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Freuden- oder Trauertag ?

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8. Mai 1945, Tag der Gesamtkapitulation Hitler-Deutschlands: 40 Jahre danach wühlt das Gedenken daran deutsche Gemüter auf. Dazu ein Korrespondentenbericht und die Stellungnahme des französischen Deutschland-Experten Grosser.

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8. Mai 1945, Tag der Gesamtkapitulation Hitler-Deutschlands: 40 Jahre danach wühlt das Gedenken daran deutsche Gemüter auf. Dazu ein Korrespondentenbericht und die Stellungnahme des französischen Deutschland-Experten Grosser.

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Derzeit überbieten sich bundesdeutsche Zeitungen, Fernsehprogramme und Buchverlage gleichsam wie in einem Wettkampf darin, wie man das Thema „Vor vierzig Jahren” möglichst publikumswirksam aufbereiten kann. Vor vierzig Jahren: In der Tat, eine breite Palette von Gedenktagen und Gedenkthemen bietet sich unter diesem Stichwort an.

Anfang 1945 begann der Leidensweg von Millionen Deutschen: Die Vertreibung aus den Gebieten östlich der Oder-Neiße, aus dem Sudetenland und anderen deutsch besiedelten Gebieten Südosteuropas (Jugoslawien, Rumänien, Ungarn). Daß es bei diesem Gedenken zu Irritationen gekommen ist (Schlesier-Treffen), wundert nicht, wenn man um die heikle Materie weiß.

Das Leid, das den Deutschen durch Bomben-Terror und Vertreibung zugefügt worden ist, war jedoch nur die Folge der Saat der Gewalt. Diesen Standpunkt hat auch Mitte März der ehemalige CDU-Bundesarbeitsminister

Hans Katzer anläßlich der Gedenkfeier zur Befreiung Kölns durch US-Truppen in Erinnerung gerufen.

Die Deutschen, begabt für das Detail, haben sofort erkannt, daß so einfach das Gedenken an den 8. Mai 1945, dem Tag der Gesamtkapitulation Deutschlands, nicht zu beantworten ist. Ist er der Tag der Befreiung oder der Tag der Niederlage? Ein Tag der Freude oder ein Tag der Trauer?

Die Befreiung vom Nationalsozialismus zu feiern, haben auch die Deutschen Anlaß. Und gleichermaßen darf auch heute noch, trotz aller schuldhafter Verstrik-kung in das Aufkommen des Nazismus, der Verlust von Menschen, Hab und Gut, von Heimat betrauert werden.

Um die Bedeutung des 8. Mai 1945 für die Deutschen voll zu ermessen, muß man auf den November 1918, das Ende des Ersten Weltkrieges, zurückblenden. Damals hatten die Deutschen (zum Teil auch die Österreicher) die Niederlage nicht akzeptiert. Der Vertrag von Versailles war selbst für die ausgewiesensten Gegner des Nationalsozialismus ein Schandfrieden.

Das Totale der Niederlage von

1945 war dagegen einem Exorzismus nicht unähnlich. Die Deutschen erhielten die Gelegenheit, sich selber von nationaler Uberschätzung zu befreien, vom Irrglauben der Unbesiegbarkeit, vom Wahn der Herrenmenschen. Es gehört mit zur Tragik dieses Datums, daß es eben nicht ungeteilt als Tag der Befreiung gefeiert werden kann. Viele Opfer erscheinen nachträglich sinnlos, blickt man auf die Spaltung Deutschlands und Europas mit allen ihren Folgen.

In der Bundesrepublik gerät man beim Blick auf den 8. Mai deshalb in besondere Schwierigkeiten, weil man gleichermaßen zu den Besiegten des Zweiten Weltkrieges zählt wie zu den Siegern, besser gesagt: zu den Gewinnern. Die Deutschen sind unsicher, als was sie sich gebärden sollen. Denn der Neuanfang ab 1945 war zumindest im westlichen Deutschland beachtlich.

Obwohl zerstört und geteilt, wurde Deutschland in den fünfziger Jahren zu einer der führenden Wirtschaftsmächte und stabilsten Demokratien der freien Welt, wobei Österreich mitpartizipierte. In der Folge überholte dann die Bundesrepublik die ehemaligen Sieger Frankreich und England.

Ebenso rasch wie Wirtschaftsaufschwung und politische Stabilisierung ging die Versöhnung zwischen den ehemaligen Gegnern einher: Die Bundesrepublik ist der wichtigste Verbündete der USA, die Versöhnung zwischen dem Frankreich de Gaulles und dem Deutschland Adenauers war eine historische Großtat, wenn man die seit fast 500 Jahren andauernde Rivalität zwischen diesen beiden europäischen Mächten bedenkt.

Daher nehmen auch die westlichen Verbündeten Rücksicht auf Deutschland und halten sich beim 8. Mai zurück. Die Amerikaner, Engländer und Franzosen feierten ja bereits 1984 mit großem Pomp den 40. Jahrestag der Invasion in der Normandie. Nur die Sowjetunion läßt sich ihren Triumph über Deutschland etwas kosten.

In diesem Zusammenhang fiel auch die Diskussion um das Besuchs-Programm von US-Präsident Ronald Reagan Anfang Mai in der BRD anläßlich des Weltwirtschaftsgipfels. Ursprünglich hatte Reagan vor, nur einen deutschen Soldatenfriedhof in Bitburg (Eifel) zu besuchen. Der Druck jüdischer Gemeinden in den USA ebenso wie in der Bundesrepublik ließen Reagan aber doch sein Programm erweitern: Nun wird er auch einem Konzentrationslager — höchstwahrscheinlich dem KZ Bergen-Bel-sen - einen Besuch abstatten.

Die Widersprüchlichkeiten zwischen Anspruch und Realität in der Deutschlandpolitik (Wiedervereinigung) und der Frage nach den verlorenen Ostgebieten machen deutlich, daß die Folgen des 8. Mai 1945 noch weiter wirken. Die Deutschen werden erst dann ihren Frieden mit der Geschichte finden, wenn es diese Folgen nicht mehr gibt und wenn der 8. Mai nicht mehr eine Frage zwischen Niederlage und Befreiung darstellt. Bis dahin wird der Weg noch sehr weit und oft sehr leidvoll sein.

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