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Freiwilliger Gang unter Moskaus Fuchtel?

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Beim jüngsten Österreich-Besuch des sowjetischen Ministerpräsidenten Nikolai N. Tichonow stand auch das’ Projekt eines Erdgasleitungsbaus zur Debatte, zu dem der Präsident des Institutes für strategische Studien in Washington und US-Kongreßberater Miles Costick für die FURCHE einen Exklusivbericht schrieb.

Der gegenwärtige Andrang von Westeuropäern und Japanern nach Energierohstoffen aus der Sowjetunion, der nicht nur die Energieproduktion der UdSSR in die Höhe treibt, sondern auch ein gefährliches Abhängigkeitsverhältnis von sowjetischen Energie-Ressourcen schafft, scheint eine außergewöhnliche Torheit der industrialisierten Staaten des Westens zu sein.

Es war erst vergangenes Jahr, als der inzwischen verstorbene Ministerpräsident Alexej N. Kossygin die wichtigsten Handelspartner der Sowjetunion von der Absicht in Kenntnis setzte, die wirtschaftlichen Beziehungen mit deren Wohlverhalten gegenüber der UdSSR in internationalen Belangen zu koppeln.

Wenn es in dieser Warnung, Handels- und politische Fragen zu verknüpfen, auch nicht ausdrücklich erwähnt ist: in Moskaus politischem Konzept der Einschüchterung spielt zusehends eine größere Rolle, daß die Sowjetunion ein bedeutender Versorger Westeuropas und Japans mit Erdöl und Erdgas geworden ist und künftig noch mehr sein könnte!

Sowjetische Kommentatoren streichen die wachsende Energiekrise der industrialisierten Staaten des Westens immer wieder besonders heraus. Und sie vergessen auch nicht, hinzuzufügen, daß die Sowjetunion sich als ein bedeutender alternativer Energie-Rohstoff- Versorger für eine Anzahl westlicher Staaten, besonders aber für die Bundesrepublik Deutschland, anbieten würde.

Die Sowjets beabsichtigen den Bau einer 6400 Kilometer langen Erdgas-

Pipeline, die von den Jamburg-Erdgas- Feldern auf der Jamal-Halbinsel im Nordwesten Sibiriens (ein Gebiet mit riesigen Erdgasreserven) nach Westdeutschland reichen soll. Dort soll sie an das bestehende westeuropäische Leitungsnetz angeschlossen werden.

Um den Bau dieser Erdgasleitung in Angriff nehmen zu können, will Moskau sich wenigstens 15 Milliarden Dollar von einer Reihe westeuropäischer Kapitalquellen (vor allem in Frankreich und der Bundesrepublik) sowie in Japan ausborgen. Die Fertigstellung des gesamten Projekts wird möglicherweise um die 35 Milliarden Dollar kosten.

Moskau drängt auf einen Zinssatz für diese Gelder, der beträchtlich unter den gegenwärtigen Sätzen auf den internationalen Märkten liegt: nämlich sechs Prozent anstatt der normalen Marktrate um die zehn Prozent.

Die Rückzahlung der Anleihen soll durch Erdgaslieferungen nach Westeuropa bis zur Fertigstellung des Projektes Mitte der achtziger Jahre erfolgen, wobei die jeweiligen Weltmarktpreise ausschlaggebend sein sollen. Gegenwärtig erklärt sich die Sowjetunion bereit, die Lieferung von zusätzlich 420 Millionen Kubikmeter Erdgas pro Jahr zu garantieren, nachdem die Pipeline fertiggestellt ist.

Gleichzeitig verlangt sie als Bestandteil eines „Handelsgeschäfts-Paketes“ die Lieferung moderner Erdgas-Förderungstechnologie aus Westeuropa, Japan und den USA; es mangelt den Sowjets nämlich an technischen Einrichtungen, mit denen das Erdgas unter ungünstigen äußeren Bedingungen (besonders Temperaturen unter dem Gefrierpunkt) aus dem Boden gefördert werden kann.

Moskaus Strategie, mit der dieser ganze Plan verfolgt wird, ist kompliziert, umfangreich und dazu bestimmt, die Macht des sowjetischen Verhand- lungs- und Handelspotentials zu vergrößern. Zu diesem Zweck sind die Sowjets -jeweils separat - an die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Belgien, die Niederlande, die Schweiz, Spanien, Österreich, Großbritannien, Japan und die Vereinigten Staaten herangetreten.

In Energieexperten-Kreisen herrscht mehr oder weniger Übereinstimmung darüber, daß die Sowjetunion einen Rückgang ihrer Energieproduktion in Kauf zu nehmen hätte, würde ihr der Westen nicht mit substantieller technischer.Hilfe unter die Arme greifen.

Einige der europäischen japanischen und amerikanischen Fachleute meinen sogar, daß ihre eigene Energiekrise die

Sowjets zwingen wird, auf den internationalen Ölmärkten als Konsument aufzutreten, was die Welt-Energiepreise in die Höhe treiben würde.

Im schlimmsten Hall, fürchten sie, könnte die Energiekrise zu einer direkten Intervention oder zu einer verstärkten Subversion (der Sowjets) in den Staaten am Persischen Golf führen, um so die dortigen Ölfelder für die sowjetische Wirtschaft in Besitz nehmen.

Um diese Möglichkeiten von vornherein auszuschließen, so argumentieren politische Entscheidungsträger in den „trilateralen“ Staaten (USA, Westeuropa, Japan: d. Red.), müßte der Westen den Sowjets helfen, ihre Energie-Rohstoffe abzubauen beziehungsweise zu fördern.

Aber: Wenn der Westen weiter eine Politik verfolgt, wie sie durch die Mitarbeit am Jamal-Projekt angedeutet

ist, könnte sich Westeuropa alsbald in einer Situation wiederfinden, in der es einerseits von der (unzuverlässigen und unsicheren) Versorgung mit öl aus dem Persischen Golf, andererseits von sowjetischen Erdgasexporten abhängig ist: es wäre eine katastrophale Situation!

Wenn man die westeuropäische-Abhängigkeit vom sowjetischen Erdgas erwähnt, muß man hinzufügen, daß sie gleich eine Anzahl von Staaten betrifft. Wenn es auch stimmt, daß die Erdgas- Importe aus der Sowjetunion nur fünf Prozent des gesamten westeuropäischen Energiebedarfs ausmachen, untertreibt diese Zahl die wirkliche Bedeutung des Erdgases für die Volkswirtschaften Westeuropas doch beträchtlich.

Um nur ein Beispiel zu nennen: die Bundesrepublik Deutschland. Wenn die Pipeline Mitte der achtziger Jahre vollendet sein sollte, kommen 40 Prozent der westdeutschen Erdgasimporte aus der Sowjetunion. Zwar sind dies nur sieben Prozent des gesamten westdeutschen Energiebedarfs, aber dieser Energieträger ist praktisch unersetzbar.

Wenn also das sowjetische Erdgas aus technischen oder politischen Gründen nicht mehr nach Westdeutschland fließt, muß sich Bonn nach anderen Versorgern umsehen. Nur: einen ins Gewicht fallenden „Spot“-Markt für Erdgas gibt es nicht

Die chemische, die petrochemische und die Stahlindustrie, Westdeutschlands wichtigste Erdgas-Verbraucher, sind von größter Bedeutung für die wirtschaftliche Stabilität der Bundesrepublik. Ein größerer Ausfall dieses Energie-Rohstoffes hätte augenblicklich schwerwiegende Folgen für

die gesamte Wirtschaft des Landes.

Alternativen zum sowjetischen Erdgas-Geschäft gibt es, und sie verdienen die ernsthafte Berücksichtigung durch westeuropäische und amerikanische Entscheidungsträger, noch bevor sie mit Moskau handelseinig werden.

Eine Alternative sind die riesigen

hle-Reserven in den Vereinigten Staaten. Sie könnten abgebaut und nach Europa verschifft werden. In jedem Land könnten Kohle-Verflüssigungsanlagen errichtet und mit dem westeuropäischen Pipeline-Netz verbunden werden.

Während die Erdgas-Reserven der Sowjetunion 30 Jahre ausreichen, um Westeuropa zu versorgen, reichen die

amerikanischen Kohlevorräte noch für 300 Jahre.

Unsere vorläufigen Untersuchungen haben ergeben, daß dieser Alternativplan technisch durchführbar ist und auch finanziell durchaus mit dem sowjetischen Pipeline-Projekt konkurrieren kann. Am wichtigsten aber ist:

Die ganze logistische Infrastruktur die Förderungs-, Verarbeitungs- und Verteilungseinrichtungen) wäre in westlichen Händen. Westeuropas Verletzbarkeit durch Abhängigkeit von sowjetischem Erdgas wäre gleich null!

Eine zweite Alternative wäre eine Erdgasleitung aus dem Nahen Osten nach Westeuropa, um an die riesigen Reserven dieser Region heranzukommen, die heute größtenteils ungenutzt abgefackelt werden.

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