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Freßlust kurieren!

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Um den Staatshaushalt auf Dauer zu sanieren, genügen nicht einfache und publikumswirksame Formeln. Die Gesamtstrukturen müssen umgebaut werden.

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Um den Staatshaushalt auf Dauer zu sanieren, genügen nicht einfache und publikumswirksame Formeln. Die Gesamtstrukturen müssen umgebaut werden.

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In der Debatte über die Budgetsituation wird mittlerweile von nahezu allen Kommentatoren als gegeben angenommen, daß ein Netto-Defizit von fünf Prozent oder mehr des Sozialprodukts auf die Dauer unhaltbar sei. Daran knüpfen sich sehr empfindliche Schlußfolgerungen:

Wenn es in den letzten Jahren trotz erwiesener Sparbemühungen nicht gelungen ist, nennens-' werte Abstriche von dieser Marke durchzusetzen, dann sind — noch dazu in einer eher ungünstigen konjunkturellen Situation — Maßnahmen erforderlich, die große Breitenwirkung und entsprechendes politisches Konfliktpotential aufweisen.

Der Ökonom muß dazu nüchtern festhalten: Ein unmittelbarer Zwang, das Defizit einzuschränken, besteht insoferne nicht, als es sich bisher als relativ leicht finanzierbar erwiesen hat.

Freilich beginnt sich abzuzeichnen, daß dies allmählich das österreichische Zinsniveau hinauftreiben könnte. Eine weiche Politik, die angesichts der schwächeren Auslastung der Wirtschaft und der tendenziell steigenden Arbeitslosigkeit eine durchgreifende Sanierung mit homöopathischen Arzneien statt mit dem Messer versucht, wäre kurzfristig sowohl politisch wie ökonomisch verlockend. Zwar staut man die Sanierung weiter zurück, und immer größere Teile der laufenden Einnahmen müssen für den Schuldendienst aufgewendet werden, doch könnten dennoch für die anderen eigentlichen Staatsauf gaben im Sinne der Stützung der Nachfrage absolut mehr (wenngleich relativ weniger) Mittel zur Verfügung stehen. Die Budgetstruktur würde sich weiter verschlechtern, doch für einige Jahre noch wären die Opfer geringer.

Die Festlegung von Budgetzielen auf mittlere Sicht darf nicht Sache der Lizitation mit publikumswirksamen Formeln sein. Wir müssen uns schon eingestehen, daß wir die den Budgetkräften zugrunde liegenden Mechanismen ändern müssen, um zu einer dauerhaften und politisch haltbaren Gesundung zu gelangen. Abmagerungskuren haben ohne Änderung der psychologischen Grundlagen der Freßlust keinen nachhaltigen Effekt.

Das heißt, daß nicht in erster Linie bestimmte Marken des Defizits ökonomisch von Interesse sind, sondern die Änderung der Budgetstrukturen durch eine Veränderung von Gewohnheiten und Institutionen.

Dies stellt die Grundannahmen der bisherigen Agrarpolitik ebenso in Frage wie die konkreten Ausprägungen der verschiedenen, auch der öffentlichen, Pensi-onsversicherungssysteme, die Bereitstellung und vor allem die Erhaltung öffentlicher Dienstposten ebenso wie liebgewordene aber teilweise schamlos zweckentfremdete Geschenke wie das Gratisstudium und die Sparförderung aller Spielarten.

Nicht in Frage gestellt werden muß und darf eine solidarische Unterstützung für echte Bedürftigkeit, die allerdings noch heute ihre Lücken aufweist.

Ein solcher Gesamtumbau ist abgesehen von seiner politischen Durchsetzbarkeit—bei der mittelfristige quantitative Vorgaben eine Hilfe sein können — eine Aufgabe, die von sorgfältigen Analysen des Ist-Zustands ausgehen muß, denn bis zum vor kurzem abgeschlossenen Umverteilungsbericht waren ja die Netto-Effek-te der gigantischen Verteilungsund Umverteilungsapparate undurchsichtig. Nicht überraschend machten sich daher Mißgunst, Kleinlichkeit oder Gönnertum und zündende radikale Phrasen in diesem Bereich breit, wie man an der Debatte über Schmarotzertum im Sozialsektor ablesen kann.

Hier fehlte es in erster Linie an objektiven und vollständigen Informationen, und nur teilweise an gutem Willen. Uber die Grund-prinzipen könnten sich vernünftige Menschen leichter einigen: Daß etwa die Arbeitslosenunterstützung zwar eine menschenwürdige Existenz absichern soll, aber den Anreiz zur Annahme einer zumutbaren Beschäftigung nicht nehmen darf. Unser gegenwärtiges System läßt manche regelrecht verkommen, während andere netto, unter Berücksichtigung der Steuern und der lukrier-baren Transfers ausnahmsweise sogar absolut besser abschneiden können als wenn sie erwerbstätig wären.

In keinem Bereich der wirtschaftspolitischen Debatte machen sich überdies so viele Halbwahrheiten und Vulgärökonomismen breit, wie bei den Finanzen des Staates. Dazu zählt auch der Gedanke, die Veräußerung seines Eigentums sei ein Beitrag zur Verbesserung seiner wirtschaftlichen Situation. Als ob es in der Ökonomie die Unterscheidung zwischen Ertrags- und Vermögensrechnung nicht gäbe!

Bezeichnend, daß in dieser Hinsicht auch die OECD zuhanden aller Mitgliedsländer in ihrem neuesten Outlook schreiben muß: „Jeder Verkauf öffentlichen Vermögens erschließt der Regierung eine außerordentliche und einmalige Einnahme. Ihre Verbuchung als Reduktion des Defizits kann zum unkorrekten Eindruck führen, daß sich damit die Budgetsituation gebessert habe. Wenn solche Verkäufe in einer Bilanz verbucht würden, die die staatlichen Vermögen und Verbindlichkeiten einander gegenüberstellt, kann sich herausstellen, daß sich die Vermögenslage, in ungünstigen Fällen überdies die Ertragslage des Staates verschlechtert hat.“

Die Frage der Privatisierung von Staatsvermögen hat im Gefolge eines internationalen Trends auch Österreich erreicht. Für den Ökonom ist der Schlüssel zur Beurteilung, ob der Staat oder Private wirtschaften sollen, die Frage nach der Effizienz -freilich häufig unter bestimmten politischen Vorgaben oder Auflagen.

Zweifel an der Optimalität staatlicher Ingerenz in Unternehmungen, die sich prinzipiell auf Märkten behaupten können müßten, sind angebracht, wenn ihr Motiv einseitig kurzfristige Einnahmenerschließung für den Staat wäre.

Der Autor ist Leiter des Osterreichischen Institutes für Wirtschaftsforschung. Der Beitrag ist ein Auszug aus seinem Referat „Österreichs Wirtschaft-Betrachtungen zur Jahreswende 1986/87“ vor dem „Forum CA“ in Wien.

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