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Für das Vaterland und seine Bürger

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1945 hatte in entscheidenden Fragen das staatspolitische Denken und Handeln zumeist den Vorrang vorder Parteipolitik. Dieser Geist geht immer mehr verloren.

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1945 hatte in entscheidenden Fragen das staatspolitische Denken und Handeln zumeist den Vorrang vorder Parteipolitik. Dieser Geist geht immer mehr verloren.

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Es ist für einen überzeugten Österreicher ungemein schmerzlich, wenn er beim Studium der Zeitungen — seien es nun in- oder ausländische - immer wieder lesen muß, daß unser Land im Laufe der letzten Jahre viel von seinem guten Image, das es sich mühsam genug erworben hatte, verloren hat.

Ich will jetzt gar nicht auf die verschiedenen Skandale und Katastrophen, die sich in der jüngsten Vergangenheit ereignet haben, und schon gar nicht auf den häßlichsten Wahlkampf der Zweiten Republik, der uns noch lange im Gedächtnis haften bleiben wird, eingehen.

Es ist jedenfalls ein unbestreitbares Faktum, daß alle diese Um-

stände das Ansehen Österreichs in der Welt schwer in Mitleidenschaft gezogen haben.

Für jeden wahrhaften und ehrlichen Patrioten kann es nur darum gehen, vorerst einmal sehr ernsthaft darüber nachzudenken, wieso es überhaupt zu all diesen unerquicklichen Ereignissen kommen konnte. Als zweiter Schritt müssen sodann die notwendigen Schlußfolgerungen gezogen werden.

Im Gedenkjahr 1984 glaubten wir, ehrlichen Herzens, sagen zu können, daß die Österreicher aus den traurigen Ereignissen des Jahres 1934 - Bürgerkrieg vom 12. Februar 1934, Dollfußmord vom 25. August 1934 - sehr wohl ihre Lektion gelernt hätten.

Es gibt so manche Mitbürger, die schon immer gesagt haben, Menschen und Völker seien offensichtlich nicht fähig, aus der Geschichte zu lernen. Ich habe dieser Auffassung immer aus tiefster innerster Uberzeugung heftigst widersprochen.

Dies nicht zuletzt unter Hinweis darauf, daß sich doch im Jahre 1945 Männer gefunden hatten, die sich vor allem eines sagten: Reden wir jetzt nicht von dem erst elf Jahre zurückliegenden Bürgerkrieg des Jahres 1934, sondern nehmen wir den Wiederaufbau des uns wiedergeschenkten, darniederliegenden Vaterlandes gemeinsam in Angriff.

Wo ist heute, 41 Jahre später, dieser Geist des Jahres 1945 noch festzustellen?

Damals hatte in entscheidenden Fragen das staatspolitische Denken und Handeln noch immer den Vorrang vor der Parteipolitik.

Sind wir in unseren Tagen tatsächlich auf dem besten Wege, alles das, was in den harten und bitteren, aber großen und heroischen Wiederaufbaujahren, denen wir letzten Endes unsere Freiheit und Unabhängigkeit verdanken, erarbeitet und errungen wurde, leichtfertig aufs Spiel zu setzen und damit jenen rechtzugeben, die Menschen und Völker für unfähig halten, aus der Geschichte zu lernen?

Rudolf Kirchschläger hat in seiner Abschiedsrede vor den Mitgliedern des National- und Bundesrates am 8. Juli 1986 uns allen, ohne Unterschied der Parteizugehörigkeit, eine Mahnung mit auf den Weg gegeben, die wir nur ja nicht überhören, sondern sehr ernst nehmen sollten, wenn er sagte: „Uns scheint in vielen Din-

,,Sind wir tatsächlich unfähig, aus der leidvollen Geschichte zu lernen?“

gen das Maß verlorengegangen zu sein, in der Freude am Genießen ebenso wie in der Ausübung der Rechte, die uns die Demokratie gewährt.“

Es stünde der Sozialistischen Partei ohne jeden Zweifel gut an, wenn sie darüber nachdächte, daß zu lange innegehabte und sehr intensiv genutzte Regierungsmacht letzten Endes nicht nur dem Gemeinwesen, sondern vor allem auch demjenigen schadet, der glaubt, sich von der Macht und von Ämtern, die er jahrzehntelang innegehabt hat, einfach nicht trennen zu können.

Es ist der parlamentarischen Demokratie darüber hinaus auch

sicherlich nicht förderlich, wenn der Standpunkt vertreten wird, daß der einzelne nichts und die Partei alles sei. Was wunder, wenn unter derartigen Umständen die Politikverdrossenheit und das Mißbehagen der Staatsbürger über die Politiker in bedrohlichem Maße wachsen?!

Ich möchte nur hoffen, daß die Mitglieder des Parlaments und vor allem auch diejenigen, die am 8. Juli 1986 auf der Regierungsbank saßen, die Rede Rudolf Kirchschlägers nicht nur aufmerksam mitverfolgt, sondern daß sie mittlerweile auch Zeit und Muße gefunden haben, sich den ganzen Text und aus ihm wieder manche Sätze wie etwa den folgenden ganz besonders zu Gemü-te zu führen:

„Und möge es allen staatlichen Organen auch immer bewußt bleiben, daß Zusammenarbeit nicht ein Akt des Wohlwollens oder ein Geschenk an den jeweils anderen ist, sondern ein unverzichtbarer Dienst am österreichischen Volk und an unserer Republik, ein Dienst, zu dem jede öffentliche Funktion verpflichtet.“

,,Es geht nicht um die Koalition, die der Partei einen Vorteil bringt.“

Diese Feststellung betrachte ich nicht nur als den Schlüsselsatz in der Abschiedsrede Rudolf Kirchschlägers, sondern geradezu als das Vermächtnis jenes Mannes, der immerhin zwölf Jahre hindurch Bundespräsident der Republik Österreich war.

Für jeden verantwortungsbewußten Politiker, der dieses politische Vermächtnis Kirchschlägers ernst nimmt, darf es nach den nächsten Nationalratswahlen nicht etwa darum gehen, jene Koalition anzustreben, die seiner Partei den größtmöglichen Nutzen zu bringen scheint.

Das österreichische Volk erwartet und verlangt völlig zu Recht jene Art von Zusammenarbeit zwischen den staatstragenden Kräften, die sich ausschließlich am Wohl des Vaterlandes und aller seiner Bürger und nicht an den Interessen welcher Partei immer orientiert.

Der Autor ist Bundesobmann des Osterreichischen Seniorenbundes und Vizekanzler a. D.

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