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Friede in Freiheit

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Gedanken über die Voraussetzungen des Friedens.

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Gedanken über die Voraussetzungen des Friedens.

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Selbstverständlich wollen wir alle den Frieden schlechthin. Es wäre auch angesichts der tausendfachen Vernichtungspotentiale völlig unverantwortlich, sich in spitzfindige Erwägungen über irgendeinen begrenzten Krieg einzulassen. Doch die Angst ums nackte Leben macht nicht den Wunsch illegitim, mehr als das nackte Leben zu haben - nämlich das, was das Leben über den biologischen Tatbestand hinaushebt und zum menschlichen Leben, zum humanen Leben macht.

Das heißt: wir wollen den Frieden, unbedingt und schlechthin. Darüber hinaus wollen wir aber einen gerechten Frieden. Man kann den Frieden haben um den Preis der Unterwerfung in die Knechtschaft. Was wir wünschen, ist aber der gerechte Friede in Freiheit, wie wir ihn in Westeuropa und in Österreich seit mehr als drei Jahrzehnten genießen durften.

Wir müssen die grundlegenden Dinge sehen, wie sie sind, und sie auch mit den richtigen Namen benennen. Wir müssen wissen und es auch freimütig sagen, daß das gesellschaftliche System und die pluralistische Demokratie, die wir haben und die auch mehr als 90 Prozent der Österreicher haben wollen, uns eindeutig als westlichen Staat ausweisen.

Wir müssen wissen und es auch freimütig sagen, daß die Neutralität, zu der wir uns aus freien Stücken verpflichtet haben, in erster Linie eine Neutralität in bezug auf kriegführende Staaten ist und uns nicht etwa zu dubiosen Stimmenthaltungen in der UNO zwingt.

Wir sind durch unsere Neutralität auch nicht zu opportunistischem Schweigen oder gar zu Beschwichtigungshudlerei verpflichtet, wenn ein internationaler Vertrag, dem Österreich beige treten ist, von einem anderen Vertragspartner grob verletzt wird. Ich meine die Schlußakte von Helsinki, die ja nicht nur von Österreich und den westlichen Demokratien, sondern auch von den sozialistischen Staaten und von der Sowjetunion unterzeichnet wurde.

Die Menschen, die in Europa wohnen und leben, haben alle die Entspannungspolitik begrüßt und würden auch ihre Fortsetzung wünschen. Aber es haben ja nicht die Amerikaner die Schweiz besetzt, sondern die Sowjets haben Afghanistan besetzt, und es ist ja nicht in der Bundesrepublik Deutschland von einem NATO- General die Militärdiktatur ausgerufen worden, sondern in Polen. Und schuld daran sind eindeutig nicht die Amerikaner oder der Papst.

Wer den Frieden erhalten will, muß dem Aggressor mehr entgegenhalten als Nachgiebigkeit. Es hat der Sache des Friedens nichts genützt, daß in München 1938 Hitler die Annexion des Sudetenlandes zugestanden wurde. Vielmehr führte die einseitige Entspannungspolitik, die die Realität nicht sehen wollte, direkt zum Zweiten Weltkrieg.

Wer den Frieden erhalten will, muß selbst friedfertig sein und um den Frieden beten. Daneben müssen wir aber auch eindeutige und erkennbare Zeichen gegenüber allen setzen, die den Frieden gefährden. Wer es unterläßt, durch deutliche Zeichen zu sagen „Das verletzt unseren Vertrag, das ist nicht gerecht“, der fördert nicht den Frieden, sondern unter- gräbt-ihn.

Wir müssen also klare Zeichen setzen:

• Durch eine klare Sprache - Frieden ist Frieden in Freiheit und nicht in Resignation oder Furcht.

• Durch klare Unterscheidung der Geister: Ein Militärputsch kann aus einer Demokratie eine Diktatur machen — ein Militärputsch in einem totalitären Staat verändert vielleicht die Form, nicht aber das System.

• Durch Parteinahme: Neutralität heißt nicht Standpunktlosigkeit. Wir befinden uns auf keiner Insel der Seligen, weder innenpolitisch noch außenpolitisch. Neutralität soll uns zwar nicht dazu verleiten, die politische Moraltante auf internationalem Parkett zu spielen, sondern Neutralität verpflichtet einen westlichen Staat zur Verteidigung der Freiheit nach außen und nach innen.

• Durch aktive Politik für Menschenrechte, also für die Würde des Menschen.

# Durch eine offensive Auseinandersetzung mit den Ereignissen, die in der Welt vorgehen. Außenpolitik ist — und die Situation in Polen hat uns dies deutlich vor Augen geführt - Innenpolitik…

Ich glaube, daß wir, wenn wir zu einer guten Friedenspolitik kommen wollen, zu einer breiten Bewußtseinsbildung durch Familie und Schule beitragen müssen. Jede Schule hat heute schon einen Referenten für geistige Landesverteidigung, aber keinen für Friedenspädagogik.

Meiner Meinung nach müßte der Geschichtsunterricht radikal neu ansetzen. Man müßte viel eher über die Geschichte des Militarismus nachdenken. Genauso ist die Frage der Qualitätsänderung des Krieges zu stellen. Heute wird immer noch mit dem Notwehrargument argumentiert, aber Krieg mit den Mitteln von 1982 ist nicht mehr mit den moralischen Wertmaßstäben des Thomas von Aquin zu beurteilen. Von einem „gerechten Krieg“ heute zu reden, ist in diesem Sinn also auf keinen Fall mehr gerechtfertigt. Genauso aber ist über den Qualitätswandel von Widerstand zu reden.

Diese Friedenspädagogik soll aber nicht nur in den Geschichtsunterricht geschoben werden, sondern müßte genauso ein durchgängiges Prinzip, in der Sozialkunde ebenso wie im Religionsunterricht sein. Genau so könnte ich mir vorstellen, daß in einem aufregenden Deutschunterricht Kriegsliteratur einer Antikriegsliteratur gegenübergestellt wird.

Ich sehe eigentlich auch nicht ein, warum im Lateinunterricht nur Cäsars „Gallischer Krieg“, nicht aber die in hervorragendem Latein verfaßte Enzyklika „Pacem in terris“ gelesen wird …

Auszug aus einem Referat, das der Wiener Vizebürgermeister an der Universität Graz gehalten hat.

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