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Friedrich Heers Mahnung

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Nach ernst begründeter Unterbrechung setze ich meine Kolumne mit einem Thema fort, das meine ganze Arbeit einmal mehr, einmal weniger mir bewußt begleitet: die Persönlichkeit von Friedrich Heer, die mit dieser Wochenzeitung eng verbunden war, hat meine frühen Jahre, die Intentionen meiner Tätigkeiten und meine Vorstellungen von einer möglichen Zukunft wesentlich beeinflußt. Der äußere Anlaß zu diesen Gedanken ist ein großformatiges, dickes Werk, das auf 536 Seiten eine Friedrich Heer-Bibliographie (samt 50 Seiten „Biographisches Nachwort") umfaßt und gleich zu Anfang bekennt, daß diese immense Arbeit nur ein Versuch ist (Böhlau-Verlag). Der Verfasser des Buches ist der Direktor der Bibliothek des Österreichischen Staatsarchivs Adolf Gais-bauer, und man kann als früher und naher Zeuge wohl sagen, daß dieser Versuch optimal gelungen und nach menschlichem Ermessen vollständig oder nahezu vollständig ist. Wer diese Seiten durchstudiert, kann nur überwältigt sein von der enormen und vielseitigen Leistung Friedrich Heers: allein das Titelregister von Friedrich Heers Arbeiten (ohne die Rezensionen, Interviews, Diskussionen, Lesungen und Gespräche) umfaßt 29 Seiten. Unter diesen Titeln befinden sich so wichtige und aufregende Bücher wie „Das Gespräch der Feinde" 1949, wie die „Europäische Geistesgeschichte" 1953 oder „Die dritte Kraft" 1960. Werke wie „Offener

Humanismus" 1962 und „Europa, Mutter der Revolutionen" 1964 waren dazu geeignet, jeglichen Provinzialismus im kleinen Österreich aufzusprengen und den Weg in eine übernationale und geistig durchwirkte Zukunft zu zeigen. Friedrich Heer - dies zeigt sich aus der Distanz sehr deutlich - war eine große Figur der humanistischen Kontinuität christlicher Prägung, und die Brisanz seiner oftmals provozierenden Gedanken konnte seine religiöse und zutiefst der Tradition verbundene Herkunft niemals verschütten. Mag sein, daß er mit seinen Hypothesen da und dort übers Ziel schoß, daß er zum Schrek-ken der Historikerzunft in seinen zeitgeschichtlichen Büchern und Essays gelegentlich dem „Übertreibungskünstler" Thomas Bernhard nahe kam, und auch die wütenden Zuschriften und Drohanrufe, die er erhielt, erinnern an Thomas Bernhards Situation. Auch Friedrich Heer sah die Gegenwart, und besonders die österreichische, extrem düster, doch den großen hellen Bogen in eine humane Zukunft verlor er nie. Und niemals gab es bei ihm auch nur eine Spur von Böswilligkeit, Heimtücke oder Neid: seine hämmernde Zeitkritik entsprang einem Urgrund von Lauterkeit und Güte. Seiner Scharfsichtigkeit kamen das Bewußtsein der Werte und die Hoffnung nie abhanden. Adolf Gaisbauer ist für seine wertvolle, notwendige und durch ihre Qualität energisch mahnende Publikation sehr zu danken.

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