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Fresken und Visionen

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Für das Theätre du Jorat bei Lausanne, wo man ein neues Drama von Rene Morax aufführen wollte, schrieb Arthur Honegger die Musik zu „König David“. Innerhalb von drei Monaten des Jahres 1921 war die Riesenpartitur beendet, die in Wien bisher nur konzertant erklungen ist. In der etwa einstündigen Oratorienfassung, die zwei Jahre später entstand, treten zum großen Chor und Orchester mit Orgel und drei Solisten zwei Sprecher: eine Männer-und eine Frauenstimme.

In der Aufführung im Großen Musikvereinssaal waren die Ausführenden das ORF-Symphonieorchester, der große Chor des Singvereins, Renate Holm, Juanita Por-ras, Adolf Dallapozza, ferner Hans Christian und Franziska Kalmar (Sprecher und Sprecherin) sowie Rudolf Scholz — Orgel. Diesen Riesenapparat fest zusammenzuhalten, die Gewichte richtig zu verteilen und für kaum nachlassende Spannung zu sorgen: dafür ist Hans Swarowsky der rechte Mann. Er wurde zusammen mit allen Ausführenden lebhaft gefeiert.

Wir erinnern uns noch lebhaft an die Wiener Erstaufführung dieses aus 27 Teilen bestehenden Riesenfreskos im Konzerthaus. Es war damals eine der ersten Wiederbegegnungen mit dem berühmten Schweizer Komponisten nach dem Krieg, und man war sehr beeindruckt. Der Reichtum seiner Palette, die mit sicherer Hand hingesetzten Farben, auch die oft drastischen Effekte imponieren nach wie vor. Viele Teile, dramatische oder lyrische, etwa der Tanz vor der Bundeslade, die Vokalisen des Frauenchores in der Klage von Gilboa und die beiden Bußpsalmen mit den für Honegger so charakteristischen tiefen Bässen imponieren auch heute noch durch die Frische ihrer Inspiration und das souverän gehandhabte Metier. Anderes ist ein wenig verblaßt. Doch bleibt der Eindruck von einem Standardwerk der Moderne aus jenen so überaus ergiebigen zwanziger Jahren, zumal die Ausführung kaum einen Wunsch offenließ.

Auch die den interessanten Abend einleitende Musik „Nobilissima Visione“ aus dem Jahr 1938 von Paul Hindemith war ursprünglich für die Bühne konzipiert. Es handelt sich um ein Ballett für Leonid Massine, das dieser auch mehrfach in europäischen Hauptstädten und in den USA aufgeführt hat. Die szenische Realisierung dieser Franziskuslegende — von der Erweckung des Heiligen bis zum großen Sonnengesang — ist nicht einfach, zumal Hindemiths Musik ihren symphonischen Charakter kaum jemals verleugnet. Die drei-teüige Suite ist gut anzuhören und macht den allerbesten Eindruck. Ob Meditation und Hochzeit mit der Armut, ob kriegerischer Marsch oder Pastorale und große Passaca-glia: sie zeigen alle die soliden Qualitäten der Hindemithschen Kunst und die vorteilhaftesten Seiten seiner Begabung. Hier waltet, besonders in den lyrischen Teilen, die in ihrer Keuschheit und spröden Armut an die berühmte Uta im Naumburger Dom erinnern, eine Feinheit der Empfindungen, der man bei Hindemith immer dann begegnet, wenn er meditativ wird oder religiöse Gefühle ausdrückt. — Auch dieses Werk hat Hans Swarowsky mit dem ORF-Orchester mustergültig dargeboten.

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Immer wieder muß man in Wien an den 1899 in St. Petersburg geborenen Alexander Tscherepnin erinnern, der nicht nur fünf Klavierkonzerte geschrieben hat, die er (auch heute noch) meisterhaft vorträgt, sondern der auch der Autor mehrerer Opern, Ballette, von fünf Symphonien und vieler interessanter Kammermusik ist. Im Kreis von Glazunow, Prokofleff, des jungen Strawinsky, Schaljapins und der Tänzerin Anna Pawlowa aufgewachsen, hielt er sich später in Paris und New York, vor allem aber längere Zeit in China auf, dessen Musikleben er wesentlich beeinflußte. So atmet auch seine Musik kosmopolitischen Geist. Sein 5. Klavierkonzert schrieb Tscherepnin im Auftrag der Berliner Festwochen 1963, wo es durch die Philharmonia Hungarica unter Caridis uraufgeführt wurde. Es hat einen brillanten Solopart und ist pikant instrumentiert. Russische Folklore klingt im langsamen Mittelteil an, an Bartök erinnert die scharfe rhythmische Profilierung der Ecksätze und der virtuose Einsatz eines reichhaltigen Schlagwerkapparats. Wir hörten das gelungene Werk in einem ORF-Konzert der Wiener Symphoniker unter der absolut sicheren Leitung von Horst Stein mit dem Komponisten am Flügel.

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