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Frieden wichtiger als Krieg?

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1970, für den Nahen Osten das Jahr des Waffenstillstands und des Nas- ser-Todes, verspricht bei den Arabern über seine zeitliche Grfenze hinaus wirksam zu bleiben. Seine folgenschweren Ereignisse, dpren Auswirkungen sich schon in den letzten beiden Monaten des alten Jahres in Form einer Kettenreaktion vom Persischen Golf bis zum Maghreb entladen haben, werden vielleicht sogar neben dem Vietnamkonflikt und den Großmächten das frisch angebrochene Jahrzehnt bestimmen. Knotenpunkt der Ereignisse war da bei der heiße Kairoer Spätsommernachmittag des 28. September, als der ägyptische Staatschef und arabische Führer Nasser auf dem Flughafen von Heliopolis zusammenbrach und wenige Stunden später einem Herzanfall erlag.

Der Schmerz des ägyptischen Volkes und weiter arabischer Kreise, der sich bei dem Begräbnis des auf eine nüchterne Lafette gebahrten Präsidenten am 1. Oktober nochmals in voller Heftigkeit entlud, war echt. Allerdings als unberechtigt. Nassers für den Nachfolgefall getroffenen konstitutionellen und sicherheitsdienstlichen Vorkehrungen bestanden ihre Bewährungsprobe: Sein Stellvertreter Anwar El-Sadat wurde sofort als Übergangspräsident vereidigt, und Innenminister Gomaa nahm als oberster Polizeichef das Ruder fest in die Hand. Als die ersten Trauergäste vom sowjetischen Ministerpräsidenten Kossygin über Erzbischof Makarios bis zu Präsident Pompidou am Nil eintrafen, waren hier die Würfel in der Nachfolgefrage bereits gefallen. Der wenig profilierte, aber noch von Nasser ein gesetzte Vizepräsident Sadat durfte als einziger Kandidat für die Präsidentschaft antreten, um in erster Linie die Kontinuität zu wahren.

Weniger „Nasseristen“

Kaum war er bei der recht freizügigen Volksabstimmung vom 1-5. Oktober, bei der es sogar eine große Zahl von Nein-Stimmen und Enthaltungen geben konnte, in seinem Amt bestätigt, begann der schrittweise Umbau der ägyptischen Staats- und Parteihierarchiie. Als erster zog sich Nassers persönlicher Vertrauter und Informationsminister Heikail aus dem Kabinett zurück, das dann am 21. Oktober unter die Führung des bewährten Diplomaten Fawzy gestellt wurde. Die übrigen Minister blieben vorerst in ihrem Amt, da Kairo vor weiteren Experimenten zurückschreckte, bevor die Verlängerung des Waffenstillstands am Suezkanal gesichert war. Nur für die Partei wurde gleichzeitig mit der Bestellung Fawzys zum Ministerpräsidenten ein neuer Generalsekretär in dem jungen und energischen Abdul Nur bestellt, dessen Einfluß sich dann gleich im November auf dem 5; Parteikongreß der ägyptischen Einheitspartei „Arabische Sozialist!-

sche Union“ bemerkbar machte. Inzwischen hatte auch die zweite Etappe der Feuerpause eingesetzt und den Ägyptern Zeit und Ruhe für die Vollendung ihres Machtumbaus gegeben. Die Minister Fawzys demissionierten zur Novembermitte, und er selbst wurde mit der Bildung eines neuen Kabinetts beauftragt, in dem dann fünf vertraute Gesichter aus der nasseristischen Ära nicht mehr auftauchten. Die entscheidendste Veränderung war aber der Übergang der Oberaufsicht über 14 der 28 Ministerien auf Innenminister Gomaa, der sich damit klar als neuer Herr der Lage deklarierte. Der auf dem 5. Parteitag auch zum Parteichef gewählte Präsident Sadat und Parteisekretär Abdul Nur profitieren mit von dieser Machtverteilung, während sich die Armee solange ruhig verhält, als die politische Initiative zur Bewältigung der Nahost- problematik noch nicht ganz zum Stillstand gekommen ist. Die neuen Herren Ägyptens brauchen den Frieden notwendiger als den Krieg, und sei es auch nur ein unerklärter Waffengang der Bomber und Raketen.

Ob 1971 den Völkern des Nahen Ostens, Israelis wie Arabern, aber den Frieden bringen kann, hängt nach Nassers Tod jetzt nicht mehr so erstrangig von den Ägyptern ab wie bisher. Ägyptens Führenrolle in der arabischen Welt hat den Ausfall Nassers zwar deshalb recht unbeschadet überstanden, weil gleichzeitig die Regimes im Irak und Syrien in den Sog des von Nasser hinterlassenen Machtvakuums gerissen wurden. Aber schon die Annäherung der von Luftmarschall Assad gedeckten neuen Regierung in Damaskus an den Bund der VAR mit dem Sudan geht schon weniger auf das Konto Sadats als auf das des jungen libyschen Staatschefis Kazafy, der sich der besonderen Zuneigung des späten Nassers erfreut hatte. Von der politischen Weiterentwicklung seiner vielversprechenden und vom Erdölreichtum seines Landes, getragenen Persönlichkeit wird vielleicht der Weg der Araber in den siebziger Jahren ebenso abhängen wie sie Nassers Parolen in den letzten zwei Jahrzehnten gefolgt waren.

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