder Mensch das Recht habe, frei das Land zu wählen, in dem er leben möchte, und somit auch das Recht, das Land, in dem er geboren wurde oder in dem er gerade lebt, zu verlassen.

Das erscheint einfach, einleuchtend und natürlich. So einleuchtend, daß niemandem einfiele, darüber nachzudenken, wie dieser Satz aussehen würde, bekäme er einen negativen Sinn, und die Völker der Erde hätten sich in einem Anfall von Geistesgestörtheit folgendermaßen geeinigt:

„Kein Mensch hat das Recht, dort zu leben, wo er möchte, und deshalb darf er das Land, in dem er geboren wurde, nicht verlassen, will er nicht nach dem Gesetz dieses Landes als Verbrecher geahndet und verurteilt werden, seines Vermögens verlustig gehen und seine Familie der Verfolgung aussetzen."

Und in der Tat fällt niemandem ein, so einen Satz zu formulieren, geschweige denn, ihn zur Erörterung den Vereinten Nationen vorzuschlagen. Nichtsdestoweniger hat in vielen Ländern gerade dieser (auf verschiedene Weise formulierte) Satz Gesetzeskraft.

In Ländern, die internationalen Konventionen über Menschen- und Bürgerrechte beigetreten sind, in Ländern, die von sich selbst behaupten, daß sie Träger des Lichts und des Fortschritts seien, während die anderen Länder um sie in Finsternis, Knechtschaft und Not lebten. Es bedarf nicht ihrer besonderen Nennung, da sie allgemein bekannt sind. Eines von ihnen ist auch die Tschechoslowakei:

Die CSSR hat alle Konventionen über die Menschenrechte unterzeichnet und sich zu ihrer Einhaltung verpflichtet. Sie hat sie sogar zum Bestandteil ihrer geltenden Rechtsordnung gemacht. Allerdings werden gerade diese Gesetze von keiner Behörde der Tschechoslowakei respektiert, und darum ist dieses Land (mein Land) noch immer weit eher ein Gefängnis als eine Heimat für diejenigen, die in ihm leben,- die es nicht verlassen dürfen und, sofern es ihnen doch gelingt, nicht mehr zurückkönnen.

Ich kenne ihrer Hunderte, die fortgegangen sind, verkehre mit ihnen tagtäglich, höre tagtäglich ihre Aussagen über das Leben „dort", bin tagtäglich der Zeuge ihrer Hoffnungen auf ein neues Leben „hier oder woanders".

Es gelang ihnen auf den verschiedensten Wegen, die Grenze zu überschreiten. Das erste, worauf sie stoßen und womit ihre Vorstellung von der Freiheit konfrontiert wird, sind die Gesetze: internationale und Landesgesetze.

Zum Beispiel die Tatsache, daß gemäß internationaler Vereinbarungen politisches Asyl in jenem Land zu beantragen ist, das die Vereinbarung über die Gewährung des politischen Asyls unterschrieben hat und in das der Emigrant zuerst gelangt. Für die Flüchtlinge aus Osteuropa ist es klarerweise in erster Linie Österreich.

Dieses Los eines „Pufferstaates für Emigranten" hat sich Österreich nicht selbst erwählt, doch es kann und will sich ihm auch nicht entziehen. Dies stünde im Widerspruch zu den humanitären Idealen und im Widerspruch mit den natürlichen Rechten und Pflichten jeder menschlichen Gesellschaft. Daß dies kein leichtes Los ist, darüber ist niemand im Zweifel...

Es ist eine Tatsache, daß die Mehrzahl der Flüchtlinge nicht für immer in Österreich bleiben möchte und auf der Suche nach einer neuen Heimat ist, größtenteils jenseits des Ozeans - in den USA, in Kanada oder Australien. Ohne die Zusammenarbeit einer ganzen Reihe internationaler Hilfsorganisationen würde dies ein unlösbares Problem bleiben.

Die in diesen Organisationen tätigen Menschen werden buchstäblich mit Aufgaben überhäuft, von denen die Öffentlichkeit sich keine Vorstellung macht.

Es ist nicht der Zweck dieses kleinen Beitrags zum Thema „Emigration", die damit zusammenhängende Problematik umfassend zu analysieren. Nur eines sollte immer wieder ins Gedächtnis gerufen werden: nbsp;•/

In ein kleines und bei weitem nicht sehr reiches Land in Mitteleuropa zieht sich aus den benachbarten und auch entfernteren Staaten ein ununterbrochener Menschenstrom. Alle diese Menschen suchen die Freiheit. Oft treffen sie zum erstenmal in ihrem Leben mit jenen zusammen, die diese Freiheit schon besitzen. Sie erwarten nicht so sehr eine materielle Hilfe - diese wird ihnen im ausreichenden und mitunter reichlichsten Maße vom Staate und seinen Institutionen gewährt -, sondern vielmehr einfaches menschliches Verständnis.

Kaum jemand von ihnen wird wohl ein Heiliger sein. So mancher vielleicht ein leichtsinniger Abenteurer. Das war schon immer so. Doch alle stehen an der Schwelle von etwas Neuem. Ich glaube nicht zu übertreiben, wenn ich behaupte, daß ihre ersten Erfahrungen weitgehendst ihr späteres Leben prägen können.

Und vielleicht ist es gar nicht übertrieben, wenn ich meine, daß die sogenannte freie Welt nicht nur verpflichtet ist, jenen zu helfen, die nicht mehr in Unfreiheit und Lüge hinter dem Eisernen oder welchem auch immer Vorhang leben können und wollen, sondern vielleicht auch nach einer gemeinsamen Weltordnung zu streben, wo die angenommenen Gesetze für alle, die sie unterschrieben haben, ihre Gültigkeit besitzen.

Doch diese Arbeit kann nicht mehr alleine den Flüchtlingen vorbehalten sein. Es ist eine politische Arbeit, die für jeden von Bedeutung ist, auch für den, der sich heute noch frei und nicht direkt bedroht fühlt. Denn die Freiheit und Unabhängigkeit sind keine Geschenke. Sie sind etwas, worum ständig gerungen werden muß. Sie behalten ihren Sinn nur dann, wenn sie für mich und meinen Bruder gleichermaßen gelten. .

IvanWedek (FURCHE-Lesern schon von mehreren Beiträgen her bekannt) ist Musikwissenscharter und Journalist. Er emigrierte nach behördlichen Schikanen aller Art im August 1978 nach Osterreich und lebt seither mit seiner Familie in Wien. Die Ubersetzung seines Artikels aus dem Tschechischen besorgte Roswitha Ripota.

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