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Führungsprobleme der USA

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Während wir mit einem anscheinend hoffnungslosen Gewebe äußerer und innerer Verstrickungen kämpfen, nimmt das Vertrauen der Amerikaner in ihre wichtigsten Institutionen in alarmierender Weise ab. Besonders verheerend ist dies im Falle des Präsidententeams.

Einige Beobachter meinen, daß die Einrichtung selbst überholt gehörte. Andere würden sich mit einer völlig andersartigen Persönlichkeit an der Spitze zufriedengeben: Ein stärker die Muskeln rollender Präsident könnte die Situation verändern. Wieder andere erblicken das Übel in den letzten Präsidenten, die zuwenig vertrauenerwek-kend oder willensstark gewesen seien.

Es ist meine Uberzeugung, daß ein richtig verstandenes Präsidentenamt immer noch eine vitale und wirksame Institution darstellt. Die „muskulöse" Persönlichkeit wäre nicht die Quelle seiner Stärke. Und keiner, der eine amerikanische Präsidentenwahl gewinnt, kann als willensschwach oder zuwenig selbstsicher gelten.

Was uns zuletzt gefehlt hat, war das Konzept Vorstellung eines ausgewogenen Präsidentenamtes.

Die Verfassung der USA lädt zur Auseinandersetzung ein; ihr kompliziertes System der Gewichte und Gegengewichte verhindert, daß die Staatsmacht jemals monolithisch erstarrt.

Das Präsidentenamt ist das entscheidende Steuerrad unseres Systems. Der Präsident ist die Nabe dieses Rades, dessen Speichen ihn mit vielerlei Beziehungen versorgen. An der Wurzel der jüngsten Probleme dieses Amtes liegt ein Ungleichgewicht in den wichtigsten Beziehungen des Präsidenten.

Zum Wesen unseres Systems gehört das Recht des Staatsbürgers, auf Erledigung seiner Beschwerden rechnen zu können. Zur Aufgabe des Präsidenten gehört es aber nicht nur, zur Lösung solcher Forderungen als ehrlicher Makler beizutragen, sondern auch, die Interessen der ganzen Nation zu artikulieren.

Immer mehr wird der Beruf eines politischen Lobbyisten populär. Uber 2200 Lobby-Organisationen, die verschiedene Interessen vertreten, sind derzeit registriert.

Der Präsident muß über die oft widerspruchsvollen Grundströmungen von Interessen, Wünschen und Meinungen orientiert sein. Aber es ist gleichermaßen seiner Aufgabe, die öffentliche Meinung zu führen, zu modellieren und einen nationalen Konsens in den wichtigsten Fragen herbeizuführen ...

Unersetzbarer Partner eines jeden amerikanischen Präsidenten ist der Kongreß. Erfolge und Mißerfolge hängen in der Regel vom Erfolg und Mißerfolg dieser Partnerschaft ab. Das Bündnis ist selten ganz harmonisch, häufig bewegt und manchmal von offener oder kaum verhüllter Feindschaft gekennzeichnet.

Daß das Pendel des Primats zwischen dem Weißen Haus und dem Capi-tol Hill (wo auch der Oberste Gerichtshof steht!) hin- und herschwenkt, macht die Dialektik der amerikanischen Verfassungsgeschichte aus.

Nach Vietnam, Watergate und den sogenannten Gefahren eines „imperialen Präsidentenamtes" hat dieses Pendel in jüngster Zeit weit in Richtung Kapitol ausgeschlagen. Der Kongreß ist heute viel selbstbewußter, besonders auf dem Gebiet der Außenpolitik, als noch vor ein paar Jahren.

Staatsführung durch den Kongreß wäre kein Schaden, hätten wir ein parlamentarisches System. Aber unser Kongreß ist weder vom Temperament noch von der Natur her zur Wahrnehmung von Regierungsfunktionen geschaffen noch von der Verfassung damit beauftragt.

Derzeit gibt es über 250 autonome oder de facto autonome Unterausschüsse des Kongresses mit unabhängigen legislativen Aufträgen und Stäben. Allein die kritische Energiefrage behandeln 83 Ausschüsse und Unterausschüsse im Repräsentantenhaus.

Große und immer größer werdende Stäbe unterstützen die Arbeit des Kongresses; im Senat werken derzeit 7148 Stabsmitglieder - doppelt so viele wie vor zehn Jahren; im Repräsentantenhaus sind es 11.738 Personen. Einige Stabsmitglieder haben erheblichen Einfluß; nicht eines von ihnen wurde gewählt ...

Das wesentliche Instrument des Präsidenten für die Ubersetzung seiner Vision in konkrete politische Ziele ist die Exekutive, also das Kabinett, politische Entscheidungsträger unterhalb des Ministeramtes, das Heer der zivilen und militärischen Beamten und der Stab des Weißen Hauses.

Hat der Präsident einen guten Griff, umgibt er sich mit Kabinettsmitgliedern, die starke Persönlichkeiten mit unabhängigen Absichten (und oft einer eigenen Hausmacht) sind. Um effizient zu sein, muß die Regierung aber mit einer klaren, im wesentlichen konsequenten Stimme sprechen. Hier ist Ausgewogenheit besonders schwierig und die Umstände erzwingen immer wieder Anpassungen.

Jedes Kabinettsmitglied muß frei genug sein, sein Ministerium wirksam zu führen und jene Unabhängigkeit des Geistes und des Urteils hervorzukehren, die für den Präsidenten so wichtig sind. Ungeachtet dessen muß das Kabinett als Ganzes den Zielen der Regierung und der Partei dienen, die letztlich der Präsident definieren muß.

Es ist zum Beispiel wichtig, daß politische Entscheidungen, die den Verantwortungsbereich mehrerer Ministerien berühren, durch Koordination und Konsultation zustande kommen, auch wenn dann nur ein Ministerium Hauptverantwortung für die Durchführung trägt. Genau zu diesem Zweck wurde 1947 für die auswärtigen und vertei-digungsbezogenen Angelegenheiten durch Gesetz der Nationale Sicherheitsrat eingerichtet.

Dieses Instrument mag verbesserungsbedürftig sein, aber man soll es gebrauchen und braucht es nicht neu zu erfinden.

Eine ähnliche Einrichtung könnte für vorwiegend innenpolitische Fragen geschaffen werden. Bei seiner Konstruktion sollte man freilich an der Geschichte und den Erfahrungen des Nationalen Sicherheitsrates nicht vorübergehen ...

Der Verfasser, jahrelang NATO-Oberkomman-dierender in Europa und derzeit Präsident der United Technologies Corporation, galt bis zuletzt als rührender Anwärter für den Posten des US-Außenministers. Dieser Beitrag entstammt, stark gekürzt, einem Aufsatz im Herbstheft 1980 des „Washington Quarterly".

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