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Fremdenverkehr und leichte Muse
Theater in Niederösterreich: Da stellt man sich vor allem gepflegtes Sommertheater mit sommerurlaubenden Burgschauspielern vor, billige Unterhaltung im Winter. '
Theater in Niederösterreich: Da stellt man sich vor allem gepflegtes Sommertheater mit sommerurlaubenden Burgschauspielern vor, billige Unterhaltung im Winter. '
Touristenromantik, Gelsen im Sommer, der Heurige nach dem Theater. Von einer Theaterkultur in Niederösterreich konnte und kann wohl schwer die Rede sein. Auch wenn es Autoren gibt, die Stücke schreiben und zwei Bühnen (St. Pölten und Baden), die ständig spielen.
Es gibt kein kulturelles Zentrum in Niederösterreich, keine Hauptstadt. Bestes Beispiel: Als man heuer zum ersten Mal eine Niederösterreichische Galerie etablieren wollte, verfiel man auf Wien als Standort.
Beim Theater ist es ähnlich: Die Niederösterreicher fahren nach Wien, wenn „wir gutes Theater sehen wollen“. In St. Pölten und Baden hal-ten's nur die Hartnäckigsten aus. Beide Bühnen haben Zweispartenbetrieb: Sprechtheater und Operette. Die eine aus Tradition, die andere, weil sie „das nötige Geld bringt“.
Seit fast einem Jahrzehnt spricht man von einer Fusionierung der beiden Bühnen. Einige Vorschläge wurden durchdiskutiert und dann wieder verworfen. Fazit: Seit 1972 gelten die Verhandlungen als „eingefroren“. Man verhandelt nicht mehr, man munkelt nur noch.
Zum Leidwesen der Bevölkerung.
Leopold Grünzweig, sozialistischer Kulturlandesrat, träumt immer noch yon einer engen Zusammenarbeit der beiden zerstrittenen Bühnen: „Ich halte ein Zusammengehen der beiden in Niederösterreich existierenden ständigen Bühnen für notwendig, und zwar im Interesse der Konkurrenzfähigkeit gegenüber den Wiener Bühnen und eines sinnvolleren Einsatzes der gegebenen personellen und Ausstattungsmöglichkeiten. Eine gemeinsame Intendanz und Verwaltung sowie eine gemeinsame Spielplangestaltung wären die unmittelbar anzustrebenden Ziele.“
Wann es so weit kommt, steht in den, Sternen.
Der Badener Bürgermeister, Vorsitzender der „Niederösterreich Gesellschaft für Kunst und Kultur“, Dr. Viktor Wallner, schiebt den Schwarzen Peter den St. Pöltnern zu. „Dort fehlen die geeigneten technischen Voraussetzungen“, außerdem habe man dort „Schwierigkeiten bei der Einhaltung der Termine“. Man hat den Eindruck, das es Herrn Wallner nicht ganz so unrecht ist, daß es zu keiner Fusionierung kommt.
Lokalpatriotismus auf Niederösterreichisch?
Zweiter Akt im Niederösterreichischen Theaterleben: Der Niederösterreichische Theatersommer. Da spielen acht Bühnen (Neulengbach, Deutsch Altenburg, Stockerau, Schwechat, Krems, Perchtoldsdorf, Melk, Baden) an Wochenenden in den Sommermonaten.
Das Ergebnis: Ein überraschend hoher Publikumszustrom, überraschend hohe Einnahmen (wenn es nicht regnet). Das Publikum allerdings kommt zum Großteil aus Wien. Zum kleineren Teil aus dem Land oder aus der näheren Umgebung. Schwellenangst auch zuhause?
Für die Wiener ist das Ganze ein „netter Sonntagsausflug“: „Wir können uns einen schönen Tag machen, Spazierengehen, dann ins Theater und anschließend zum Essen. Da hat man frische Luft und Kultur. Und die Romantik des Freilufttheaters.“ .
Bei der Stückwahl vertrauen die .Intendanten auf Klassisches und auf Starschauspieler. Wie etwa in Neulengbach, wo man einen Zyklus „Die klassische Komödie“ gibt. Heuer war die „Minna von Barnhelm“ an der Reihe. Mit einer ganzen Armada von Burgschauspielern: Frank Hoffmann, Else Ludwig, Peter P. Jost, Heinrich Schwaiger, Helmut Janatsch. Für die gestreßten Schauspieler ist es ein „echter Spaß. Auch
wenn wir nicht so viel verdienen“. Inoffiziell sind es mehr als 30.000 Schilling pro Monat.
In Deutsch Altenburg (Carnuntum) spielte man heuer Eichendorff, in Melk verließ man sich auf die Zugkraft von Nestroy, in Schwechat ebenfalls, in Perchtoldsdorf spielte man Schillers „Räuber“, die sogar vom Fernsehen aufgenommen wurden, für Stockerau hatte man einen alten englischen Dramatiker ausgegraben, in Baden beglückte Ralph Benatzky die kulturbeflissenen und weindurstigen Touristen.
Alles in allem: Erfolg durch Konvention, durch Namen, durch Vertrautes und (meistens) Schönwetter.
Überraschender Nebeneffekt: Das
starke Interesse der Schüler. Es kamen so viele Kartenbestellungen von Schulklassen, daß man oft Zwischenvorstellungen einschieben mußte.
Was nicht stattfindet: Das Experiment. Die Konfrontation mit zeitgenössischen Stücken. Vom Sommertheater kann man sich das auch nicht erwarten. Da geht es vor allem um touristische Nebeneinnahmen, um die vielzitierte Umwegrentabilität.
Das Traurige: Auch in den ständigen Theatern finden Konfrontationen kaum statt. Da gab's vor Jahren einen Dramatikerwettbewerb: Zwei Autoren hatten zusammen ein Stück geschrieben und waren „durchgefallen“. Auch deshalb, weil man ihr Stück lieblos und ohne Anstrengungen heruntergespult hat. Weil man plötzlich Angst vor der eigenen Courage bekommen hat. Schade.
Der nächste Festspielsommer aber kommt bestimmt.
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