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Fruchtbares Jahr

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Im trockenen Datenmaterial der jüngsten Mitteilungen des Statistischen Zentralamtes über die Bevölkerungsbewegung im Jahr 1982 schlummert gesellschaftspolitischer Sprengstoff: In Österreich war im Vorjahr bereits jedes fünfte Neugeborene unehelich. Ein neuer Rekord im Nachkriegsösterreich. Da ist tatsächlich einiges in Bewegung.

Dabei signalisieren die nackten Zahlen eine durchaus nicht unerfreuliche Entwicklung: Die Bereitschaft der Gesellschaft, ein Kind anzunehmen, ist nach dem absoluten Geburtentief ab Mitte der siebziger Jahre (1978 nur 85.402 Lebendgeborene) wieder leicht im Steigen begriffen.

1982 wurden im Bundesgebiet nach den Aufzeichnungen der Standesämter 94.840 Kinder geboren, um 898 oder ein Prozent mehr als 1981.

Allerdings: Mit 74.364 hat die Zahl der ehelichen Geburten gegenüber 1981 um 1.308 oder 1,7 Prozent abgenommen, während jene der unehelichen Geburten um 2.206 oder 12,1 Prozent gestiegen ist: auf 20.476!

Damit hält der Trend zu unehelichen Geburten nicht nur an, er nimmt sogar noch zu. Eine bedenkliche Entwicklung?

Zu bedenken gibt es dabei wohl auch, daß parallel dazu in Österreich die Neigung, aus Anlaß einer unehelichen Schwangerschaft noch vor Geburt des Kindeä eine Muß-Ehe einzugehen, abgenommen und die Bereitschaft zur unehelichen Mutterschaft zugenommen hat.

Vielleicht erklärt auch das, warum die Zahl der Eheschließungen im Berichtsjahr mit 47.643 zwar nur leicht, aber doch wieder um 125 oder 0,3 Prozent gesunken ist.

Anhaltspunkte für eine derartige Annahme finden sich dafür auch in früheren statistischen Erhebungen: So widersprechen die Mikrozensus-Daten des Jahres

1976 der gängigen Vorstellung, wonach Eltern zuerst heiraten und dann an den Nachwuchs denken. Rund zwei Drittel der Paare, die Nachwuchs bekamen, haben erst geheiratet, vertrauten sie den Statistikern an, als „das Kind schon unterwegs“ war, oder auch erst nach der Geburt.

Um sich ein Bild von der Größenordnung machen zu können, um die es dabei geht: 1976 wurden bei 45.767 Eheschließungen 87.446 Kinder geboren, davon 75.391 ehelich. Demnach wären rund 30.000

Kinder bereits vor der Heirat unterwegs gewesen.

Wer freilich glaubt, in dieser Entwicklung finde lediglich ein moderner urbaner Zeitgeist- seinen Niederschlag, dessen heile Welt wird bei einem weiteren Blick in die Statistik zerstört. Denn am höchsten war 1982 die Uneheli- chenquote in Kärnten (34,1 Prozent) und Salzburg (32,3), dicht gefolgt von der Steiermark (28,8), Tirol (27,2) und Oberösterreich (24,7).

Unter dem Bundesdurchschnitt von 21,6 Prozent lagen die Bun-, deshauptstadt Wien (15,6), Vorarlberg (14,6), Niederösterreich (9,6) und das Burgenland (8,5). Daß diese regionale Entwicklung kein Zufall ist, läßt sich über Jahre zurückverfolgen.

Zum besseren Verständnis können auch hier Daten der Mikrozensus-Erhebung 1976 beitragen: Denn besonders häufig sind voreheliche Kinder, brachte die Befragung zutage, bei Bäuerinnen und Arbeiterinnen bzw. bei Frauen von Arbeitern, selten dagegen bei Frauen von mittleren und höheren Angestellten. Hier einen Zusammenhang mit der Empfängnisverhütung zu übersehen, hieße, die Augen vor der Lebenswirklichkeit zu verschließen.

Bedenkt man zudem, daß - leider — hierzulande die Abtreibung eine entscheidende (wenn auch offiziell ungewünschte) Methode der Geburtenregelung darstellt, erscheint freilich die ledige Mutterschaft wieder in einem anderen Licht: Denn vor allem Frauen mit (oder auf dem Weg zu) höherer Qualifikation sind es, lassen die spärlich vorliegenden Untersuchungsdaten schließen, die sich häufiger sowohl gegen jede Muß- Ehe wie auch gegen ihr Kind entscheiden.

Diese Analyse wäre freilich unausgewogen, würde sie außer acht lassen, daß gerade in dieser Gruppe von Frauen auch das extreme Gegenteil anzutreffen ist: jene Frau nämlich, die eine geplante Mutterschaft ohne die Bereitschaft, den Kindesvater zu ehelichen, eingehen. Diese frauenbewegte Entwicklung zur vaterlosen Teilfamilie ist zwar bekannt, aber statistisch noch nicht erfaßt.

Wer all diese Daten als Merkmale eines Wertewandels deuten oder dafür die Änderung sexueller Verhaltensweisen verantwortlich machen möchte, findet freilich in seinem verklärten Blick zurück in die Vergangenheit keine Bestätigung: Noch zur Jahrhundertwende war jedes vierte Kind unehelich geboren.

Trotzdem kann man der Meinung sein, daß dieser neu-alte Trend zu unehelichen Kindern aus verschiedenen Gründen — etwa weil eine Teilfamilie die Familie nicht ersetzen kann — nicht wünschenswert ist.

Noch weniger wünschenswert darf es aber sein, werdendes Leben abzutreiben. Wer also an unehelichen Kindern oder auch an vorehelich konzipierten Schwangerschaften Anstoß nimmt und sie verhindern möchte, müßte — in Kenntnis des Menschlichen — der Empfängnisverhütung und der konsequenten Aufklärung leidenschaftlich das Wort reden, statt harte Worte zu finden.

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