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Fremde in Deutschland

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Manchmal beschert unit das KabelferasehenEinblicke in Denkweisen, die sich im Nachbarland noch breiter machen als bei uns. Eines Abends drückte ich einen Knopf an der Fernbedienung meines TV-Apparates und fand mich mit einem Grüppchen entschlossen blickender Leute aus Bayern konfrontiert, die sich im Studio eingefunden hatten, um eine Lanze für Fremdarbeiter und Spätaussiedler zu brechen. Ein mutiges Unternehmen, das man, wie ich aus dem Programmheft erfuhr, mit einem mutigen Motto überschrieben hatte. „Deutschland nur für die Deutschen?“ Das Fragezeichen war eine Herausforderung, man erwartete Telefonanrufe, die man öffentlich diskutieren wollte.

Irritierend für mich war dabei, daß es sich, als ich mich in das Programm eingeschaltet hatte, um Rückwanderer aus Rumänien, um Banater Schwaben also, vor allem,

wie sich herausstellte, um Siebenbürger Sachsen handelte, die der Veranstalter allerdings irrtümlich auch Schwaben nannte. Was sind Banater Schwaben, was sind Siebenbürger Sachsen anderes als Deutsche? Würde man einem von ihnen eine diesbezügliche Frage stellen, würde er dies als Infamie betrachten - mit Recht. Im Nachbarland scheint man zum Teil anderer Meinung zu sein.

Während ich auf den Bildschirm blickte, erinnerte ich mich an eine Reise, die ich genau vor zehn Jahren, im Juni 1979 also, mit einer Gruppe befreundeter Autoren und Maler unternommen hatte. Wir waren damals mutig in ein uraltes Flugzeug der rumänischen Luftfahrtgesellschaft geklettert; wenn ich mich richtig erinnere, war es noch eine Propellermaschine, man hatte uns jedoch versichert, diese alten Maschinen seien sicherer, als die modernen. Ich glaubte das nicht, ich hatte große Bedenken, vor allem in jenen Minuten, in denen wir in eine Gewitterfront eintauchten, die Wolken sich rund um uns mittel- bis tintenblau türmten und grellweiße Blitze uns gefährlich umzuckten. In Bukarest, damit hatte man den verspäteten Start entschuldigt, seien Hagelschloßen niedergegangen, groß wie Hühnereier, jemand behauptete sogar wie Kinderköpfe. Es ging jedoch zu meiner Überraschung gut aus, wir überlebten den Flug.

Ich sah Bukarest damals zum ersten und, wie ich heute weiß, auch zum letzten Mal, jedenfalls so, wie es damals noch war. Ich sah es zuerst vom Fenster meines im zwölften Stock des Hotels „Modem“ gelegenen Zimmers aus, eine Zwei- millionen£tadt,Verwaltungs-, Wirtschafte- und Kulturzentrum, Kongreßstadt, Messestadt, wie ein Reiseprospekt versicherte. Großspurig formulierte man anschließend: ,Mächtige Zitadelle einer breit gefächerten Industrie“. Dann sah ich, durch das Fenster eines Autobusses, die Innenstadt durchfahrend, ein Gemisch von Baustilen verschiedener Epochen, Prunk- und Profanbauten in Wiener und Pariser Manier, etwas Ringstraßenstil mit orientalischem Einschlag, etwas Boulevard Saint Michel, schmiedeeiserne Tore, weite, mit Granitsteinen gepflasterte Plätze, mächtige Linden- und Kastanienalleen.

Ich ging über Bauernmärkte, auf denen jene Glücklichen, die noch ein Gärtchen besaßen, kleine Häufchen Karotten anboten, und betrat Läden auf der Leipziger Straße und vom Rauch unzähliger Kerzen geschwärzte Innenräume orthodoxer Kirchen; irgendwo breitete ein Ikaros bronzene Flügel aus und Lenin blicktę ernst und überlebensgroß vom steinernen SockeL Bis in die letzten Winkel der Seitengassen drang der süße Duft der Lindenblüten.

Einst, als die Stadt noch durch den b erühmten, vonfunkensprühenden Lokomotiven gezogenen „Orient-Expreß“ mit der französischen Metropole verbunden gewesen war, hatte man sie das „Paris des Ostens“ genannt.

Ich war zu Gast im Verlag „Kriterion“, der damals noch alljährlich eine Menge deutscher Bücher auf den Markt brachte, deutsch geschriebene Bücher deutschsprachiger Autoren für deutsch sprechende Leser im Land. Ich war auch zu Gast in der Redaktion der Zeitschrift „Neue Literatur“. Zwölfmal jährlich hatte man mir ein Heft nach Wien geschickt, bis zu 130 Seiten stark, Prosa und Lyrik vorwiegend rumäniendeutscher Autoren, aber auch von deutschen Schriftstellern übersetzte Texte rumänischer Kollegen, Proben deutscher Lyrik und Prosa aus Österreich, Deutschland, der Schweiz, dazu ein Rezensionsteil, der wichtige Neuerscheinungen in diesen genannten Ländern gewissenhaft registrierte, dazu ein Anhang, der einen informativen Überblick über kulturelle Ereignisse in der ganzen Welt vermittelte. Eine beachtenswerte, eine wichtige Publikation. Ich las, beim Frühstück im Hotel „Modem“, die deutschsprachige Tageszeitung „Neuer Weg“.

Von Bukarest weg fuhren wir durch die Tiefebene der Walachei, ein weiter Himmel dehnte sich über Weizen- und Erdölfeldern. Wir durchquerten die Hügellandschaft der Vorkarpaten, fuhren das Fluß tal der Prahova entlang, in Sinaia erblickten wir die von Carol L im Stil der in der Schwäbischen Alb gelegenenHohenzollemburg errichtete Sommerresidenz der rumänischen Könige. Carol L war ein deutscher Prinz aus dem Hause derer von Hohenzollem-Sigmaringen gewesen. Am Karpatenkamm, sagte man uns, 6ei früher die rumänischösterreichische (oder rumänisch- ungarische) Grenze verlaufen, jenseits dieser Grenze liege Transsylvanien, das Land hinter den Wäldern. Dorthin, in das „Altland“, das von Geza IL im zwölften Jahrhundert mit deutschen Kolonisten besiedelt worden war, nach Siebenbürgen also, waren wir unterwegs.

Die ersten Bewohner des Landes, teilte man uns mit, seien die Daker gewesen. Wir aßen im idyllisch gelegenen Erholungsgebiet „Schulle- rau“ zu Mittag in einer neu erbauten, spitzgiebeligen Dakerscheune, unter Gehängen von Paprikaschoten und Knoblauchbündeln. Daker in ledernem Wams und Dakerinnen in fließenden blauen Leinengewän- dem servierten die Speisen. Ein kleiner, schwarzhaariger Daker, auf dessen Namensschild Gregorius Gica stand, stellte den Suppenteller vor mich hin, ein anderer, baumlanger, mit struppigem Blondhaar, hieß Sattler Karli, er verkaufte mir eine Flasche mit Original-Tannenschnaps für sechzig Lei. Eine Dakerkapelle spielte gefühlvoll Melodien von Robert Stolz. In Bukarest hatten uns Zigeuner „Warum ist es am Rhein so schön“ und „In München steht ein Hofbräuhaus“ in die Ohren gegeigt.

In Kronstadt, das jetzt nur noch Brasov heißt, verzichtete ich auf den geplanten Besuch im berühmten Lokal „Karpatenhirsch“ und betrachtete statt dessen von der leeren Kaffeehausterrasse des leeren Restaurants auf dem Kronstädter Hausberg, die „Zinne“, die in die siebenbürgische Ebene hinein wuchernden neuen Wohn- und Industrieviertel, auf der anderen Seite die sich in die Hügel drängende Altstadt, die einst, im Mittelalter, das wichtigste Handelszentrum des Landes gewesen war. Hier saßen die reichsten Kaufleute, hier kreuzten sich damals die wichtigsten Straßen, hier liefen die Fäden zusammen. Später wich ich dem Gedränge flanierender Sonntagsspaziergänger in der Fußgängerzone der Innenstadt in stille Seitengassen aus, betrat die berühmte Schwarze Kirche, hörte kaum ein deutsches Wort.

Bis zum Ersten Weltkrieg hatte der deutsche Bevölkerungsanteil von Kronstadt noch fünfzig Prozent betragen. Ich konnte jedoch lesen, daß es einen deutschen Bach-Chor gab. Und es gab eine deutsche Zeitung, die „Karpatenrundschau“, wenn sie sich auch, der Papierknappheit wegen, auf acht Seiten beschränken mußte. Auch in Hermanns tadt, das nur noch Sibiuheißt und früher auch einen ungarischen Namen hatte - Nagyszeben -, gab es eine deutsche Tageszeitung. Und ein deutsches Theater. Und eine deutsche Theaterzeitung, „Der Thespiskarren“.

Auf dem B auemmarkt fragte mich eine Frau, ob ich ihr zur Auswanderung nach Deutschland raten würde. Ihre Kinder wären 6chon dort, aber sie könne sich nicht vorstellen, von hier wegzugehen. Das hier, sagte sie,sei dochihr Lebengewesen. Und wer würde die Gräber pflegen, wenn sie nicht mehr hier wäre? Nein, so leicht ging man nicht von zu Hause fort.

Wir kamen durch rumänische und vingarische Dörfer, deutsche Touristinnen verteilten Kaugummi unter den Kindern, hier und dort begegneten wir einer Gänseherde, Störche nisteten auf den Dächern. So idyllisch, wie sich diese Dörfergaben, warensie sicherschon damals nicht mehr. Wir kamen an Ortschaften vorbei, die Agneten, Neidhausen, Wurmloch und Traubental hießen. In Siebenbürgen hatten einst Rumänen, Ungarn und Deutsche in Eintracht zusammengelebt. Wir sprachen mit evangelischen Pfarrherren und gewannen den Eindruck, hier sei die Kirche noch eine „feste Burg“, wir besichtigten von deutschen E inwanderem einst zum Schutz des Landes gebaute Wehrkirchen oder Kirchenburgen. In Michelsberg bewirtete uns eine Frau mit Holunderblüten- sekt. Sie sagte: Ich weiß nicht, warum sie alle fortwollen. Ich verstehe das nicht Überall, wohin wir auch kamen, wurde vom Weggehen oder Bleiben gesprochen.

Zu der Fernsehsendung hatte man eine Gruppe junger Sie- benbüiger Sachsen geladen. Sie kamen in ihrer kostbaren, reich bestickten Tracht und führten auf Wunsch des Veranstalters einen Volkstanz vor. Das hübscheste Mädchen holte man vor das Mikrophon. Man stellte ihm Fragen. Ob es nicht Schwierigkeiten mit der Sprache hätte, hier im fremden Deutschland? Hätte ich die gute Absicht des Interviewers nicht sofort durchschaut, hätte ich das für eine Infamie gehalten. So aber ahnte ich: Auch diese Leute aus Rumänien, die immer Deutsche gewesen waren, betrachtete man als Fremde, als Eindringlinge, die besser geblieben wären, wo sie gewesen waren, auch ihnen brachte man, in unerhörter Selbstüberschätzung, Mißtrauen entgegen. In ihrem Fall kam zu diesem Mißtrauen noch eine besonders hinterhältige Ignoranz.

Das Mädchenparierte schüchtern, aber richtig. Nein, sagte es, man habe ja in der Schule und auch im Elternhaus immer deutsch gesprochen.

Der Mann zeigte sich sichtlich erleichtert, während der Sendung hatte es eine Reihe bösartiger Anrufe gegeben. Dieses Mädchen stand hier für alle ins Land gekommenen Siebenbürger Sachsen auch für die Banater Schwaben, seine Antworten würden für alle gelten. Mutig geworden, wollte er die Bestätigung noch einmal, und so kam er auf die unglückselige Idee, weiter zu fragen.

Ob das, was man eben gesehen habe, ein deutscher Tanz gewesen sei?

Nein, sagte das Mädchen, ein sächsischer Tanz. Man tanze ihn heute noch in den Dörfern.

Aber ihr habt doch sicher in eurem Dorf deutsche Tänze getanzt? bohrte der Interviewer verzweifelt.

Das unglückliche Kind mit dem treuherzigen Augenaufschlag verstand seine Absicht leider nicht. Nein, 6agte es, deutsche Tänze haben wir nicht getanzt.

Gott weiß, was sie damit eigentlich gemeint hat, dachte ich, aber es wird wahrscheinlich Wasser auf die Mühlen der Übelwollenden sein.

Seit meiner Reise durch Rumänien vor zehn Jahren sind in aiesem Land viele Veränderungen vorgegangen. Die Gassen der Buka- rester Altstadt, die ich durchwandert habe, sind zum großen J?eil abgerissen worden, das „Paris des Ostens“ gibt es nicht mehr. Auch von den Dörfern, die wir durchfuhren, sind viele verschwunden. Rumänien quält und vertreibt seine Ungarn und verkauft seine Deutschen für eine Kopfstimme von neuntausend Mark; demnächst, so heißt es, wird diese Summe um ein Drittel erhöht werden müssen. Wie groß ist die Zahl derer, denen die Banater Schwaben und die Siebenbürger Sachsen beweisen müssen, daß sie wirklich Deutsche sind?

Die Hefte der Zeitschrift „Neue Literatur“ sind übrigens mit der Zeit immer dünner geworden und trafen immer seltener bei mir ein, bis sie schließlich überhaupt nicht mehr kamen.

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