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Freiwillig nach Vietnam?

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Während Österreich — mitten im tiefsten Frieden — von der r rage erschüttert wird, ob sechs Monate genügen, erörtert Präsident Nixon allen Ernstes die Frage, ob es nicht überhaupt bes- Ser,.ware, auf die Wehrpflicht zu verzichten und sich mit freiwilligen Berufssoldaten zu begnügen.

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Während Österreich — mitten im tiefsten Frieden — von der r rage erschüttert wird, ob sechs Monate genügen, erörtert Präsident Nixon allen Ernstes die Frage, ob es nicht überhaupt bes- Ser,.ware, auf die Wehrpflicht zu verzichten und sich mit freiwilligen Berufssoldaten zu begnügen.

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Der Grund für allerhöchstes Liebäugeln mit einem Berufsheer ist leicht zu erraten. Nixons politische Zukunft, sprich Wiederwahl, steht und fällt mit dem Disengagement in Vietnam, Kambodscha, Laos und wer weiß, wo noch bis dahin.

Der Begriff Disengagement scheint dabei für Mister President unvereinbare Dinge zu umschließen. So gab er kürzlich in einem seiner seltenen Unter-vier-Augen-Interviews zu verstehen, vor den Präsidentschaftswahlen 1972 werde Vietnam eine viel geringere Rolle in der amerikani-

sehen Politik spielen als heute ange- ; nommen wird, wobei er „gelöst“ in seinem Lehnsessel saß.

Gleichzeitig aber gaben autorisierte amerikanische Stellen zu verstehen, die USA würden sich „nicht einmischen“, falls sich Van Thieu (Südvietnams starker Mann) entschließen sollte, Nordvietnam direkt anzugreifen, sprich eine Invasion zu starten. Alles, was man seit Jahr und Tag über Amerikas Eigeninterpretation seiner Bündnistreue hört, deutet darauf hin, daß der Duldung eines südvietnamesischen Vorstoßes gegen Nordvietnam nur eine amerikanische Unterstützungsaktion gewaltigen bis selbstmörderischen Ausmaßes folgen kann.

Selbst wenn China die Konfrontation mit den USA scheuen sollte, nichts würde in einem solchen Fall ein Eingreifen des Gelben Riesen verhindern können. Nicht einmal er selbst. Nixon scheint heute mehr ein Getriebener als ein die Dinge aktiv Betreibender zu sein. Die Einflüsse, die von der Eigendynamik des südostasiatischen Geschehens, von den Lobbys im Pentagon und anderswo und von der wachsenden Antikriegsstimmung in der Bevölkerung ausgehen, sind zu stark. So mag „tricky Dicky“ ein öffentliches Liebäugeln mit dem Projekt eines Berufsheeres wenigstens als ein Mittel erscheinen, seine" Komprömißbereit- s’chäft und Friedensliebe’ zu dokumentieren und den militanten Kriegsgegnern etwas Wind aus den Segeln zu nehipen. Ein großer Kosmetiker war er ja immer schon.

Als reale Möglichkeit freilich steht ein Berufsheer für die USA auf Vietnamkriegsdauer kaum zur Debatte. Selbst von den Freiwilligen,

die man heute hat, wählt nur ein verhältnismäßig geringer Prozentsatz jene Waffengattungen, die in Asien zum Handkuß kommen.

Das Gesetz über die Wehrpflicht läuft am 30. Juni ab, und Nixon will es nur auf zwei Jahre verlängern lassen, was ein sehr geschickter taktischer Zug ist. Aus zahlreichen seiner Äußerungen geht hervor, daß er die allgemeine Wehrpflicht Mitte 1973 auslaufen lassen will. Im gleichen Atemzug freilich fordert er zu den für vergangenen 1. Jänner bewilligten 1,2 Milliarden Dollar weitere 1,5 Milliarden, die, so Nixon, „uns sehr viel näher an das Ziel einer reinen Freiwilligenarmee heranbringen würden“.

Freiwilligen, die sich zu den Kampftruppen melden, werden schon heute Prämien zwischen 1000 und 3000 Dollar geboten. Von den 836.000 Freiwilligen, die Ende 1969 im aktiven Dienst standen, hatte sich die Hälfte nur gemeldet, weil sie etwas später so oder so edngezogen worden wären und von den verschiedenen Begünstigungen für Freiwillige Gebrauch machen wollten. Von den 71.342 Freiwilligen des ersten Halbjahres 1970 hatten sich 43.705 für drei Jahre gemeldet, um ihr Recht, die Waffengattung zu wählen, auszunützen, und nur 2,5 Prozent von ihnen (!) wählten die Kampfeinheiten.

Immer dümmere Soldaten …

Während das Pentagon immer dringlicher nach höher qualifiziertem Personal verlangt, wurde ein Viertel aller Männer, die nach dem 1. Oktober 1966 die Armeelaufbahn einschlugen, nur unter Anwendung der als „new standards“ bekannten, herabgesetzten Anforderungen aufge- nommen. Die „new standards“ gelten auch für die Zwangssoldaten, und diesen herabgesetzten Ansprüchen fiel auch „Großmaul“ Clay zum Opfer, der vorher auf Grund seines Intelligenzquotienten als untauglich gegolten hatte. (Ein solches Abschneiden kann allerdings durchaus als Intelligenzleistung gewertet werden.)

Von den insgesamt 246.000 „unter Nachsicht aller Taxen“ in Army, Air Force und Navy aufgenommenen Männern sind 53 Prozent Freiwillige und 41 Prozent Schwarze. Die Army bekam 162.000 Mann und steckte 66.000 in die Kampftruppen, von den 26.000 Mindertauglichen, die das Marine Corps bekam, wanderten 14.000 zu den gefährlichsten Jobs, Navy und Air Force zogen es vor, zu passen.

Genaueres über den „Background“ der Freiwilligen erfuhr man von der Luftwaffe: Nur vier Prozent hatten akademische Grade, obwohl 80 Prozent High-school-Absolventen waren, der Rest, so wird lakonisch fest- gestellt, seien „dropouts“, was „Aus fälle“ bzw. fast soviel wie Versager bedeutet.

Woraus, alles in allem, der eher konservative demokratische Senator Stennis von Mississippi den Schluß zog, das Ziel der Freiwilligenarmee sei „eine Flucht vor der Wirklichkeit“. Denn weniger darf nicht bedeuten schlechter.

Auch die Gis selbst halten die Aufrechterhaltung einer Kampftruppe ohne Zwangsaushebungen für einen Witz.

Von einem anderen Standpunkt aus lehnt der Unglückssenator Edward Kennedy die Berufsarmee ab. Sie würde, so sagt er, bedeuten, „daß arme Leute den Krieg reicher Leute auszukämpfen hätten“.

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