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Frohes Fest, Buruba!

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Die weißgestrichene Postbaracke in der kleinen Distrikthauptstadt hat über Weihnachten geschlossen. Eben noch rechtzeitig konnte ich meine wohlverschnürten Pakete mit Hunderten mühsam zusammengesammelten Exemplaren von getrockneten Pflanzen und allerlei in Spiritus eingelegtem Krabbelgetier loswerden und auf die endlose Reise zum Naturhistorischen Museum nach Wien schicken. Nach wochenlangem Umherstreifen im denkbar unwegsamsten Gelände - von dichtem tropischem Regenwald überwuchertes Hochgebirge - tut es nun gut, sich auf einmal wie im Urlaub zu Fühlen und einfach ein wenig auf der einzigen Straße umherzuschlendern, die dieser letzte Vorposten der Zivilisation zu bieten hat.

Die Szenerie mit den schlichten ebenerdigen, höchstens einstöckigen Bretter- und Wellblechschuppen könnte fast aus einem x-beliebigen Wildwestfilm stammen - bis auf die Schilder über den Ladentüren, die zumeist Namen wie Tschang, Chung oder Liu-Ping aufweisen: ein Hauch von China-Town, wie überall in der Südsee, wo sich die Nachkommen ehemals aus Asien importierter Plantagen-Kulis niedergelassen und zu wohlhabenden Händlern emporgearbeitet haben. Aber auch der obligate „Saloon" fehlt nicht, der hier bezeichnenderweise die Aufschrift „Haus Bia" (Pidgin-English für „Beer house", also Bierhaus) trägt. Die von schattenspendendem Bambus und meterhohen Hecken flammendroten Weihnachtsstern-Gesträuchs umfriedete gastliche Stätte hat wegen des hohen Festes offiziell geschlossen. Die Ausschank durchs Fenster über die Gasse erfreut sich jedoch ungeachtet dessen schon seit den Morgenstunden offenbar regen Zuspruchs.

Die herumlungernden, nur mit einer Bastschürze, einem Blätterbüschel oder Fetzen europäischer Kleidung bedeckten Gestalten bieten einen aufschlußreichen Querschnitt durch sämtliche der grob geschätzt achthundert Eingeborenenstämme des Landes, die alle ihre eigene Sprache und Kultur besitzen.

Auch hier macht sich der 24. Dezember bemerkbar. Ein Wellblech-Hangar, der als Gotteshaus dient, wird von emsigen braunen Händen mit Girlanden aus weißen Blütensternen festlich hergerichtet. Ein Dutzend im Gras knieen-der Eingeborener ist eifrig bemüht, mittels behelfsmäßiger Sicheln aus irgendwelchen zurechtgeschliffenen Blechstreifen dem Platz vor dem Bungalow der Pastorenfamilie das Aussehen gepflegten englischen Rasens zu verleihen. Einige Papuamädchen schmücken unter Anleitung einer sonnenbebrillten Dame eine übermannshohe stachelige Araukarie, die von weitem einem europäischen Tannenbäumchen ziemlich ähnlich sieht. Aus einem Bambusgehölz dringt der Gesang eines gemischten Chors, der - mit papuanischem Text - ein altenglisches Weihnachtslied einstudiert.

Neben der mitgliederstärksten lutherisch-evangelischen Landeskirche (die römisch-katholische Kirche steht auf dem zweiten Platz der Statistik) können nicht nur Anglikaner, Methodisten, Baptisten, Adventisten, Zeugen Jehovas und Mormonen mit beträchtlichen Bekehrungserfolgen aufwarten, sondern auch völlig neuartige Religionsgemeinschaften, bei denen die Lehre des Evangeliums mit vorchristlichen Glaubensvorstellungen vermischt ist.

Auf meinem Programm steht ein Besuch bei Pater Mikulitsch, den das österreichische Missionshaus St. Gabriel hierher entsandt hat. Leider erfahre ich, daß der Pater über die Feiertage zum Bischof in die 700 km Luftli-;e entfernte Hafenstadt geflogen ist,und so lasse ich mein weihnachtliches Mitbringsel von daheim in der getreuen Obhut der lustigen braunen Köchin und

Haushälterin Theresa. Sie erinnert mich daran, daß heute auf dem nahen Markt die alljährliche Versteigerung stattfindet. Uber dem Platz, wo jeden Samstag ein buntes Durcheinander von Bananenbündeln, Süßkartoffeln, Yamsknollen, quiekenden Borstentieren und allen erdenklichen sonstigen kulinarischen Genüssen aus den umliegenden Dörfern feilgeboten wird, lastet eine Wolke aus Staub, Fliegen und strengen Gerüchen nach Schweiß und ranzigem Schweinefett, das hier als Sonnenöl benutzt wird. Zu den Klängen des Bing Crosby-Schlagers von „White Christmas", der zum x-ten Mal aus einem plärrenden Lautsprecher dringt, kommen hier die Glanzstücke der in Europa durchgerührten Altkleider-Sammlungen unter den Hammer.

Zum Glück stoße ich im allgemeinen Gedränge auf meinen Freund Buruba, der ebenfalls etwas erstanden hat, was er in einem großen, in Bananenblätter eingewickelten Bündel auf der Schulter trägt. Wenn ich nicht gerade für Wochen auf meinen Sammelstreifzügen unterwegs bin, habe ich meine Zelte gewöhnlich in Burubas Dorf aufgeschlagen, wohin es uns beide auch jetzt zieht. Vorher tätigen wir zur größten Freude meines-Begleiters noch ein paar letzte Weihnachtseinkäufe, soviel wir gerade tragen können: einige eiserne Spatenblätter, Beilklingen und Buschmesser, sowie - langgehegter Herzenswunsch von Burubas ganzer zahlreicher Sippschaft - ein batteriebetriebenes Kofferradio, um etwas von der großen Welt zu erfahren.

Da wir den mehrstündigen Fußmarsch vor Abend niemals schaffen würden, sind wir heilfroh, als uns nach wenigen Kilometern ein Toyota-Geländewagen aufgabelt. Es ist Willy Jansen, seines Zeichens nicht nur Besitzer einer bescheidenen Kaffee- und Teeplantage, sondern auch eines im vorigen Jahrhundert aus Deutschland hierher verschlagenen Großvaters und einer chinesischen Großmutter. Nach holpriger Fahrt über die abenteuerlichste Schlammpiste halten wir vor Willys Bambusvilla, aus der ein schier atemberaubender Duft dringt. Unwillkürlich muß ich an die heimatliche Weihnachtsbäckerei denken, und die Uber-raschung ist perfekt, als uns Mrs. Jansen, eine dunkle, rundliche Frau von der Insel Neu-Irland, zur Begrüßung eine Schüssel mit den herrlichsten frischgebackenen Kokosbusserln vorsetzt. Unter Palmen und einem sternfunkelnden lauen Abendhimmel bewirtet uns Willy mit einer Flasche australischem Riesling-Sylvaner, während er feierlich das nach monatelanger Schiffsreise erst vor wenigen Tagen endlich doch eingetroffene Paket hervorholt, das ich Tür ihn aus Österreich bestellen mußte: Fünfunddreißig Jahre nachdem ihm in den Wirren der japanischen Invasion Neuguineas sein geliebtes Instrument zertrümmert wurde, hält er wieder eine Zither in Händen! Nie hat das oft strapazierte Lied von der stillen, heiligen Nacht für mich schöner geklungen.

Nur mit Mühe können wir uns von den freundlichen Gastgebern losreißen, um die restlichen paar Kilometer zu unserem Dorf noch beizeiten zu schaffen. Während sich Buruba, jubelnd begrüßt von sämtlichen Angehörigen, munter an die Zubereitung des mitgebrachten Weihnachtsbratens macht, schlafe ich im hintersten Winkel der raucherfüllten Bienenkorbhütte sofort ein. Erst ein köstlich mundendes Stück Braten, das mir jemand unter die Nase hält, bringt mich wieder auf die Beine. Es ist Mitternacht, und dank des neuen, vielbestaunten Radios kommen wir sogar in den Genuß der Weihnachtsansprache des allseits beliebten Regierungschefs, der sinnigerweise vormals als Rundfunksprecher tätig war.

Am nächsten Tag habe ich zweimal Anlaß zum Staunen. Einmal, als ich erfahre, daß unser Weihnachtsbraten von einem überfahrenen Hund stammte, das zweite Mal über Buruba, der mich fragt: „Wann ist eigentlich Weihnachten?" Um ihm zu erklären, daß dieses Fest erst wieder nächstes Jahr um die gleiche Zeit fällig ist, muß ich ihm die zwölf „Monde" bis dahin an den Fingern vorrechnen. Darauf wirft mir Buruba einen langen Blick zu, schlägt dann die Hände vors Gesicht und stößt etwas hervor, was ich sinngemäß am ehesten nur mit dem in Wien gebräuchlichen Ausruf „Jesus, Maria und Josef!" wiedergeben kann.

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