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Freiheit und Solidarität
Man sollte meinen, daß Freiheit und Solidarität zusammengehören. Solidarität soll ja die Freiheit des einzelnen, besonders des Schwachen, schützen, und das müßte doch am besten in einer freien Gesellschaft gelingen. Das dem nicht so ist, zeigen die schrecklichen Vorkommnisse unserer Tage. Dem trägt der „Rat der Europäischen Bischofskonferenzen” Rechnung, der sich gerade zu einem Symposion in Prag versammelt unter dem Motto: „Das Evangelium leben in Freiheit und Solidarität.”
Prag ist gut gewählt. Nicht nur, weil Erzbischof Vlk Vorsitzen-' der dieses Rates ist, sondern weil damit der Blick besonders in die ehemaligen Oststaaten gelenkt wird. Dort hat es zum Teil heldenhafte Solidarität im Kampf gegen das autoritäre Regime gegeben. Heute aber, in der Freiheit, treten an die Stelle von Solidarität Nationalismus, Zersplitterung der politischen Kräfte, auch Parteiungen in der Kirche, die mühsam ihre neue Position in der nun freien Gesellschaft sucht. Braucht es immer den gemeinsamen Feind, um solidarisch sein zu können?
Was hat der „freie Westen” dazu an Erfahrung einzubringen? Leider die, daß Wohlstand in Freiheit Solidarität nicht fördert, sondern oft sogar zerstört. Die Kluft zwischen arm und reich wird größer, neue Formen der Armut entstehen, die Zahl der Arbeitslosen wächst, alte Menschen werden immer mehr als Last empfunden, Zuwanderer als bedrohliche Feinde angesehen. Der persönliche Vorteil wiegt mehr als die Not des anderen. Leben wir also wirklich in einer „postsolidarischen” Gesellschaft?
Welche Hilfe ist von der Kirche zu erwarten? Im Vorbereitungsdokument für das Symposion in Prag heißt es: „Durch kein menschliches Gesetz kann die personale Würde und die Freiheit des Menschen so wirksam geschützt werden wie durch das Evangelium Christi, das der Kirche anvertraut ist.”
Das ist nicht nur Botschaft an die Welt, sondern Gewissenserforschung für die Kirche selbst. War doch auch sie unter dem Druck von außen viel solidarischer als jetzt, wo sie in Freiheit lebt. Hat man keinen gemeinsamen Feind mehr „in der Welt”, * solidarisiert man sich nun gegen einen vermeintlichen in den eigenen Reihen. Gruppierungen bekämpfen einander und sprechen einander den rechten Glauben ab. Einfache Gläubige, Priester und Bischöfe werden Lagern zugeordnet. Die Solidarität scheint schon zu stören, wer sich die Freiheit nimmt, anders zu denken oder neue Wege sucht. Liebe zur Kirche wird mehr an Disziplin gemessen, denn an den Früchten, die ein Leben aus dem Glauben bringt.
Das Evangelium ist der Kirche anvertraut. Wirksame Impulse für mehr Freiheit und Solidarität wird sie der Welt nur geben können, wenn sie zuerst selbst deutlich macht, was Solidarität nach dem Evangelium wirklich ist.
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