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Digital In Arbeit

Frühpension ist keine gute Lösung

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Die Herabsetzung der Altersgrenze zur Entlastung des Arbeitsmarktes ist ein problematisches Rezept. Angebote für Alternativen sind vorhanden.

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Die Herabsetzung der Altersgrenze zur Entlastung des Arbeitsmarktes ist ein problematisches Rezept. Angebote für Alternativen sind vorhanden.

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Wenn die Wirtschaftsforscher mit ihrer jüngst revidierten Prognose recht behalten und die Konjunktur tatsächlich nur Pause macht, dann wird es 1987 exakt so viele Jahresarbeitsplätze geben wie 1981. Nur: seither bewerben sich rund 100.000 mehr Menschen um diese Arbeitsplätze, die Zahl der Arbeitslosen, die in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre um 60.000 herum schwankte, wird 1987 im Jahresdurchschnitt mindestens 160.000 betragen.

Die Rücksichtnahme auf Leistungsbilanz und Staatshaushalt machen eine „expansive“ Lösung des Problems, das heißt mehr Wachstum, zumindest sehr schwierig, und sosehr wir auch strukturpolitisch um eine Erweiterung des Handlungsspielraumes ringen, es ist schon eine Menge Strukturverbesserung notwendig, um wenigstens Schritt halten zu können.

Also doch eine Angebotsverkürzung als Lösung?

Zahlreiche Möglichkeiten sind im Gespräch, entweder die Zahl der Bewerber um Arbeitsplätze zu verringern, oder die Dauer ihrer Tätigkeit zu begrenzen.

Erfreulicherweise wird die Parole: Frauen zurück an den Herd! vorläufig noch nur vereinzelt und unter vorgehaltener Hand ausgegeben, obgleich für die nächsten fünf Jahre, für den Fall, daß die Arbeitslosigkeit sich der 200.000-Marke nähern sollte, zuviel Optimismus auch nicht am Platz sein dürfte.

Und Ausländer haben sich, da die Zeit der großen Arbeitswanderungen ein gutes Jahrzehnt zurückliegt, als weitgehend integriert und seßhaft erwiesen. Erfreulicherweise hat die Arbeitsmarktverwaltung dies zur Kenntnis genommen. Will man also keine Gruppe diskriminieren, so bleibt nur die Arbeitszeit. Lebensarbeitszeit, in der Form eines späteren Eintritts oder früheren Austritts aus dem Berufsleben, Jahresarbeitszeit in der Form längeren Urlaubes oder Wochenarbeitszeit, im allgemeinen wird dies unter Arbeitszeitverkürzung diskutiert. Die Diskussion darüber war von Beginn an von Emotionen belastet und von Irrtümern gekennzeichnet und soll hier nicht nochmals aufgerollt werden. Hier geht es vielmehr darum, wie könnte es weitergehen?

Unter allen Formen der Arbeitszeitverkürzung im weiteren Sinn gibt es eine, die nahezu alle Nachteile auf sich vereinigt, aber erstaunlicherweise auf den geringsten politischen Widerstand stieß, die Frühpensionierung. Sie ist mit Abstand die teuerste Lösung, die durchschnittliche Frühpension liegt um beträchtliches über dem durchschnittlichen Arbeitslosenbezug, der für sich schon eine teure Form der Arbeitszeitverkürzung ist.

Die Lebenserwartung steigt, früher oder später wird die Altersgrenze der Pensionierung nach oben gehen müssen, die Finanzierung eines durchschnittlich zwanzigjährigen Lebensabends aus vierzigjähriger Berufstätigkeit ist kaum zu leisten. Das spätere Hinaufsetzen der Altersgrenze wird aber keinesfalls erleichtert, wenn man sie jetzt heruntersetzt, abgesehen davon, daß es dann eine Gruppe von Privilegierten geben wird. Das „Nebenerwerbspotential“ ist für diese Form der Freizeit sicher am größten.

Man hat zwar argumentiert, daß die 35-Stunden-Woche den Pfusch anwachsen lassen wird, befürchtet dies aber offenbar weniger von 55 jährigen Männern, die überhaupt nichts mehr zu tun haben. Überdies fehlen die Frühpensionisten von heute dem Arbeitsmarkt von morgen als Entlastung. Will man das Problem nicht nur verschieben, muß man immer weiter damit fortfahren.Dessen ungeachtet ist es nahezu die einzige bisher verwirklichte Form der Arbeitszeitverkürzung.

Im November wird es allerdings in einigen Branchen zum „Einstieg“ in die 35-Stunden-Woche kommen. Aber alles, insbesondere die Vorstellung, eine Verkürzung des Angebots zum Zweck der gleichmäßigeren Verteüung von Arbeit könnte, wie immer die Vereinbarungen auch lauten, tatsächlich mit „vollem Lohnausgleich“ erfolgen, deutet darauf hin, daß sich der Weg zur 35-Stunden-Woche noch erheblich ziehen wird.

'Je langsamer eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit aber erfolgt, umso größer ist die Chance, ihre Auswirkungen durch Rationalisierung abzufangen. Das ist zwar einkommenschonend, geht aber am Ziel der Umverteilung von Arbeit vorbei. Ganz ähnliches gilt für die Verkürzung der Jahresarbeitszeit, also den längeren Urlaub.

Angesichts des immer rascheren Strukturwandels und der damit verbundenen Verschiebung des Qualifikationsbedarfs der Wirtschaft könnte ein zusätzliches Schuljahr zwei Probleme gleichzeitig lösen, den Arbeits-•markt quantitativ entlasten und das qualitative Angebot verbessern. Es wäre nur zu befürchten, daß die nächsten fünf Jahre, in welchen die Arbeitsmarktsituation sich noch weiter verschlechtern dürfte, mit Planung und Bereitstellung entsprechender Bildungseinrichtungen vergehen könnten. Überdies würden die Kosten eines weiteren Pflichtschuljahres gerade dort wirksam werden, wo sie am unangenehmsten treffen, nämlich im Budget und bei kinderreichen Familien.

Fazit: Für eine solidarische Teilung der Arbeit ist die Stimmung heute, nach einer bereits längeren Periode nur geringer Reallohnsteigerung, sicher schlechter als vor fünf Jahren. Für teure Lösungen mit einer bloß oberflächlich günstigen Optik werden die Mittel bald erschöpft sein. Die Prognosen, die seit einiger Zeit vorliegen und von etwa 200.000 Jahresarbeitslosen um 1990 sprechen, gewinnen an Wahrscheinlichkeit.

Aber die 2,8 Millionen Beschäftigten werden sich mit der gleichen bewundernswerten Gelassenheit um ihre eigenen Probleme kümmern.

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