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Führungskrise und fragwürdige Mehrheit fur Labour

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Der plötzliche Tod des erst 58jähri- gen britischen Außenministers Anthony Crosland, und die anschließend jetzt von Premierminister Callaghan vorgenommene, einigermaßen problematische Regierungsumbildung, haben die akuten Schwierigkeiten personeller Art unterstrichen, unter denen die Labourführung zur Zeit zu leiden hat.

Die im Oktober 1974 gewählte La- bourregierung hat seither schwere Verluste hinnehmen müssen. Auf Politiker vom Range eines Harold Wilson, eines Roy Jenkins und eines Anthony Crosland schon innerhalb der ersten Hälfte der Regierungsperiode verzichten zu müssen, das kann sich - vielleicht - eine Partei leisten, die mit einer soliden parlamentarischen Mehrheit auf den Wellen der Wählergunst dahinsegelt, angetrieben vom frischen Wind innen- und außenpolitischer Erfolge. Wenn man aber, wie die Labourregierung, über eine Unterhausmehrheit von genau einem Sitz verfügt und wenn auch dieser durch die bevorstehende Nachwahl im Wahlkreis Croslands jetzt zumindest fraglich geworden ist, wenn überdies ein tiefes Zerwürfnis in den eigenen Reihen herrscht, in der Labourführung selbst ebenso wie zwischen Regierung und Gewerkschaften - dann ist der Verlust solcher Männer ein nur sehr schwer zu überwindendes Handikap bei den ungeheuren Aufgaben, die der Regierung in den nächsten Wochen und Monaten bevorstehen.

Das Düemma Callaghans bei der jetzigen Regierungsumbildung war offensichtlich. Mit Anthony Crosland hatte er nicht nur einen der fähigsten Allrounder seines Kabinetts verloren, den Chefideologen seiner Partei und einen „Mann der Vernunft und Mäßigung”, wie die „Times” ihn nannten, sondern auch eine der bedeutendsten Stimmen der „rechten Mitte”, wie sie jetzt in der Labourpartei immer mehr in die Minderheit geraten. Dennis Healey, weithin als Nachfolger Croslands im Gespräch, war als Schatzkanzler unabkömmlich; die Wirtschaftsstrategie ist Kernstück der gegenwärtigen Regierungspolitik und gerade jetzt, da das neue Budget und die Verhandlungen über eine dritte Phase des Sozialkontrakts zwischen Regierung und Gewerkschaften bevorstehen, konnte auf die immense Erfahrung Healeys nicht verzichtet werden, um so mehr, als seine finanzpolitischen Maßnahmen langsam aber sicher Früchte zu tragen beginnen. Die zweite Kandidatin des rechten Labourflügels, Erziehungsministerin Shirley Williams, steht zur Zeit am Beginn einer kriti schen Debatte über grundlegende Reformen des britischen Schulsystems; zudem dürfte Callaghan der Meinung gewesen sein, daß als erster führender Kabinettsposten für diese brillante junge Politikerin weniger das Portefeuille des Außenministers als das des Schatzkanzlers geeignet wäre, das sie zweifellos in ein oder zwei Jahren erhalten wird, wenn Healey die gröbste Arbeit geleistet hat.

So entschloß sich der Premierminister also zu dem überraschenden, aber fast allgemein positiv aufgenommenen Schritt, als Croslands Nachfolger Dr. David Owen zu bestimmen, der nun also mit 38 Jahren der jüngste britische Außenminister seit Sir Anthony Eden wurde. Dr. Owen, dem ursprünglichen Beruf nach praktischer Arzt, ist seit 1966 Unterhausabgeordneter für Plymouth und hatte bereits mehrere kleinere Staatsämter inne, bis er als leidenschaftlicher Europäer im Jahre 1972 alle Funktionen zurücklegte - aus Protest gegen die negative Haltung der Labourpartei gegenüber der EG. 1974 wurde er dann Gesundheitsminister, wobei er durch eine Reihe gut durchdachter Reformen auffiel, und im September des Vorjahres schließlich machte ihn Callaghan zum Staatsminister im Außenministerium unter Anthony Crosland, von dessen Haltung und politischem Denken Owen seiner eigenen Aussage nach stark beeinflußt ist.

War es weise, in dieser schwierigen politischen Situation einen doch recht unerfahrenen jungen Mann zum Außenminister zu machen, einen Mann, der weiteren Kreisen bisher eigentlich nur durch seine energische Nichtraucherkampagne im Gesundheitsministerium bekannt war?

Premierminister Callaghan ist offenbar dieser Ansicht, und er sieht in der Ernennung Dr. Owens auch keineswegs eine Interims- oder Notlösung, sondern vielmehr den Teil eines wohlüberlegten, langfristigen Planes. Wenn nämlich die Labourregierung die nächsten zwei Jahre ihrer Amtsperiode tatsächlich überleben sollte - die jüngste Abstimmungsniederlage im Unterhaus anläßlich der Devolutionsdebatte über Schottland und Wales hat das Ansehen der Regierung weiter geschwächt - dann will Callaghan irgendwann im Sommer 1979 mit einem jungen, dynamischen neuen Regierungsteam vor die britische Wählerschaft treten, mit einem Team, dem man die Fehler der Vergangenheit nicht ankreiden kann.

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