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Frühlingswunder

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Das interdisziplinäre oder gar interfakultäre Gespräch kommt über einige eher außeruniversitäre Initiativen kaum hinaus. Der einzelne Wissenschaftler aber hat auch andere Fragen als jene, die in seiner Disziplin und an seiner Fakultät behandelt werden. Er bedarf einer tieferen Gemeinschaft und Zugehörigkeit als jener, die er sich durch Berufung als Lehrer oder durch Immatrikulation als Student erwirbt.

Das ist der Ort der Gemeinde, wie sie Karl Strobl als Hochschul-

Seelsorger von Wien vor Augen hatte. Er stellte und provozierte Fragen, die an der Universität entweder gar nicht oder doch so nicht gestellt werden. Von ihm hörte man Namen, die manchen von seinem Fach her nicht bekannt waren: Karl Kraus, Ferdinand Ebner, Ludwig von Ficker, Terese von Avila und Johannes vom Kreuz, Joseph Wittig und Erik Peterson.

Er war ständig von Literatur aller Art umgeben: Romane und Lyrik, Kirchenväter und Phüoso-phie, Geschichte und Theologie. Er hatte einen sicheren Blick für Begabungen und „ermutigte viele, etwas zu werden, von dem sie noch nicht gewußt haben, daß sie es schon sind“, wie Gernot Eder einmal sagte. Vor allem aber hat er Menschen über religiöse Distanzen und über politische Gräben hinweg miteinander ins Gespräch gebracht. Es war ihm fremd, sich erst zu erkundigen, welchem „Lager“ einer angehört, ehe er sich dafür interessierte, was einer sagte oder brauchte.

Die Gründe für seine prägende Kraft sieht Agnes Niegl in ihrem Vorwort zu Strobls „Notizen aus dem Nachlaß“ in „seiner Fähigkeit, über die Grenzen von Disziplinen, Nationen, Konfessionen und persönlichen Schwierigkeiten hinweg für das Gespräch offen zu sein“, aber auch „weil er unnachgiebig darauf hinwies, daß dem Denken das Handeln zu folgen hat und der Christ der Welt des Geistes verpflichtet ist... vor allem aber, weü Strobl — trotz mancher Schwächen - als Mensch und Christ glaubwürdig war.“

In seinem bäuerlichen Unverstand wußte der Monsignore und spätere Prälat um die Bedeutung von Häusern und Institutionen. Er hat der Erzdiözese den Erwerb dieses Hauses vorgeschlagen, in dem wir uns befinden und an dem heute die Ehrentafel enthüllt wurde. Er hat zusammen mit den „Freunden der Katholischen Hochschulgemeinde Wien“ die anderen Studentenhäuser und Treffpunkte der KHG aufgebaut.

Doch er wußte auch, daß eine Gemeinde noch nicht besteht, wenn es Häuser und Sekretariate, Funktionäre und Semesterprogramme gibt. Eine christliche Gemeinde ist dort - und überall dort, wo das Wort Gottes verkündigt und angenommen wird. Sie ist dort, wo nach dem Philemonbrief die Gemeinschaft des Glaubens zum „Generator für Energie“ wird, „zur Erkenntnis alles Guten, das gegeben ist.“...

Institutionen werden gegründet und verwaltet; sie können so oder anders geordnet werden. Gemeinden aber entstehen und leben aus dem Glauben ihrer Mitglieder, aus dem Willen zum Gespräch und zur Gemeinschaft sowie zum konkreten Dienst. Das war das Wunder, das sich in jenem „Winter in Wien“ ereignet hat, der von 1938 bis 1945 gedauert und sich wie ein Frost auch über die Universität gelegt hatte. Das ist das Wunder des Frühlings, das die Kirche in dieser gegenwärtigen - von Karl Rahner so genannten — winterlichen Zeit erlebt: Es gibt lebendige Gemeinden in Lateinamerika, in Afrika, in Indonesien und anderswo — und hoffentlich auch hier in Wien.

Der Autor iit Professor für Pastoraltheologie an der Katholisch-Theologischen Hochschule in Linz.

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