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Freude in Grenzen

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Ernste Konzentration, kein Rie- senfest kennzeichnete die Stim- mungin Prag nach dem relativ guten Abschneiden des „Bürgerforums" bei den ersten freien Wahlen seit 44 Jahren in der Tschecho- slowakei.Die Freude hielt sich in Grenzen, der Ernst der Lage, in der sich das Land politisch, wirtschaft- lich und sozial befindet, wurde atmosphärisch greifbar.

Bei der Pressekonferenz des „Bürgerforums" wirkten alle sehr abgekämpft. „Warum jubelt ihr nicht mehr?", fragten Journalisten. Die Antwort: „Wir haben in letzter Zeit nur mehr gearbeitet und keine freie Stunde mehr gehabt."

Bei einem Symposion in der welt- berühmten „Laterna Magica" über Demokratie, das von zwei ameri- kanischen Senatoren, einem Repu- blikaner und einem Demokraten, die als Wahlbeobachter in Prag waren, veranstaltet wurde, kam zum Vorschein, wie schwer sich die sogenannte westliche Führungs- macht im Verständnis dessen tut, was sich momentan in der Tsche- choslowakei beziehungsweise über- haupt in den ehemals kommunisti- schen Länder Osteuropas abspielt. Die Senatoren verstehen Osteuro- pa als eine „weiße Seite", die erst neu beschrieben werden müsse.

Daß es de facto keine „weiße Seite" gibt, ist offenkundig für jeden, der die Lage in der CSFR nur annähernd kennt. Das Land beginnt nicht am Nullpunkt, es hat seine Geschichte, seine tragische Vergan- genheit, verworrene Gegenwart, aber auch - trotz aller Skandale der jüngsten Zeit (siehe auch Seite 3), die noch aufgearbeitet, „bewältigt" gehören - eine hoffnungsvolle Zukunft.

Nicht nur ein Wermutstropfen, ein Schock war für viele das gute Abschneiden der Kommunisten. Wochenlang hat man von dieser Möglichkeit zwar geredet, das Er- gebnis schwarz auf weiß hat denn doch die Leute erschreckt. Man war der Meinung, daß die Kommuni- sten in Nordböhmen und Nordmäh- ren, also in den traditionellen Indu- striegebieten, auch in jenen Städ- ten und Gemeinden, aus denen die deutschsprechende Bevölkerung seinerzeit vertrieben und Menschen aus dem Landesinneren angesie- delt wurden, die zur neuen „Hei- mat" keine Beziehung hatten, Chan- cen haben werden; nun zeigt sich, daß auch in der traditionell christ- lichen Slowakei die Kommunisten kräftig zulegen konnten. Man erinnere sich, der Prager Erzbischof, Kardinal Frantisek Tomasek, hat gegenüber der FUR- CHE (Nummer 21, Seite 4) von der Möglichkeit gesprochen, daß die Kommunisten 15 Prozent landes- weit erhalten könnten. Er schätzte die Auswirkungen der abwartend- pessimistischen Stimmung in man- chen Kreisen seines Landes wohl klarer ein, als jene, die Zweckop- timismus verbreiteten, denen der Priester und Bürgerrechtler Vac- lav Maly (ebenfalls in einem FUR- CHE-Gespräch 21) vorwarf, zu wenig Aufklärungsarbeit über die bevorstehenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu leisten.

Ota Filip, der seit der Nieder- schlagung des „Prager Frühlings" 1968 in München lebende, führen- de tschechische Literat, warnte einen Tag vor der Wahl in einem Telefonat mit der FURCHE vor einem „trügerischen Optimismus" führender Leute in den neuen de- mokratischen Parteien seines Lan- des. Er sollte auch recht behalten mit seiner Voraussage, daß die Wahl nicht in den Großstädten, die von den Kommunisten bereits aufgege- ben worden seien, sondern auf dem Land entschieden werde, wo die alten Kräfte noch ungeniert mit Angstparolcn auf Stimmenfang gehen konnten. Filips Prognose für die Kommunisten landesweit lau- tete: 18 Prozent. Tatsächlich er- reichten sie um die 13,5 Prozent.

„Wir wissen jetzt nicht, wieviele Kommunisten es tatsächlich noch in der CSFR gibt" - so Ota Filip zur FURCHE -„an den Kommunismus glaubt wirklich niemand mehr, sondern nur, wieviele kommuni- stische Opportunisten noch vor- handen sind." Natürlich darf man den kommunistischen „Erfolg" nicht überinterpretieren. Deren Wahlpropaganda, Angstmache vor der großen Konkurrenz der westli- chen Industrie und Agrarwirtschaf t nach Öffnung der Grenzen, hat bei vielen eingeschlagen, ohne Zwei- fel. Aber die Grundhaltung der überwältigenden Mehrheit der Be- völkerung der Tschecho-Slowakei ist demokratisch, liberal, echt welt- offen. Die Amerikaner brauchen diesbezüglich keine Tinte für die „weiße Seite" CSFR zu verschwen- den.

Erstaunlich das schlechte Ab- schneiden der vor fünf bis sechs Wochen noch an führender Stelle gehandelten Christdemokratischen Bewegung der Slowakei. Vielleicht doch nicht ganz so überraschend, wenn man bedenkt, wie sehr die hierarchische Kirche im Wahl- kampf mitzumischen versuchte. Nicht ihrer ureigensten Aufgabe, Menschen zum Glauben und damit zu Toleranz und Offenheit zu er- ziehen, die sie als „Kirche im Un- tergrund" und damit als Regime- Gegner so großartig erfüllte, ist die Kirche jetzt nachgekommen; sie hat offen Parteipolitik betrieben und sich in drei Hirtenbriefen ein- deutig auf die Seite der Christde- mokraten geschlagen.

Beobachter sehen schon einen neuen Klerikalismus - zumindest in der Slowakei - heraufdämmern. Die Wahlpropaganda der CDB in der Slowakei arbeitete nur mit christlichen Symbolen.

Das kommt, offenkundig auch in der CSFR nicht mehr an. Und die Wähler haben der Kirche deswe- gen die Rechnung präsentiert, die sie ihrer großartigen jüngsten Ver- gangenheit wegen nicht, ihrer ge- genwärtigen politischen Einmi- schung wegen aber sehr wohl ver- dient hat.

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