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Freiheit und neue Zwänge?

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Fast kommen einem jene Tage von Berlin, Leipzig oder Dres- den prähistorisch vor, aber sie lie- gen noch keine fünf Monate zu- rück: Die Tage, an denen Literaten wie Christa Wolf, Stefan Heym, Heiner Müller, Mimen wie Steffi Spira oder Ekkehard Schall, der Musiker Kurt Masur oder die Male- rin Bärbel Bohley umringt und umjubelt von Hunderttausenden friedlicher Demonstranten für die

Freiheit des Volkes wie der Künste, für eine neue demokratische Kul- tur, für eine sich demokratisch erneuernde DDR plädierten.

Heute findet man die Meister der Kultur kaum noch unter den De- monstranten. Es sind Sorgen exi- stentieller Art, die Filmemacher wie Theaterleute, Musiker und Maler heute bewegen.

Gewiß, die meist von früheren SED-Leuten verwalteten Zenso- rensessel sind leer. Heute entschei- det jeder Theaterleiter selbst, wel- che Stücke er spielt, jeder Verleger auch, welche Bücher er herausgibt. Als der seit November 1989 im Amte befindliche Kulturminister Keller öffentlich ankündigte, daß künftig

verstärkt marktwirtschaftliche Mechanismen im Kulturbereich wirksam würden, die „bald die Spreu vom Weizen trennen“, be- gann das große Nachdenken.

Vielen Künstlern hier wurde wohl erstmals bewußt: Was ihnen an künstlerischer Freiheit zuwächst, wird bald auf andere Weise neu begrenzt. Dem Nachdenken folg- ten Proteste der Künstlerverbände, der Theater, der Volkskunstgrup- pen. Proteste gegen den Abbau staatlicher Subventionen zur För- derung einer vielfältigen Kultur und Kunst sowie gegen bereits einge- tretene Verluste an sozialer Sicher- heit. Minister Keller und Künstler stritten sich in der Akademie der Künste und in anderen Gremien, verständigten sich schließlich auf eine „kulturelle geistige Grundver- sorgung“ - was auch immer das sein soll - und auf die Förderung dessen, was der Förderung bedarf. Indessen streichen jedoch viele Betriebe und Kommunen die bis- her gewährten Zuschüsse für Kul-

turhäuser, Kulturgruppen, Orche- ster oder Theater.

So kam es auf den zumeist außer- ordentlichen Kongressen der Ver- bände der bildenden Künstler, der Theaterleute, der Film- und Fern- sehschaffenden in den letzten Wo- chen neben stundenlangem Geran- gel um Verfahrensfragen (Demo- kratie ist für Leute, die im Schatten der nun abgerissenen Mauer relativ ruhig lebten, schwer zu erlernen) vor allem zu Forderungskatalogen. Die Künstlerverbände wollen sich als Partner der Regierung einbrin- gen und sie wollen vor allem, daß die Geldquellen des Staates, der Kommune und der künftigen Län- der weitersprudeln.

Viele wollen noch nicht wahrha- ben, daß Marktwirtschaft vor der Kunst nicht haltmachen wird. Es scheint unrealistisch, wenn Film- regisseure Ende Februar Auffüh- rungsgarantien für DEFA-Filme forderten: Filme, die nach vielmo- natiger Spielzeit kaum 100.000 Zuschauer haben aber fünf Millio-

nen Mark kosteten.

Im Kampf um die Bewahrung so- zialer Sicherheit und sicher im ge- wissen Umfange auch in Zukunft notwendiger Kulturförderung bleibt das Wichtigste auf der Strek- ke: Die Suche nach Wegen und die Verständigung darüber, wie unter den neuen Bedingungen in der DDR eine neue künstlerische Qualität bei Filmen und Theaterstücken, bei Bil- dern und Grafiken, bei Opernauf- führungen und Konzerten entste- hen kann, die auch ihr Publikum erreichen. Bislang leistete mancher Dokumentarfilm, manches Thea- terstück oder manche Lesung im Theater „Ersatzjournalismus“ für das, was man im Fernsehen und in Zeitungen nicht finden konnte: Pro- blemsichten und Kritik an gesell- schaftlichen Zuständen. Nun sind neue Ansätze, Inhalte und künst- lerisch ansprechende Gestaltungs- formen nötig, wenn sich Theater und Kinos nicht leeren, Bücher nicht zu Ladenhütern werden sollten.

Der Autor ist Kulturpublizist in Berlin.

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