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Digital In Arbeit

„Frontalunterricht“ statt Diskussionen

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Vor die Wahl gestellt, das politische Wollen der Partei eingehend diskutieren oder einen Halbtag früher heimfahren zu können, entschieden sich die Delegierten des vorwöchigen SPÖ-Parteitages in Wien für die Heimfahrt. Statt Samstag in den Mittagsstunden fand der 25. sozialistische Jubelparteitag am Freitag abend mit dem „Lied der Arbeit“ ein jähes Ende.

Das war aber auch schon die einzige Überraschung, denn sonst lief alles wie geplant, wenn man davon absieht, daß Neo-Staatssekretärin Anneliese Albrecht folgenschwer ausrutschte: mit einem Schenkelhalsbruch mußte sie vier Stunden vor dem allgemeinen Aufbruch zum Eingipsen ins Wiener Rudolfsspital abtransportiert werden.

Fortschrittliche Pädagogen hätten den Parteitag wahrscheinlich schon früher verlassen: Die Delegierten wurden einem „Frontalunterricht“ ausgesetzt, der eigene Mitarbeit und Mitdenken erschwert hat. Die Zentralsekretäre Fritz Marsch und Karl Blecha, Klubobmann Heinz Fischer, erst recht der Parteivorsitzende Bruno Kreisky und Wüly Brandt als Vorsitzender der Sozialistischen Internationale zogen alle Referatsregister und schafften in den Wiener Sofiensälen das Bewußtsein, daß „bei denen da oben“ alles in besten Händen ist.

Das wurde auch bei der Abstimmung über die Anträge deutlich: Praktisch alle heiklen Themen wurden nicht entschieden, sondern dem Parteivorstand zur weiteren Behandlung zugewiesen. Die Delegierten hatten Angst vor ihrer eigenen Macht, vielleicht gerade deshalb, sie selbst von der Demonstration der Stärke am Parteitag überwältigt waren. „Wir müssen“, mahnte Fritz Marsch nicht unbegründet, „immer an unserem Grundsatz der Trennung von Partei und Staat festhalten.“

Manches hat die SPÖ - trotz neuem Selbstbewußtsein - nicht verdaut: etwa die Bestellung Gerd Bachers zum Generalintendanten des ORF. Während „Tiger“ Bacher mit SPÖ- Größen in den Seitengängen plauderte, wurde drinnen im Plenum der Antrag angenommen, daß Tendenzen, den ORF „als Privatuntemeh- men zu fuhren oder ihn als Privateigentum von Personen oder Personengruppen zu betrachten, durch geeignete Maßnahmen entgegenzuwirken“ sei.

Gespalten bleibt man auch in Sachen Kernenergie. Nationalbank-Generaldirektor Heinz Kienzl, will als Gewerkschaftsdelegierter mittels Umfrage neuerdings eine Mehrheit für Zwentendorf festgestellt haben, während die Junge Generation in der SPÖ das Nein zur Kernenergie auch im Parteiprogramm verankert wissen wollte. Kienzls Wortmeldung wurde verdrängt, der JUSO-Antrag verworfen.

Die Opposition wurde mit Spott bedacht, sonst war sie für die Delegierten nicht vorhanden. Anders für die handelnden Personen: sie nehmen die Opposition durchaus ernst.

Karl Blecha etwa legte seinen Parteifreunden politische Kategorien wie „menschliche Wärme, Betroffenheit, Mitgefühl und Phantasie“ ans Herz, Kategorien, wie sie Wiens ÖVP-Obmann Erhard Busek vor Monaten schon in die politische Diskussion eingebracht hat.

Da wurde von der „menschlichen Schule“ gesprochen und kein SPÖ- Funktionär wollte sich erinnern, daß diese Bezeichnung ein tragendes Element der letzten ÖVP-Wahlplatt- form gewesen ist.

Und was die „neue soziale Frage“ für die Volkspartei ist, beantwortet die SPÖ mit einer „sozialen Offensive“. Kein Wunder ist es daher, wenn sogar Fritz- Marsch den seinerzeit ÖVP-dominierten Begriff Lebensqualität, als sozialistischen Leitgedanken vorstellte.

Der echte Höhepunkt des Parteitages war sicherlich das Referat Bruno Kreiskys. Seine nicht unumstrittenen Ausführungen hätten sich mehr Beachtung verdient - gerade seitens der Delegierten.

Aber Bruno Kreisky findet auch in der SPÖ keine Gesprächspartner, wodurch die Diskussion eigentlich keine war. Dabei wurde deutlich, wie groß der Verlust ist, den die SPÖ durch den Tod von Karl Czemetz erlitten hat.

Weder der alte Kämpfer Josef Hin- dels, der im Kreisky-Referat Spuren des Austromarxismus zu entdecken glaubte, noch die Jusos, die in bekannter Weise gegen die multinationalen Konzerne Sturm liefen, können darüber hinwegtäüschen, daß außenpolitische und internationale Fragen in österreichischen Parteien, auch in der SPÖ, nur als Hobby einzelner, nicht aber als politisches Grundanliegen aller betrachtet werden.

Auch das ist ein Erkenntnis des SPÖ-Bundesparteitages.

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