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Friede auf Abruf

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In Salzburg geschah etwas, was man kaum je erlebt hat: Der vorzeitige Abbruch eines Gipfeltreffens wird nicht zur Hiobsbotschaft, zum Signal neuer Feindschaft, sondern ganz im Gegenteil, man ging im Bewußtsein, in wesentlichen Fragen gleicher Meinung zu sein, früher als geplant wieder auseinander. Offensichtlich hatten die Staatsoberhäupter der Vereinigen Saaten und Ägyptens nicht viel miteinander zu reden, ohne daß man sagen könnte, sie hätten einander nichts zu sagen gehabt.

Was war dann der Zweck von Salzburg? Wohl alles andere als das Führen konkreter Verhandlungen, für die, wie die Dinge heute in den USA liegen, Henry Kissinger ohnehin viel kompetenter ist als der — boshaften amerikanischen Kolumnisten zufolge — „unter ihm dienende Präsident“. Wären die Salzburger Spatzen nicht von waffenstarrenden amerikanischen Geheimpolizisten von ihren Dächern vertrieben worden, hätten sie es wohl von selbigen gepfiffen, daß, es um eine nicht zuletzt von Faktoren der amerikanischen Innenpolitik motivierte Veranstaltung gehandelt hat.

Der Welt kann es recht sein, gerade weil ihr nicht gleichgültig sein kann, wer der nächste amerikanische Präsident wird — die demokratische Partei hat, auch wenn sie einem noch so sympathisch ist, gegenwärtig kaum eine wünschenswerte Alternative zum Gespann Kissinger-Ford (Verzeihung: natürlich umgekehrt) zu bieten. Fortsetzung der gegenwärtigen Außenpolitik ist das beste, was man sich vom nächsten Präsidenten erwarten kann.

Das Treffen von Salzburg hat aber keineswegs nur der Festigung des Präsidenten Ford gedient, sondern ebensosehr mitgeholfen, Kissingers auf eine Politik der kleinen und kleinsten Schritte zusammengeschrumpfte Außenpolitik zu stützen. Salzburg — das war Werbung für Präsident Ford und Werbung für Kissingers Außenpolitik. Erfolgreiche Werbung.

Denn vor allem die Begleitumstände des Salzburger Treffens haben deutlich gemacht, daß kleine und kleinste Schiritte immer noch weiter führen als gar keine Schritte, und daß gute Chancen bestehen, daß die kleiinen Schritte wieder etiwas größer werden.

Angesichts der unvorhergesehenen Kürze des Gipfeltreffens wäre Israels Friedensgeste fast zu spät gekommen. Nur eine Geste? Im Nahen Osten ist die Halbierung der israelischen Sinai-Truppen und der Totalabzug der Artillerie alles andere als ein kleiner Schnitt zum Frieden.

Wie so oft, werden heute sich langsam vollziehende Entwicklungen plötzlich sichtbar: Im Nahen Osten scheint die Quantität arabischer Kriegsmüddgketit drauf und dran, in die Qualität echter Verständigungsbereitschaft umzuschlagen. Von Sa-dat befürchtet schon seit geraumer Zeit niemand mehr einen Überraschungsschlag gegen Israel. Und offensichtlich ist ein großer Teil des ägyptischen Volkes mit dem, was er tut, einverstanden, denn andernfalls könnte er schwerlich mit dem Gedanken spielen, sich zur Ruhe zu setzen. Ägypten schickt sich heute an, die Früchte zweier entbehrungs-

reicher Jahrzehnte zu genießen; steigenden Lebensstandard. Sadats Friedenspolitik ist die logische Politik in dieser Situation, so, wie auch Nassers charismatische Aggressivität nicht zuletzt Folge ökonomischer Zwangssituatlionen war.

Die Ölkrise hat die große Wende im arabischen Lager eingeleitet: ökonomisch, aber auch psychologisch. Die Ölkrise und das ehrenhafte Remis im Oktoberkrieg haben tiefgreifende Veränderungen in den politisch-psychologischen Strukturen des Nahen Osten ausgelöst. Nach Salzburg ist es deutlicher als je, daß es ihm Nahen Osten keine Regierung mehr gibt, die den Krieg will, und daß die Fahne der Feindschaft nur noch von zwei Parteien hochgehalten wird:

Von den Palästinensern, deren Saturierung eine Voraussetzung jeder dauerhaften Friedensregelung im Nahen Osten darstellt, und von weit vom Schuß sitzenden arabischen Regierungen in Nordafrika, vor allem in Libyen, wo das Ende des Nahostkonfliktes einem Mini-Nasser, den Menschen, denen es immer besser geht, nicht mehr brauchen, die letzte Basis entziehen würde.

Offensichtlich will auch Syrien keinen Krieg. Niemand will den Krieg. Die Palästinenser aber wollen ein Land, es muß nicht unbedingt Israel sein. Eine realistische Einschätzung der Lage verträgt sich heute durchaus mit der Hoffnung, daß ein Palästinenserstaat zwischen Israel und Jordanien nicht unbedingt ein Herd künftiger Konflikte sein müßte, sondern ebensogut das Ende aller Konflikte einleiten könnte.

So kann es kommen, aber so muß es nicht kommen, denn der Weg dahin ist schwer. Sicherheitsbedenken wiegen für Israel mit Recht schwerer als für irgendeinen anderen Staat der Erde. Ein zu kleiner, ein übervölkerter, ein wirtschaftlich vegetierender Palästinenserstaat würde für Israel eine ewige Bedrohung darstellen. Mit einem Palästinenserstaat aber, dem auch Jordanien, dem der Frieden das wert sein sollte, Land jenseits des Jordans zur Verfügung stellt und dem großzügige Hilfe beim wirtschaftlichen Aufbau zur Verfügung gestellt wird (dabei könnte Israel mitspielen), sollten auch die Falken von Jerusalem und Tel Aviv sich anfreunden können.

Wie die Dinge jetzt liegen, scheint jedem Schritt zum Frieden der einen Seite die Belohnung von der anderen Seite zu folgen. Ein Weg, der sich schon nach dem Oktoberkrieg abgezeichnet hat. Eine Öffnung des Suezkanals für israelische Güter (oder sogar Schiffe) als Reaktion auf die israelische Truppenverdünnung auf der Sinai-Halbinsel sollte auch Israels härteste Falken davon überzeugen, daß der Frieden Chancen hat.

Bleibt die unbekannte Größe des Terrorismus, der zwar einige Zeit kein Lebenszeichen mehr gegeben hat, aber jederzeit wieder aufflammen kann. Man kann nur hoffen, daß Arafat die Fedajin diszipliniert hat. Denn vorher kann Israel schwer-lichl mit ihm reden. Und ohrte ein „Gespräch der Feinde“, ein Gespräch zwischen Israel und den Palästinensern, ist alles dazu verurteilt, Stückwerk zu bleiben, Frieden auf jederzeitigen Abruf.

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