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Freundschaft — nicht käuflich

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Ein viel verwendetes Wort und ein wichtiger Begriff für Soziologen und Nationalökonomen ist „Time Lag“, einfacher gesagt: Zeitabstand. Was sich heute in der amerikanischen Wirtschaft abspielt, wird sich nächstes oder übernächstes Jahr bei uns in Europa fühlbar machen. Was heute in der Bundesrepublik geschieht, beeinflußt morgen oder in der nächsten Woche die Ereignisse in Österreich. Man könnte, wenn man wollte, darüber streiten, ob das gut oder schlecht ist; nur wäre das müßig. Wer will, mag sagen, daß wir nachhinken. Wer realistisch und positiv denkt, sieht, daß der Time Lag zu unseren Gunsten arbeitet. Wir haben Zeit, uns vorzubereiten und gegebenenfalls auch, aus den Fehlern der anderen zu lernen.

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Ein viel verwendetes Wort und ein wichtiger Begriff für Soziologen und Nationalökonomen ist „Time Lag“, einfacher gesagt: Zeitabstand. Was sich heute in der amerikanischen Wirtschaft abspielt, wird sich nächstes oder übernächstes Jahr bei uns in Europa fühlbar machen. Was heute in der Bundesrepublik geschieht, beeinflußt morgen oder in der nächsten Woche die Ereignisse in Österreich. Man könnte, wenn man wollte, darüber streiten, ob das gut oder schlecht ist; nur wäre das müßig. Wer will, mag sagen, daß wir nachhinken. Wer realistisch und positiv denkt, sieht, daß der Time Lag zu unseren Gunsten arbeitet. Wir haben Zeit, uns vorzubereiten und gegebenenfalls auch, aus den Fehlern der anderen zu lernen.

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Entwicklungshilfe für die Armen dieser Welt, für die hungernden drei Viertel der Menschheit wurde erstmals von Präsident Truman im Jahr 1949 zum Ziel der amerikanischen Außen- und Wirtschaftspolitik erklärt Was als Marshall-Hilfe den Wiederaufbau Europas möglich gemacht hatte, sollte dann als Entwicklungshilfe auch der restlichen Menschheit helfen, sich selber zu helfen. Amerika stellte seine Hilfsbereitschaft, seine schier unermeßlichen Mittel und sein Know-how zur Verfügung. Der gute Wille zur Entwicklungshilfe wurde durch den Wettstreit zwischen Ost und West angespornt, den die Regierungen der Empfängerländer, so gut sie nur konnten, ausnützten. Millionen und Milliarden von Dollars wurden ausgegeben. Es kam zu einer Explosion der Fachliteratur in Soziologie, Politologie und Nationalökonomie. Bilaterale, multilaterale Projekte und Entwicklungsprogramme, regionale, internationale Körperschaften und Organisationen, und vor allem neue Agenturen der Vereinten Nationen schössen aus dem Boden wie die sprichwörtlichen Pilze nach einem Regen. Das Resultat all dieses Aufwandes, das sich bereits gegen Ende der. sechziger Jahre abzeichnete, war enttäuschend.

Man muß auch zugeben, daß Entwicklungshilfe vielfach nicht ohne uneigennützige Motive verteilt wurde. Aber wenn, zum Beispiel, Hilfe geleistet wurde in der Hoffnung, daß das Land, das sie erhielt, danach weniger geneigt sein könnte, auf kommunistische Propaganda zu hören, hat das denn tatsächlich dem Wert der Entwicklungshilfe Abbruch getan? Kritiker der westlichen Wirtschaftshilfe haben oft behauptet, daß es sich da nur um desperate Manöver handle, die krisenanfällige kapitalistische Wirtschaft Amerikas oder der EWG-Länder in Schwung zu halten. Nun, es hat sich noch niemand „reich geschenkt“.

Sei dem wie immer, Tatsache ist, daß — zu Recht oder zu Unrecht — im Westen wie im Osten das Interesse an den sogenannten Entwicklungsländern in den letzten Jahren stark nachgelassen hat. Und mit dem schwindenden Interesse schwand auch die Entwicklungshilfe, schwanden aber nicht die Not und die Bedürfnisse der Entwicklungsländer.

Nun liegt es aber in der Natur des „Time-lag“, daß das, was in den sechziger Jahren die Groß- und Supermächte dieser Welt bewegte, die Entwicklungshilfe, heute für die kleineren und die Kleinstaaten von Interesse ist. Kanada, mit nur einem Zehntel der Bevölkerung und des Nationalproduktes der Vereinigten Staaten, spielt heute eine bedeutende Rolle als Entwicklungshelferland. Neben ihrer Beteiligung an den Programmen der Vereinten Nationen, unterhalten Schweden und Dänemark beträchtliche bilaterale Programme. Und nun zeigt auch Österreich ein wachsendes Interesse an dem Schicksal der armen und ärmsten Mitbewohner unseres Globus.

Selbstverständlich können und wollen selbst heute diese kleineren Länder nicht mit den Programmen der Supermächte, des Europäischen Entwicklungsfonds oder der ehemaligen Kolonialmächte Frankreich, England, Belgien, oder gar der Vereinten Nationen konkurrieren. Sie können aber den Ausfall der Entwicklungshilfe aus diesen Quellen zum Teil wettmachen. Sie können neue Talente, Experten, Berater und neue Ideen ins Spiel bringen. Das mag wichtig sein, denn Geld allein und die erste „Generation“ der Vermittler von Know-how waren nicht imstande, die Probleme der Entwicklungsländer zu lösen.

Was kann nun ein kleines Land wie Österreich an Entwicklungshilfe bieten? Rein finanziell natürlich wenig. Die Stärke der kleinen Ent-wicklungsihelferländer liegt in ihrer Anpassungsfähigkeit, in der Individualisierung der Entwicklungspartnerschaft. Wenn Österreichs Entwicklungsprogramme nicht einfach in der Menge der diversen UN-OTC-, FAO-, ILO-, UNESCO-, WHO-, FAC- (UN Office of Technical Cooperation; Food and Agriculture Organization; International Labor Organization; UN Educational, Social and Cultural Organization; World Health Organization; Europäischer Entwicklungsfonds; [französischer] Fonds für Hilfe und Zusammenarbeit) verschwinden soll, ist es notwendig, die österreichischen Projekte speziell auf den Charakter und die Bedürfnisse des betreffenden Entwicklungslandes abzustimmen.

Dabei muß mancherlei bedacht werden. Man kann vor allem nur geben, was man hat. österreichische Experten wären kaum in der Lage, sich auf dem Gebiete der tropischen Medizin besonders nützlich zu machen. Das sollte französischen, belgischen oder englischen Ärzten überlassen bleiben. In der Industrie hingegen oder im Erziehungswesen könnten österreichische Kenntnisse und Erfahrungen günstig zur Anwendung gebracht werden. Man denke nur an Maschinenbau oder an die Anlage von Wasserkraftwerken; an österreichische Erfahrungen beim Bau von Gebirgstrassen; an die Holz-verwertungs- oder an die chemische Industrie; an Optik und Leder; an die Feinmechanik; und damit wäre die Liste noch lange nicht erschöpft. Was damit gesagt sein soll, ist, daß Österreich ein Reservoir von Fach-und Sachkenntnissen besitzt, mit denen es aufwarten kann, ohne sich an fremden, größeren oder für österreichische Experten ungeeigneten Projekten zu beteiligen. Soll nämlich die von uns gewährte Entwicklungshilfe ihren Charakter bewahren, dann muß auch das österreichische Projekt seine Identität haben und wahren. Was damit gemeint ist, kann am besten durch ein bereits existierendes Beispiel illustriert werden. In Ouagadougou, der Hauptstadt von Ober-Volta im ehemaligen Französisch-Westafrika, hat die österreichische Wirtschaftshilfe eine technische Gewerbeschule eingerichtet. Diese Schule ist in jeder Hinsicht mustergültig. Sie ist so gebaut, daß man darin sogar im Sommer, wenn die Temperatur 45 Grad erreicht, ohne Klimaanlage arbeiten kann. Die Schüler, die aus allen Teilen des Landes kommen, lernen Schlosserei, Elektro- und Motormechanik, können einen Automotor zerlegen und zusammensetzen und nötigenfalls einen Ersatzteil selber anfertigen. Bevor die ersten Absolventen die Schule verließen, lagen der Direktion bereits vier Stellenangebote für jeden der zukünftigen Absolventen vor! So konnte mit relativ bescheidenen, aber richtig angewandten Mitteln ein erster Schritt unternommen werden, um einen Engpaß in der Wirtschaftsentwicklung des Landes zu beseitigen.

Was weggeschenkt wird, steht im Verdacht, wertlos zu sein. Das scheint auch für die Hilfe der Industrieländer an die Entwicklungsländer zu gelten. Sie wird gesucht, aber nicht gebührend geschätzt. Und was man nicht schätzt, wird oft genug vergeudet. Reiner Altruismus ist zwar bewundernswert, ist aber nicht die beste Grundlage für die Beziehungen zwischen Industrie- und Entwicklungsland, wenn Entwicklung tatsächlich das primäre Ziel ist. Das ist der Grund dafür, daß ein Projekt wie das oben erwähnte in Ouagadougou, unter österreichischer Kontrolle bleiben muß, wenn es auf demselben Niveau weiter funktionieren soll. Das ist aber auch der Grund dafür, daß es wünschenswert erscheint, wenn Entwicklungshilfe beiden Part nern zugute kommt. Es ist für das Entwicklungsland psychologisch gesünder, nicht als Almosenempfänger dazustehen; für den Entwicklungsprozeß besser, wenn nicht mit Gratishilfe operiert wird; und letzten Endes ist es auch günstiger, wenn die Regierung, die von ihrem Parlament Gelder für Entwicklungshilfe verlangt* darauf hinweisen kann, daß die Entwicklungshilfe, die da beantragt wird, auch dem eigenen Lande greifbaren Nutzen bringt.

Warum aber tatsächlich Entwicklungshilfe? Was sind ihre Vorteile auf lange Sicht? Nun, jedenfalls ist es klar, daß Industrieländer vom Handel leben. Und mit Bettlern kann man keine Geschäfte machen. Außerdem mag es für die reiche Minorität dieser Welt auf die Dauer gefährlich sein, inmitten eines Slums zu leben.

Vor einem Irrtum aber hüte man sich. Auch mit Entwicklungshilfe kann ein Land nicht Freundschaft erkaufen. Es kann sie nur mieten — solange kein neuer, kapitalskräftigerer Mieter auf der Bildfläche erscheint.

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