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Fünfte Säule der Selbstbehauptung:

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Ist ein aktiver, kreativer und phantasievoller Widerstand einem Aggressor gegenüber auch ohne Waffen möglich? Die Diskussion darüber ist in jedem Fall notwendig.

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Ist ein aktiver, kreativer und phantasievoller Widerstand einem Aggressor gegenüber auch ohne Waffen möglich? Die Diskussion darüber ist in jedem Fall notwendig.

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Mit der Veröffentlichung des Landesverteidigungsplanes ist die Diskussion um die österreichische Verteidigunfspolitik in eine neue Phase getreten. Immer mehr wird klar, daß das System der Umfassenden Landesverteidigung (ULV), zumindest vom Konzept her, aus vier gleichberechtigten Bereichen, der Geistigen, Wirtschaftlichen, Militärischen und Zivilen Landesverteidigung, besteht.

Auch vertieft sich das Bewußtsein, daß eine Umfassende Landesverteidigung, richtig verstanden, ein eng vernetztes System zahlreicher Maßnahmen der Selbstbehauptung darstellt.

Was ist nun Soziale Verteidigung, oder, um einen weniger ideologisch besetzten Begriff zu wählen, „waffenlose, relativ gewaltfreie Verteidigung“? Hier stoßen wir schon auf erste Schwierigkeiten.

Dieser Begriff ist höchst unscharf und wird meist als ein Spektrum von Maßnahmen von der Sabotage am eigenen Gut bis hin zur Selbstverletzung oder Selbsttötung verstanden, mit dem Ziel, einem Aggressor primär den Zugriff auf die gesellschaftlichen Strukturen eines Landes zu verwehren.

Problematisch ist das Fehlen eines entsprechenden Diskussionsvorganges in unserem Land unter Einbindung aller demokratischen Kräfte und unter Berücksichtigung der spezifischen Situation Österreichs, d. h. im Dialog auch mit militärischen Experten und im Bewußtsein, daß sich die bisherigen Erfahrungen der Sozialen Verteidigung eher auf länger dauernde Besetzungen als auf Aggressionen von der Art eines Durchmarsches militärischer Verbände durch unser Land beziehen.

Ziel einer recht verstandenen Sozialen Verteidigung wäre es, ein breitgefächertes Spektrum von Maßnahmen ohne Waffengewalt auszuarbeiten, die maßgeschneidert dem einzelnen ebenso wie Gruppen und Verbänden einen aktiven, kreativen und phantasievollen zivilen Widerstand ermöglichen.

Eine solche waffenlose Verteidigung wäre natürlich auch Ausdruck der Bereitschaft, für Österreich aktiv einzutreten, und hätte zweifelsohne eine nicht zu unterschätzende Abhaltewirkung.

Auch dieser Verteidigungsbeitrag ist schon in Friedenszeiten vorzubereiten. Dabei stellen sich zwei wesentliche Fragen: In welchem Verhältnis steht die waffenlose Verteidigung zur Umfassenden Landesverteidigung und soll es spezielle Träger einer waffenlosen Verteidigung geben?

Als Verteidigungsbeitrag mit Abhaltewirkung handelt es sich unmittelbar einsichtig um einen Beitrag zu einer umfassenden Sicherheitskonzeption. In diesem Sinne stellt die Soziale Verteidigung auch einen Bestandteil einer (weiterentwickelten) Umfassenden Landesverteidigung dar.

Manche Exponenten einer ausschließlich Sozialen Verteidigung vertreten die These, daß diese die bisherige militärische Verteidigung ersetzen müßte. Hier ist aber einzuwenden, daß jeder Beweis fehlt, daß sich wirklich sämtliche militärische Aufgaben eines kleinen neutralen Staates durch zivilen Widerstand ersetzen lassen. Auch erscheint es sinnvoll, einem Aggressor der jeweiligen Angriffssituation angemessen, d. h. mit einem möglichst breiten Spektrum eigener Maßnahmen entgegentreten zu können.

Darüber hinaus ist auf die Verpflichtungen hinzuweisen, die sich aus unserer immerwährenden Neutralität, die nach geltendem Völkerrechtsverständnis eine bewaffnete sein muß, ergeben.

Bedeutet das nun, daß die Soziale Verteidigung eine „fünfte Säule“ der Umfassenden Landesverteidigung, ergänzend zur bisherigen Militärischen, Geistigen, Wirtschaftlichen und Zivilen Landesverteidigung, sein soll?

Wahrscheinlich nicht. Vielmehr dürfte ein wohlvorbereiteter, relativ gewaltfreier waffenloser Widerstand Auswirkungen auf alle vorhandenen Bereiche der ULV haben, also dort in der Art einer verbindenden „Schiene“ verwirklichbar sein.

In der Militärischen Landesverteidigung wäre es notwendig, zu kalkulierbar abgestimmten und flexiblen Reaktionen zu gelangen, die durch die Soziale Verteidigung ergänzt werden. Im Bereich der Zivilen Landesverteidigung sind alle Maßnahmen zu setzen, die möglichst breiten Kreisen der Zivübevölkerung Schutz gewähren.

Darüber hinaus sind Vorkehrungen zu treffen, die möglichst großen Teilen der Bevölkerung eine aktive Teilnahme an gewaltfreien Verteidigungsmaßnahmen ermöglichen. Dies erfordert vorherige rechtliche, methodische und führungsmäßige Planung und Einübung. Unter Umständen bedarf der Status der hier handelnden Personen einer genaueren Klärung.

In der Wirtschaftlichen Landesverteidigung wären die Grundlagen für das Uberleben und für selbständige Aktivitäten z. B. kleiner Gruppen in Situationen der Sozialen Verteidigung zu legen. In der Geistigen Landeverteidigung wäre die Bereitschaft, auch die soziale Struktur unseres Landes mit allen möglichen Maßnahmen zu schützen, entsprechend zu fördern sowie auf die Sinnhaftigkeit von Maßnahmen der Sozialen Verteidigung hinzuweisen.

„Österreich ist auch dann verteidigungswert, wenn es besetzt ist.“

Die Abklärung, Propagierung und Durchsetzung der „verteidigungswürdigen“ (Grund-)Werte bedarf verstärkter pädagogischer Bemühungen und einer umfassenden gesellschaftlichen Diskussion.

Waffenloser Widerstand ist nur dann sinnvoll, wenn er von der gesamten Bevölkerung, jeweils an dem Ort, an dem er erforderlich ist, geleistet werden kann. Dieser Umstand bringt es mit sich, daß Zivildiener allein weder ausschließlich noch vorrangig Träger der Sozialen Verteidigung sein können und ihre Partizipation an der Sozialen Verteidigung nur innerhalb der jeweiligen Institution, in der sie ihren Ersatzdienst ableisten, möglich ist.

In diesem Zusammenhang ergibt sich noch ein abschließender Gedanke: Österreich ist auch dann noch „verteidigungswert“, wenn es besetzt sein sollte und aufgehört hat, als selbständiges Völkerrechtssubjekt zu existieren. Auch dann ist Widerstand notwendig, um unser Vaterland wiedererstehen zu lassen, und dieser Widerstand wird vorwiegend nichtmilitärischer Art sein müssen.

Die dafür notwendigen Konzepte wären schon heute zu erarbeiten, und es erscheint dazu angebracht, zusätzlich zu den bisherigen Anlaßfällen der Umfassenden Landesverteidigung, nämlich dem Krisenfall, dem Neutralitätsfall und dem Verteidigungsfall, noch einen Besetzungsfall auszuarbeiten.

Günter Danhel ist Diözesansekretär der Arbeitsgemeinschaft Katholischer Jugend Wien, Michael Landau leitet den Religiösen Arbeitskreis des Mittelschüler Kartellverbandes (MKV).

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