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Fünf Schwerpunkte der Seelsorge in Wien

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Der vom Kirchenrecht vorgesehene Fünfjahresbericht nach Rom, den Kardinal König im September 1977 überbrachte, war Anlaß, in Zusammenarbeit mit den entsprechenden diözesanen Ämtern, Dienststellen und Gruppierungen einen ausführlichen Bericht über die seelsorgliche Situation in der Erzdiözese Wien abzufassen. Ihm wurde eine Einleitung vorangestellt, in der fünf Schwerpunkte in der Seelsorge der letzten Jahre hervorgehoben wurden. Keine dieser Aktivitäten kann als abgeschlossen bezeichnet werden, sondern wird auch in den nächsten Jahren die Arbeit in der Erzdiözese Wien prägen.

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Der vom Kirchenrecht vorgesehene Fünfjahresbericht nach Rom, den Kardinal König im September 1977 überbrachte, war Anlaß, in Zusammenarbeit mit den entsprechenden diözesanen Ämtern, Dienststellen und Gruppierungen einen ausführlichen Bericht über die seelsorgliche Situation in der Erzdiözese Wien abzufassen. Ihm wurde eine Einleitung vorangestellt, in der fünf Schwerpunkte in der Seelsorge der letzten Jahre hervorgehoben wurden. Keine dieser Aktivitäten kann als abgeschlossen bezeichnet werden, sondern wird auch in den nächsten Jahren die Arbeit in der Erzdiözese Wien prägen.

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• N achkonziliare Erneuerung im wahrsten Sinn des Wortes gibt es nur dort, wo die Theologie des Konzils aufgearbeitet wird und ihre neuen Ansätze erkannt werden, und wo die geänderte Praxis auch vom Geist des Konzils durchdrungen ist. Dieser Prozeß erfordert immer mehr gezielte Bildungsvorgänge für Priester und Laien. Die Erneuerungen selbst werden aber auch nicht in allen Kreisen mit der gleichen Bereitschaft und im gleichen Tempo verwirklicht. Ge-, meinsame Bildungsveranstaltungen, Motivation, aber auch verbindliche Richtlinien werden dabei die einen ermuntern, andere aber in ihrem Übereifer bremsen müssen. Die in anderen Diözesen oft starken Polarisierungen unter dem Klerus und unter den Laien hat es in der Erzdiözese Wien nie so ausgeprägt gegeben. Hat schon die Wiener Diözesansynode extreme Positionen abzubauen verstanden, so haben die letzten Jahre eine noch viel stärkere Ausgeglichenheit gebracht.

• Vertiefung der Sakramentenpasto- ral: Der Ritus aller Sakramente wurde in den letzten Jahren nach dem Auftrag des Konzils erneuert. Dadurch sollte die Zeichenhaftigkeit der Sakramente deutlicher werden und noch stärker als bisher den Gemeinden bewußt werden, daß sie letztlich aus den Sakramenten leben. Gemeinsames Beten und Tun sollte dabei immer stärker erlebbar machen, daß Kirche eben glaubende Gemeinde am Ort ist und Liturgie nicht Sache der Priester allein, sondern Sache aller ist. Von der Erneuerung ist vieles äußerlich schon zu merken. Die innere Erneuerung ist längst noch nicht abgeschlossen. Noch viele Anstrengungen werden gemacht werden müssen, damit die eben genannten Früchte der Liturgieerneuerung bewußter und erlebbarer werden. Die neue Sakramentenpastoral hat nicht nur die Kerngruppen in den Pfarren innerlich sehr bereichert, sondern ist auch zu einem sehr tauglichen Mittel der Fernstehenden-Seel- sorge geworden. Eltern, die nur noch anläßlich der Taufe ihrer Kinder, deren Erstkommunion oder Firmung mit der Kirche in Berührung kommen, werden jetzt stark in die Sakramen- tenvorbereitung ihrer Kinder mitein- bezogen. So gibt es kaum mehr ausschließlich Kinderkatechese vor diesen „Initiationssakramenten“, wie man sie nennt, sondern mehr und mehr wird der Kontakt zu den Eltern zu einer Erwachsenenkatechese ausgebaut.

• Größere Mitverantwortung der Laien in ihren Gemeinden: Erstaunlich schnell haben sich viele Laien in den verschiedenen pastoralen Gremien auf Pfarrebene, im Vikariat und in der Diözese zur Verfügung gestellt. Entmutigungen traten nicht selten deshalb ein, weil die Laien für die Übernahme einer Mitverantwortung noch zu wenig geschult waren, und auch die neue Art der Zusammenarbeit zwischen Priestern und Laien erst eingeübt werden mußte. Theologische, spirituelle aber auch praktische Aus- und Weiterbildung für die verschiedenen Sachbereiche wird zur moralischen Verpflichtung all jener werden, die in der Kirche nicht nur mitreden, sondern auch mitverantworten wollen. Geduld und gegenseitige Rücksichtnahme braucht es seitens der Priester und der Laien, bis jene neuen Formen der Zusammenarbeit sich nach Überwindung vieler menschlicher Schwierigkeiten dem Wesentlichen widmen können.

• Personalmangel in der Seelsorge und Folgerungen daraus: Der Priestermangel hat es mit sich gebracht, daß in viel stärkerem Maß als bisher Laien im Schuldienst und auch in vielen Sparten der außerschulischen Seelsorge eingesetzt werden. Aber zu sehr ist man noch an das alte Seelsorgekonzept gewöhnt, das vom Priester getragen ist, so daß vielfach Laien eher Hilfsfunktionen auszuüben haben. Der eigentliche Fortschritt wäre aber, Dienste, die ganz einfach historisch dem Priester zugewachsen sind, wieder zu entflechten und gut ausgebildeten und qualifizierten Laien in einer möglichst großen Selbständigkeit zu übertragen. Neue Seelsorgemodelle sind notwendig, um den Einsatz von Laien in diesem Sinn zu ermöglichen. Dann wird man aber auch den größer gewordenen Anforderungen moderner Seelsorge besser entsprechen können, und die Laien werden die ihnen eigene Begabung in einem viel stärkeren Maß als bisher in den Gemeindedienst einbringen.

• Zurüstung der Gläubigen zu einem Leben in einer säkularisierten Umgebung: Immer häufiger wird dem Christen künftig bewußt werden, daß er in einer andersdenkenden Umgebung und Gesellschaft lebt. Das Gesetz der „Fristenlösung“, eine immer liberaler werdende Ehe- und Scheidungsgesetzgebung, eine ständige Konfronta-

tion mit Medien, in denen bisher gültige Werte mehr und mehr in Frage gestellt werden, fordern die Eigenverantwortung des einzelnen glaubenden Menschen viel stärker als bisher heraus. Er wird es lernen müssen, inmitten so vielfacher Meinungen und Wertordnungen zusammen mit Gleichgesinnten sich eine eigene Wertordnung nach dem Gesetz Christi zu schaffen und auch konsequent danach zu leben. Die Bemühungen der Kirche werden dahin gehen müssen, vermehrte Hilfeleistungen den einzelnen Christen bei der Gewissensbildung zu stellen, sich aber auch in der Öffentlichkeit dafür einzusetzen, daß jener Freiraum gesichert bleibt und jene Toleranz, in der dann einer aus seiner Überzeugung noch treu leben kann.

Wer die Entwicklung der Kirche in den letzten Jahren in der Erzdiözese Wien beobachtet’hat, konnte feststellen, daß sie in der Öffentlichkeit bisher gewohnte Positionen verloren hat und so in ihrem Einfluß schwächer geworden ist. Auf der anderen Seite gibt es immer mehr Menschen, die die Entwicklung unserer Gesellschaft mit Besorgnis betrachten und verstärkt nach bleibenden Werten suchen. Die Kirche von Wien will gerade diesen Menschen bei ihrer Suche helfen und aus dem Zeugnis des Glaubens heraus Lebensmodelle zur Bewältigung einer sehr ungewissen Zukunft anbieten.

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