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Friedhofsruhe in Burundi

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Die Rache der „langen Männer“, der Tutsi, hat Papst Paul VI. einen „wilden Wahnsinn“ genannt. Sie haben in rasendem Blutrausch versucht, ein ganzes Volk, die Hutu, auszurotten.

Burundi, der Zwergstaat im Herzen Afrikas, wurde zum Massengrab für 150.000 oder 200.000 Hutu, die mit Stöcken und Gewehrkolben erschlagen oder mit Buschmessern und Bajonetten erstochen und niedergehackt wurden.

Das Land war von Leichen übersät, und Baumaschinen rissen Massengräber auf, in denen die aufgedunsenen, verwesenden Leiber zerstampft und verscharrt wurden. Nun herrscht Friedhofsruhe in Burundi.

Seit dem 15. Jahrhundert herrschen in Burundi die aus dem Norden eingefallenen Tutsi, die die ansässigen Hutu unterjocht haben.

Die Tutsi, eine langbeinige, schlanke, hochgewachsene Rasse mit schmalem Schädel, gehören zur ha-mitischen Völkerfamilie.

Die Hutu, kleingewachsene Hirten, zählen zu den Bantuvölkern.

Die Tutsi behaupteten ihre Vorherrschaft während der deutschen Kolonialherrschaft über Ostafrika (1892 bis 1918), während der belgischen Mandatshoheit (1918 bis 1962) und nach der Erlangung der staatlichen Unabhängigkeit im Jahr 1962.

Die Tutsi halten das Zepter in der Hand, obwohl sie nur eine Minderheit sind. Die Tutsi stellen 15 Prozent und die Hutu 85 Prozent der 3,5-Miüionen-Bevölkerung.

Burundi ist der Taufstatistik nach zu 70 Prozent ein christliches Land. Selbst die Kirche ist aber entzweit, der Großteil des Klerus gehört dem Stamm der Tutsi an. Die Hutu finden deshalb bei den europäischen Missionaren größeres Verständnis als bei den einheimischen Priestern.

Nur die Oberfläche Burundis aber ist christlich, in der Tiefe lebt noch die Urreligion fort, in der die Stammesfeindschaft zwischen Tutsi und Hutu wurzelt.

Peter Cronenberg berichtet darüber in „Kontinente“: „Imana (der Schöpfer aller Dinge) schuf einen jungen Mann und eine junge Frau. Sie bauten sich eine kleine Hütte im Busch. Sie hatten zwei Kinder. Das eine zeugte die Tutsi, das andere die Hutu. Danach schuf Gott die Kühe, die Schafe und die Ziegen. Die Hutu kamen und sahen die Kühe. Sie hatten Angst und flohen. Die Tutsi kamen, machten sich ,weiß' und führten die Kühe weg. Die Hutu nahmen die Schafe und Ziegen.“

Die Verschiedenheit der Stämme, der überlegenen tapferen und schlauen Tutsi und der unterlegenen ängstlichen Hutu, ist also nach der ursprünglichen Religion Burundis gottgewollt.

Am 29. April 1972 unternahmen die Hutu den achten Versuch, die Machtverhältnisse in Burundi zu ändern.

Hutu-Revolutionäre im Lendenschurz mit roten Stirnbändern und Tarngeflecht aus Gras auf den Köpfen versuchten im Süden des Landes eine Hutu-Volksrepublik unter rotgrüner Flagge zu errichten. Die Aufständischen — viele im Drogenrausch — ermordeten 1000 bis 5000 Tutsi.

Die Tutsi holten zum Gegenschlag aus. Mehrere Hundert Soldaten auf gepanzerten Fahrzeugen, die von Hubschraubern begleitet wurden, machten mit Maschinenpistolen und Handgranaten die Rebellen nieder, die nur mit Lanzen, Speeren und Messern bewaffnet waren.

Die militärische Aktion der Tutsi zur Niederschlagung des Aufstandes der Hutu dauerte eine Woche.

Was als Jagd auf die Verschwörer begann, endete als Jagd auf die Hutu im ganzen Land, obwohl sich die Masse der Hutu nicht an der Befreiungsaktion beteiligt hatte.

Wenigstens alle gebildeten Hutu sollten liquidiert werden. Und als gebildet galt, wer des Lesens und Schreibens kundig war und wer kein Strohdach, sondern ein Wellblechdach auf seiner Hütte hatte.

Der gnadenlosen Vergeltungskampagne fielen vor allem die Beamten, Angestellten, Lehrer, Händler, Krankenpfleger, Mittelschüler, Studenten, Katechisten und Priester zum Opfer. Ganze Schulklassen wurden ausnahmslos umgebracht. Nicht geschont wurden Frauen, Kinder und Greise. Und schwangeren Frauen wurde mit Dolchen der Leib aufgeschlitzt.

Die gefangenen Hutu, Unschuldige wie Schuldige, wurden unbarmherzig gefoltert, gepeinigt, massakriert und verstümmelt. Gefesselt wurden sie auf Lastwagen wie Holzprügel oder Kartoffelsäcke kreuzweise aufeinan-dergeschichtet. Lastwagen voll Leichen wurden täglich abgekippt — in Massengräber oder Flüsse.

Banden der Polizei, des Militärs, der Parteijugend und regelrechte Banditen mordeten, brandschatzten und plünderten die Habe der Hutu in einer schaurigen Orgie der Roheit und des Hasses. Abertausende Hütten liegen in Schutt und Asche.

Die Welt aber schwieg und schweigt.

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