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Frieden ist nie ohne Risiko

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Zur Friedensdemonstration am 15. Mai werden in Wien mindestens 25.000 Menschen erwartet. Schon einmal haben in Wien an einem 15. Mai 25.000 demonstriert: 1955, zur Staatsvertragsunterzeichnung, für Frieden in Freiheit...

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Zur Friedensdemonstration am 15. Mai werden in Wien mindestens 25.000 Menschen erwartet. Schon einmal haben in Wien an einem 15. Mai 25.000 demonstriert: 1955, zur Staatsvertragsunterzeichnung, für Frieden in Freiheit...

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  1. Der Krieg ist ein furchtbares Übel
    Bewußt sei diese These wortident mit jener von Univ.-Prof. Valentin Zsifkovits an die Spitze gestellt. Sie war zu lange nicht jene Selbstverständlichkeit, die sie unbestritten sein müßte und nur sein kann, wenn jeder von uns sie ernst nimmt. Todernst.
  2. Friede heißt nicht Konfliktlosigkeit.
    Nichts deutet darauf hin, daß es jemals auf Erden ein konfliktfreies Zusammenleben der Menschen geben könnte. Der Widerspruch von Zielvorstellungen, Interessen, Überzeugungen ist unvermeidlich, sogar ein fruchtbares Element geistiger und materieller Weiterentwicklung.

    Nicht der „Krieg”, sondern der „Konflikt” kann im Sinne Heraklits als „Vater aller Dinge” verstanden werden. Worum es in der Friedensbewegung gehen muß, ist nicht eine utopische Konfliktbeseitigung. Es geht um möglichst wirksame Spielregeln für eine möglichst gewaltfreie Konfliktaustragung.
  3. Nicht jede Gewaltanwendung ist unmoralisch.
    Gewaltanwendung zur Abwehr gegnerischer Gewalt muß als letztes, äußerstes Zufluchtsmittel erlaubt bleiben. Wer die Formel „Frieden schaffen ohne Waffen” wörtlich nimmt, schlägt auch der Polizei den Gummiknüppel und dem Richter das Urteilsmittel der Haftstrafe aus der Hand.

    Ohne ein Minimum an rechtlich geordneter Gewalt ist Gemeinschaftsleben nicht möglich. Ein Staat ohne legale Gewaltmittel lädt zu Faustrecht, Chaos, Anarchie ein: dem Gegenteil von Frieden. Ziel der Friedensbewegung muß Gewaltminimierung sein.
  4. Die Bergpredigt ist kein Rezept für Staatspolitik.
    Sicher soll der einzelne Christ sein Handeln am Gewaltlosigkeitsideal orientieren, das ihm die Bergpredigt mit dem Gebot vor Augen stellt, die andere Wange hinzuhalten, wenn die eine geschlagen wird. Aber schon wenn die Wange eines Dritten ( des Ehepartners, des Kindes, eines Flüchtlings, eines Gastarbeiters) geschlagen wird, ist Nothilfe eines Christen für den bedrängten Dritten nicht nur erlaubt, sondern geboten. Jeder Verzicht auf Notwehr und Nothilfe (individueller oder kollektiver Natur) wäre eine Einladung an alle Diktatoren der Erde, Christen zu drangsalieren, zu foltern, umzubringen, weil die sich nicht wehren würden!
  5. Wer für das Recht auf Notwehr und Nothilfe (also auch Verteidigungskriege) eintritt, muß auch das Recht auf Notwehr und Nothilfe gegen strukturelle Gewalt gelten lassen.
    „Strukturelle Gewalt”, das bedeutet: Gewalt, die aus unrechtmäßigen Herrschaftsstrukturen erfließt. Konkret: Es kann christlieh sein, als äußerstes Mittel der Notwehr einen brutalen Diktator umzubringen, um ein Volk vor ihm zu retten. (Hitler zum Beispiel.) Es kann auch christlich sein, als äußerstes Mittel der Notwehr ausbeuterische Feudalherren oder Regierungen, die himmelschreiendes Unrecht schützen, mit Gewalt zu bekämpfen.
  6. Der Friede ist deshalb ein so hohes Gut, weil das Menschenleben ein so hohes Gut ist. Aber es ist nicht das allerhöchste.
    Weil das auch der amerikanische Außenminister Haig einmal gesagt hat, wird er von Friedensanhängern in aller Welt verteufelt. Er hat für vieles Kritik, aber nicht diese Verteufelung verdient.

    Gerade eine Religion, deren zentraler Glaubenswert der stellvertretende Opfertod des Gottmenschen Christus ist, kann nicht übersehen, daß es Werte gibt, um deretwillen auch das Leben eingesetzt werden muß: Freiheit, Menschenwürde, Gerechtigkeit. Wäre es nicht so, hätte die ganze Welt tatenlos zusehen müssen, wie Hitler ein Land nach dem anderen unterjochte.
  7. Bei der Entscheidung über die Führung eines Verteidigungskrieges muß die Verhältnismäßigkeit der Mittel bedacht werden.
    Es ist wohl unverantwortlich. wegen eines vergleichsweise so unerheblichen Konfliktes wie des Falkland-Falles einen Krieg vom Zaun zu brechen.

    Es ist auch unverantwortlich, in einer „Art kollektiver Hysterie” (Vatikandokument) den Rüstungswahnsinn mit Kosten weiterzutreiben, deren Bruchteil für die Errettung der Menschheit aus Hungersnot reichen würde.

    Ebenso unverantwortlich wäre es, wegen eines begrenzten Verteidigungszieles einen globalen Atomkrieg vom Zaun zu brechen.
  8. Wer jeden Einsatz oder auch nur Besitz von Atomwaffen für unmoralisch hält, muß die Konsequenz klar aussprechen: Erhöhung der Verteidigungsfähigkeit mit „konventionellen” Waffen.
    In immer mehr Reden und Dokumenten, auch kirchlichen, taucht die These auf: Mit den Atomwaffen ist eine ganz neue Qualität des Krieges eingetreten, eigentlich ist eine Atomschlacht überhaupt kein Krieg mehr, sondern nur noch regellose Massenvernichtung, also muß er verboten werden oder alle Mächte sollten wenigstens freiwillig auf den Ersteinsatz von Atomwaffen verzichten.

    Die Frage ist, warum diese These niemand 1945 und in den Folgejahren vertreten hat, als ein US-Atommonopol und weitere Jahre ein großes atomares Übergewicht der USA die konventionelle Übermacht des UdSSR in Schach gehalten hat.

    Heute hat die Sowjetunion auch in der Atomrüstung mit dem Westen gleichgezogen. Sie kann es sich leisten, auf den Ersteinsatz von Atomwaffen zu verzichten — der Westen nur, wenn er in der konventionellen Rüstung gleichzieht.
  9. Wenn der Westen zu dieser Konsequenz nicht bereit ist, ginge mit einen Verzicht auf die Anwendung von Atomwaffen die Abschreckungswirkung verloren.
    Das klingt besonders brutal. Aber man muß sich um der Logik willen dazu zwingen, es auszusprechen. Leichtfertiger Umgang mit Massenvernichtungswaffen?

    Nein, wenn man dem Westen und seinem Verteidigungsbündnis NATO glaubt, daß niemals ein Atomwaffeneinsatz erfolgen wird, sofern der Osten nicht an-' greift. In der Zeit des Atommono-pbls und der atomaren Überlegenheit haben die USA niemals einen Präventivkrieg gegen die UdSSR auch nur erwogen. Warum sollten die USA diese Wahnsinnstat jetzt begehen, da der massive Gegenschlag unausweichlich ist? Wenn die UdSSR in Europa nicht angreift, wird es keinen Atomkrieg geben.
  10. Die massive Anhäufung immer schrecklicherer Waffen macht den Kriegsausbruch immer gefährlicher.
    Das ist logisch und deshalb muß mit allen Kräften auf Abrüstung gedrängt werden. Nicht logisch ist die immer häufiger zu hörende Behauptung, Rüstungszunahme mache Krieg „unvermeidlich”.

    Seit 1945 gab es an die 150 Lokal-und Regionalkriege in vielen Gegenden der Welt — aber keinen, und schon gar nicht einen, atomaren, dort, wo der Rüstungsstand am höchsten war und ist: auf dem Gebiet der Supermächte und in Europa.
  11. Für die Verringerung der Kriegsgefahr müssen alle Menschen und Völker etwas tun, vor allem aber die Christen.
    Das hat auch Papst Johannes Paul II. am Weltfriedenstag 1982 gefordert: weil Christus die Friedensstifter (nicht die Friedensträumer!) selig gepriesen hat. Uber die Methoden der Friedensstiftung können Christen aber unterschiedliche Meinungen haben.
  12. Für den Frieden muß man beten, aber auch etwas tun.
    Der Papst nannte den Frieden ein „Geschenk Gottes”. Aber: „Der von Gott geschenkte Friede ist immer auch eine Errungenschaft und Verwirklichung des Menschen.” Auch eine Demonstration kann dem Frieden dienen: indem sie die Politiker und uns alle aus der Gewohnheit und der Überzeugung, am derzeitigen Gang der Dinge könne nichts geändert werden, herausreißt.
  13. Für den Frieden können Christen auch mit Nicht-Christen demonstrieren und arbeiten.
    Es wäre sündhaft, sich einer Gemeinschaftsanstrengung zu entziehen. An einer von Kommunisten veranstalteten Friedensdemonstration teilzunehmen, wäre Christen sicher nicht zu empfehlen. Deshalb an einer Demonstration nicht teilzunehmen, weil auch Kommunisten mittun, wäre auch keine sinnvolle Generalregel. Zu hoffen ist, daß klare Aussagen auf den Transparenten am Samstag die einzelnen Gruppen und ihre Ziele erkennbar und unterscheidbar machen.
  14. Selbst wenn alle Waffen der Welt vernichtet würden, wäre das keine Friedensgarantie.
    Nicht vernichten kann man die Fähigkeit des Menschen, neue zu bauen. Und die Lust, es zu tun. Deshalb wird die Menschheit immer im Risiko leben. Heute ist das Risiko so groß geworden, daß es mit aller Kraft und höchstem Einsatz verringert werden muß.

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