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Fünf Jahre Gaddafi

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In Gamal Abdel Nassers „Philosophie der Revolution“ steht der Satz, ‘die Politik gleiche einer Rolle, die. ihren Darsteller suche. Die Rolle des weltpolitischen Verschwörers fand, nachdem sie nicht mehr von finsteren Anonymen wie der „internationalen Freimaurerei“ oder dem „Weltjudentum“ gespielt wird, einen neuen Star. Doch diesmal handelt es sich nicht um Phantasie- gcbilde Infantiler, sondern um eine sehr lebendige Persönlichkeit: Libyens Militärdiktator Oberst Mo’ammer el-Gaddafi.

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In Gamal Abdel Nassers „Philosophie der Revolution“ steht der Satz, ‘die Politik gleiche einer Rolle, die. ihren Darsteller suche. Die Rolle des weltpolitischen Verschwörers fand, nachdem sie nicht mehr von finsteren Anonymen wie der „internationalen Freimaurerei“ oder dem „Weltjudentum“ gespielt wird, einen neuen Star. Doch diesmal handelt es sich nicht um Phantasie- gcbilde Infantiler, sondern um eine sehr lebendige Persönlichkeit: Libyens Militärdiktator Oberst Mo’ammer el-Gaddafi.

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Anders als Freimaurer oder Juden, die als Geimeinsdiaft niemals irgendwo eine verborgene politische Rolle zu spielen versuchten oder vermodi- ten, ist der späte Missionar des Feuer-und-Schwert-Propheten Mohammed ein sehr realer Bösewicht. Nach dem Sechstagekrieg von 1967 sannen die durch die israelischen Siege an allen Fronten gedemütigten arabischen Regierungen zwar auf Revandie; die Palästina-„Fedaiiin“ aber lagen am Boden. So wenig die Araberstaaten die durdi den Juni- feldzMg geschaffenen miiitärstrategi- sdien Tatsachen hinzunehmen gewillt waren, so wenig erwiesen sie sich zur weiteren Unterstützung der

Guerrilleros bereit. Diese hielten sich lange nur durdi die Erpressung ihrer Landsleute und der wackligen Feudalregime in den ölförderlän- dem finanziell über Wasser.

Der Retter in der Not kam in der Gestalt el-Gaddafis. Seit Herbst 1969 finanzierte er nachweislich mit etlichen hundert Millionen Dollar neben dem Dachverband „Palästinische Befreiungs-Organisation“ (PLO) vor allem die anarchistischen Radikal-Aktivisten auf der äußersten Linken der Freischärlerszene. Ohne Libyens Dollarspritzen, den Waffenschmuggel im libyschen Diplomatengepäck und die libyschen Asylversprechen wären die spekta-

kulären Flugzeugentführungen ebensowenig denkbar gewesen wie die Anschläge auf israelische Einrichtungen in aller Welt bis hin zum Münchner Olympia-Massaker.

Die Drahtziehertalente des geborenen Verschwörers aus dem Beduinenzelt in der Großen Syrte blieben aber schon bald nicht mehr beschränkt auf die arabische Welt. Ei- Gaddafis erste außerarabische „Arbeitnehmer“ wurden die Befreiungsbewegungen in den portugiesischen und spanischen Gebieten und in Rhodesien. Hier kann er sich immerhin das Verdienst beilegen, zum Radikalisierungsprozeß nidit unwesentlich beigetragen zu haben. Zu el- Gaddafts „Verdiensten“ im Schwarzen Erdteil gehört auch, daß er durch großzügige Finanzhi’lfeverspredien die jahrhundertelange Abneigung der Neger gegen die ehemaligen Sklaventreiber überwand und erreichte, daß im Zusammenhang mit Ramadan- und Ölkrieg nahezu sämtliche afrikanischen Staaten’ mit Israel brachen.

Arabien, wo er inzwischen so unterschiedliche Bewegungen wie den pronasseristischen Widerstand gegen Präsident es-Sadat in Ägypten, moslemische Geheimklüngel gegen die christliche Oberschicht im Libanon, die StadtguerriiUeros gegen cjje feudalistischen Ölscheichs am Persergolf und die Dhofarrebellen .gegen den Sultan von Muskat und Oman und gleichermaßen die Gegner der nordjemenitischen Republikaner auf der anarchistischen Linken wie der royalistischen Rechten wie die Feinde des mit den Dhofarrebellen verbündeten marxistischen Regimes im Südjemen unterstützt und Schwarzafrika sind längst nicht mehr seine einzigen Betätigungs-

felder. Sein Einfluß macht sich auch in Lateinamerika bemerkbar, wo libysche Gelder die arabischen Kolonien, die es in fast allen lateinamerikanischen Staaten gibt, gegen die ebenfalls dort befindlichen großen jüdischen Gemeinden und die Regierungen im proarabischen Sinn mobilisieren. Die CIA hat Beweise dafür, daß el-Gaddafi auch mit den „Black Panthers“ finanziell und ideologisch kooperiert.

Doch el-Gaddafis Schatten liegt seit langem auch über der europäischen Anarchoszene. Als Baader- Meinhof-Genossen im Vorderen Orient die ihnen noch fehlenden Buchstaben des Anarchisten-Abc auswendig lernten, ermöglichten ihnen nach den Erkenntnissen diverser Geheimdienste libysche „Stipendien" Reisen und Aufenthalte. Libysche Waffen tauchten auch auf dem nordirisdiÄi Bürgerkriegsschauplatz auf, wo infolgedessen auch libysches Geld eine gewisse Rolle spielen dürfte. El-Gaddafis neueste Freunde sind die italienischen Neo- faschisten. Sein Statthalter Major Abdessalam eci-Dschallud soll sich kürzlich unteri anderem mit Neofaschistenführer Almdrante in Italien getroffen haben.

Des Libyers letzter Streich ist seine Einmischung in den Zypem- konflikt. Seiner Initiative ist es nach Beiruter Informationen zuzuschreiben, daß sich im zyprischen Untergrund bereits erste Widerstandsgruppen bildeten, die auf christlich-griechischer Seite gegen die muselmanisch-türkischen Interessen ankämpfen wollen.

Wie schwerwiegend man solche Feststellungen beurteilt, hängt davon ab, für wie glaubhaft man die ihnen zugrunde Hegenden journalistischen und geheimdienstlichen Recherchen hält. Unwiderlegliche Beweise gibt es in kaum einen Fall. Die unmittelbar Beteiligten schweigen , atis erklärlichen Gründen, und die, die sie entlarven sollten, tun es aus ebenso erklärlichen Gründen. Wer will schon öffentlich einen Mann und sein Regime vor den Kopf stoßen, von dessen Laune ein guter Teil der westlichen Erdölver- sorgüng abhängt?

Die Indizien sprechen dennoch eine deutliche Sprache. Und wie es in einem Indizienprozeß üblich ist, bleibt die Frage nach den Motiven des Täters unbeantwortet. Was treibt einen Mann an, der Linke wie Rechte, Anarchisten wie Faschisten, Moslems und Christen gleichermaßen fördert, wenn sie nur das eine tun: Widerstand leisten nicht nur gegen die „etablierte“, sondern gegen jede Ordnung? Es ist nicht ungefährlich, zu behaupten, dieser Mann sei verrückt. Nicht nur, daß es Politiker, Journalisten, Industrielle und Fromme gewöhnlich besser wissen und solche harten Worte übelnehmen. El-Gaddafi weiß zudem seine Macht klug anzuwenden. Der Fall des „Stampa“-Cheffedakteurs Levy, den er ‘um seinen Job zu bringen versüriite, ist nur des Eisberges Spitze. Doch auf die Gefahr hin, daß der Fanatiker aus dem Beduinenzelt eines Tages sogar eine jüdische Widerstandsbewegung gegen die Regierung Israels finanziert, muß festgestellt werden: dieser Mann ist eine Gefahr für den WeMrieden.

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