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Für das täglich Brot

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AI ja Rachmanowas in einer Neuauflage vorliegende Tagebuchaufzeichnungen „Milchfrau in Ottakring" sind noch für den heutigen Leser von hohem Reiz. Wie diese russische Akademikerin, Frau eines österreichischen Kriegsgefangenen, nach der Ausweisung der Familie aus der UdSSR im hungernden, unter Arbeitslosigkeit leidenden Wien 1925, einen Neubeginn auf einem ihr völlig fremden Terrain wagte -und gewann - mutet wie ein Wunder an. Sie kaufte mit geliehenem Geld einen kleinen Milchladen in Ottakring, dessen schmale Einnahmen Mann, Frau und Kind gerade vor dem Verhungern bewahrten, weil die Rachmanowa oft etwas abzweigte für die noch Ärmeren ihres proletarischen Kundenkreises.

Viel schmerzliches Heimweh nach der geliebten russischen Heimat; Trauer der Rachmanowa, daß sie sich zu wenig um Mann und Söhnchen kümmern konnte; tägliche Existenzsorgen; der Kampf mit dem grauen Alltag, haben ihren Niederschlag in den Tagebuchaufzeichnungen gefunden. Aber auch Lebensmut und Tatkraft, der Wille zum Durchhalten und die Hoffnung auf bessere Zeiten, die 1927, mit der Anstellung des Ehemannes sich erfüllte.

Keine larmoyanten Klagen über kaum zu bewältigende Augenblicksbedrängnisse in diesem Buch. Wohl Eingeständnis großer Müdigkeit und ungewohnter Entbehrungen im Alltag; aber immer auch Dankbarkeit, wieder einen Tag „geschafft" zu haben. Eine Lektüre, die uns Bürger einer Wohlstandsgesellschaft nachdenklich machen könnte.

MILCHFRAU IN OTTAKRING. Tagebuch einer russischen Frau. Von Alja Rachmanowa. List-Verlag, München 1979, 245 Seiten, öS 195,-.

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