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Fresko aus der Untersteiermark

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Es war im August 1969, als in Slowenien das Unbehagen gegenüber Belgrad erstmals offen ausbrach. Der Anlaß hiefür war der untersteirische Abschnitt der slowenischen Autobahn in einer Länge von 50 Kilometern zwischen Maribor (Marburg an der Drau) und Celje (Cilli). Das Projekt mußte durch die Internationale Bank in Washington finanziert werden, die Belgrader Regierung hatte jedoch in ihrem offiziellen Gesuch an die Bank den schon bestätigten untersteirischen Abschnitt, ohne irgend jemanden zu benachrichtigen und ohne irgendeine Erklärung, ausgelassen.

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Es war im August 1969, als in Slowenien das Unbehagen gegenüber Belgrad erstmals offen ausbrach. Der Anlaß hiefür war der untersteirische Abschnitt der slowenischen Autobahn in einer Länge von 50 Kilometern zwischen Maribor (Marburg an der Drau) und Celje (Cilli). Das Projekt mußte durch die Internationale Bank in Washington finanziert werden, die Belgrader Regierung hatte jedoch in ihrem offiziellen Gesuch an die Bank den schon bestätigten untersteirischen Abschnitt, ohne irgend jemanden zu benachrichtigen und ohne irgendeine Erklärung, ausgelassen.

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Es war wahrscheinlich das erstemal, daß man sich in Slowenien inner- und außerhalb der Partei gegen derartige Alleingänge der Bundesregierung in Belgrad erhob, in Laibach, das sich für die „Provinz“ sonst nicht allzusehr zu interessieren pflegt, genauso heftig wie in der Untersteiermark. Diesem slowenischen „Nationalismus“ wurde drei Jahre später, im neuen jugoslawischen „demokratischen Zentralismus“, dadurch Rechnung getragen, daß man die damalige slowenische liberale Parteiführung absetzte.

Aber die offene slowenische Opposition gegen Belgrad brachte Erfolg. In einem späteren Gesuch an die Internationale Bank, die 40 Prozent der Baukosten zu kreditieren bereit war, wurde der untersteirische Autobahnabschnitt berücksichtigt. Die Bauarbeiten gehen heute ihrem Ende zu und ein inzwischen fertiggestellter Abschnitt von 17 Kilometer Länge an der Schnellstraße zwischen Maribor und Zagreb (115 km), unterhalb Ptuj (Pettau), wurde freigegeben. Das dabei seitens Laibach für untersteirische Probleme gezeigte Interesse vermag jedoch nicht ganz eine gewisse Rivalität zwischen Laibach und Marburg zu beseitigen, deren Wurzeln vor allem in der wirtschaftlichen Stagnation der Untersteiermarik während der Nachkriegsjahre mit ihrem jugoslawischen Zentralismus liegen dürften, als man auch in der slowenischen Hauptstadt Laibach ausschließlich die Expansion von Laibaoher Unternehmungen unterstützte. Auch noch in jüngster Zeit hat die „Ljubljanska banka“ (Laibacher Bank) sich sämtliche Kreditinstitute Sloweniens angeschlossen und diese „Integration“ mit einer Rationalisierung der Geschäftsführung und größeren Gewinnchancen begründet. Nur die „Kreditna banka Maribor“ (Marburger Kreditbank) konnte sich einstweilen den Laibacher Fusionswünsohen entziehen, da sich in ihrem Einzugsbereich einige große Betriebe befinden wie i die Haushaltsmaschinen-fabrik „Gorenje“ in Velenje (Wöllan), die größte derartige Fabrik Jugoslawiens, ferner dtie Lkw-Werke TAM in Maribor, die mit der bundesdeutschen „Deutz“ kooperieren und zu einer Produktionskapazität von 13.000 Lkw jährlich ausgebaut werden sollen; ferner die „Dravske elektrarne“ (die Drau-Kraftwerke), mit ihrem sechs Speichern oberhalb Maribors die größten Kraftwerke Sloweniens.

Noch vor wenigen Jahren wollte man Maribor, da die größten E-Werke in seinem Einzugsbereich liegen, zum Sitz der Vereinigten Slowenischen Elektrizitätsgesellschaft machen, weil es sich aber auch um eine beträchtliche Kapitalakkumulation handelte, unternahm man in Laibach inner- und außerhalb der Partei alles- Erdenkliche, um diesen Plan zu unterbinden. Dies gelang denn auch, nicht zuletzt unter dem ewig wiederholten Motto, Slowenien sei klein und könne sich eine Zersplitterung seiner materiellen Kapazitäten nicht leisten.

Dementsprechend beeilt man sich an den zentralen Stellen, diese Auffassung auch nationalideologisch, sehr vereinfacht natürlich, zu untermauern. Indem man dem Hauptort Sloweniens eine überprovinzielle Bedeutung zu verleihen und gleichzeitig die Reste aus der angeblich „fremden“, österreichischen Zeit abzubauen glaubt, bemüht man sich, dem slowenischen Raum funkelnagelneue Bezeichnungen zu verschaffen. So will man heute in Slowenien offiziell nichtmehr die jahrhundertealte Bezeichnung „Spodnja Starjerska“ (Untersteiermark) zulassen, sondern spricht von Nordost-Slowenien“ oder, „wissenschaftlicher“, von der „Nordost-Region“. Aber die Slowenen sind trotz ihrer progressiven Regierung höchst „konservativ“ und für neue Bezeichnungen schwerhörig. Die „Spodnja Stajerska“ hält sich hartnäckig, dank ihrer Besonderheiten und ihrem natürlichen und geschichtlichen Milieu, auf das die Untersteirer nicht ohne Grund stolz sind.

Der größte slowenische Aufklärer seiner Zeit, Bischof Anton Martin Slomsek, war Untersteirer. In der nationalliberalen Zeit residierte er als Bisohof in St. Andrä im Lavant-tal, von wo er den Diözesansitz nach Maribor verlegte. Er war ein österreichischer Patriot, ein „Austria-kant“, wie man heute sagen würde. Doch er wußte, wie schädlich es sich auf den Charakter des Menschen und auf sein geistiges Wohl auswirken muß, wenn er seine Sprache aufgeben muß. Deshalb gründete er in Klagenfurt im Jahre 1852 die Buchgemeinschaft der „St. Hermagoras Bruderschaft“ (Druzba sv. Mo-horja). Diese Bruderschaft besteht heute noch in Klagenfurt und leistet Missionsarbeit unter den Kärntner-und Exilslowenen. Es ist der älteste slowenische Verlag überhaupt.

Aus den Windischen Büheln stammte Dr. Jakob Missia, Fürsterzbischof und Kardinal in Görz (1898 bis 1902), der in den Küstenländern seines sanften Charakters wegen unvergessen blieb. Aus den Windischen Büheln (Slovenske gorice) stammte auch Major Vladimir Vauhnik, vor dem Zweiten Weltkrieg jugoslawischer Militärattache in Berlin, Absolvent der Militärakademie von Wiener Neustadt. Vauhnik war einer der geschicktesten Militärexperten zwischen beiden Weltkriegen und der einzige, dem der Gestapochef Schellenberg in seinen Memoiren Anerkennung schenkte. Aus Maribor stammte ferner Tegetthoff, der Sieger in der Seeschlacht von Vis (Lissa 1866), der in Slowenien heute totgeschwiegen wird. Untersteirer waren außerdem noch der Gründer der Grazer Puch-Werke, der bekannte Geograph Kozenn (Ko-zenn-Atlas) und der Slawist Franz von Miklosich (Miklosic).

Mehr Aufmerksamkeit „verdiente“ sich in neuerer Zeit allerdings der Marburger Milko Skoflc, als er noch der Gatte des italienischen Filmstars Gina Lollobrigida war.

Mariibor (Marhurg an der Drau), 120.000 Einwohner, ist Zentrum der Untersteiermark. Die Stadt besitzt eine sehr malerische Lage an der Drau, unter dem grünen Pohorje (Bachergebirge), zu dessen hoch gelegenen Plateaus eine Gondelbahn führt und im Winter den Marburgern herrliche Skigebiete erschließt. Von der Nordseite her blicken die Weinberge der Slovenske gorice (Windischen Büheln) bis in die Stadtmitte hinein. Maribor ist heute vorwiegend Industriestadt und hat viel von seiner alten Romantik verloren. In der einst überwiegend fteütschsprachigen Stadt wird kaum noch Deutsch gesprochen. In den Geschäften kommen aber die-zahlreichen Einkaufstouristen aus dem benachbarten Österreich mit Deutsch recht gut zurecht. Das einstige bürgerliche Milieu der Stadt ist fast verschwunden, dagegen findet man viele Jugendliche auf allen Straßen. Diese Jugendsoharen besuchen großteils die Marburger Mittel- und Hochschulen, die sich allmählich zu einer Universität auszuwachsen beginnen, die neben der Laibacher die zweite slowenische Universität werden solL Mit dieser Konkurrenz, die jedenfalls auf einer qualitativen Basis beruhen sollte, hat man sich in Laibach schließlich abgefunden.

In Maribor befindet sich auch der derzeit größte slowenische Verlag, „Obzorja“. Zum Aufstieg verhalf ihm vor allem die kühne Entschlossenheit seiner Leitung, als sie in den vergangenen Jahren die Parteizensur nicht allzu ernstnahm. Viele Autoren, die in Laibach bei der Partei in Ungnade gefallen waren, fanden bei „Obzorja“ Zuflucht. Doch vermag der Verlag in letzter Zeit dem ideologischen Druck der Partei nicht länger standzuhalten und befindet sich im Niedergang. Auch die Untersteirer, die sich im heutigen Jugoslawien in führender Position befinden (Bundesparteisekretär Do-lanc, der slowenische Parteisekretär Setinc und der slowenische Regierungschef Marine), werden das Parteiurteil über „Obzorja“ nicht mildern können.

Aber der unternehmerische untersteirische Kulturgeist wird auch dadurch nicht unterbunden werden. In München leitet Dr. Trofenik aus Marburg schon seit einigen Jahren seinen eigenen, den Trofenik-Verlag, und vermittelt erfolgreich das kulturelle Erbe zwischen der deutschsprachigen und der slowenischen geistigen Welt. Besonderes Interesse erweckten die Neuauflagen slowenischer protestantischer Werke aus dem 16. Jahrhundert, wie etwa das Faksimile der Bibelübersetzung von Jurij Dalmatin aus dem Jahre 1581.

Die untersteirische Geschichte rühmt sich mit den Grafen von Cilli (Celje), des mächtigsten slowenischen Geschlechts im Mittelalter. Ihr Gebiet fiel durch Erbvertrag den Habsburgern zu.

Celje ist heute die drittgrößte Stadt Sloweniens und mit seinen vielen Geschäften und Industrien Zentrum des steirischen Unterlandes. Es liegt in einem Kessel des Savihja-Tales (Sanntales). Das benachbarte Salec (Sachsenfeld) ist Zentrum der Sanntaler Hopfenwirtschaft. Die Savinja (Sann) entspringt in den westlich gelegenen Sanntaler Alpen (Savinjske Alpe), im idyllisehen Logartal (Logarska dolina), das eines Besuches wert ist.

In der Umgebung von Celje finden sich zahlreiche Thermalbäder und Säuerlinge. Im Slowenischen heißen sie „toplice“ (Warmbad) und „sla-tina“ (Säuerling). An der Sann südlieh von Celje befinden sich Lasko (Lüffer) und Rimske toplice, (Römerbad), nördlich liegt Dobrna (Döberna), und östlich Rogaska Sla-tina (Rohitsch Sauerbrunn) mit seinem berühmten Mineralwasser. In der Nähe, bei Podcetrtek (Windisch Landsberg), am Fluß Sotla, sind neuentdeckte Atomske Toplice (radioaktive Thermen) durch ihre Heilwirkung berühmt geworden.

Wenn man von den natürlichen Grundlagen der untersteirischen Wirtschaft spricht, darf man die berühmten Wein gebiete nicht vergessen. Es gibt da vor allem die ausgezeichneten Tropfen aus den Slovenske gorice, wie „Jeruzalem-can“ (Jerusalemer), „Ljutomercan“ (Luttenberger), ferner „Holozan“ aus Häloze (Kollos) und „Ritoznojcan“ aus Slovenska Bistrica (Windisch Feistritz).

In jedem Weinberg klappert ein „klopotec“ (von „klopotati“, klappern), um traubenhungrige Vögal zu verjagen. Vielleicht haben neben der alten steirischen Tradition gerade diese natürlichen Grundlagen dazu beigetragen, daß sich heute, lange naoh der staatlichen Trennung, die deutischsprachigen Ober- und die slowenisehsprachigen Untersteirer so gut verstehen. Zwischen Maribor (Marburg/Drau) und Graz herrschen ausgezeichnete, ja freundschaftlich Beziehungen. Viele Marlburger studieren an der Grazer Universität, vor allem Medizin. Graz ist ja immerhin nur 65 Kilometer von Maribor entfernt.

Der rege Grenzverkehr bringt zahlreiche Einkaufstouristen aus Österreich nach Maribor, anderseits aber auch aus Slowenien nach Leibnitz, Graz und Radkersburg. Die Untersteirer wissen die Zuvorkommenheit in den Leibnitzer und Grazer Geschäften zu loben.

Der internationale Grenzübergang St. Ilj/Spielfeld an der Strecke zwischen Maribor und Graz liegt an der internationalen Verkehrsader Frankfurt am Main—Nürnberg—

Passau—Linz—Graz—Maribor— Zagreb—Split. Diese internationale Verkehrsader und zugleich auch die Erschließung des ganzen Raumes wird vorläufig nur noch durch den nicht begonnenen Bau des Tunnels unter der Gleinalpe nördlich von Graz behindert.

Man sitzt im Cafe am Grenzübergang und schaut auf das Gedränge, die Autos an der Grenze. Sie kommen aus ganz Europa, bringen sonnenhungrige Urlauber ans Mittel-meer und bringen die Gastarbeiter nach Norden. Hätte man sich mehr um Sprach- und Völkerrechte gekümmert, wäre die Grenze wahrscheinlich nie entstanden. Einst brauchte der romantische Nationalismus, heute braucht der sozialutopische Internationalismus Grenzen, um den Menschen zu „befreien“. Aber die Völker finden ganz von selbst wieder zueinander, wenn man sie, und nicht die Ideologien reden läßt!

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