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Für den Duce: Nietzsches Werke

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Drei Wochen vor dem endgültigen Fall Siziliens, als dort noch erbittert gekämpft wurde, erwartete der Duce den Führer zu einer Lagebesprechung in der Villa Feltre. Hitler erschien mit einem Stab hochmütiger Offiziere und blieb viel kürzer, als geplant. Mussolini drängte auf Friedensfühler mit Sowjetrußland, da er erkannt hatte, daß die Anglo-Amerikaner mit ihm nicht verhandeln würden und die eigene Bevölkerung kaum mehr bei der Stange gehalten werden konnte. Hitler aber war sich bereits im klaren darüber, daß er nirgends mehr Chancen hatte. Deshalb forderte er von Mussolini schärfstes Durchgreifen im eigenen Lager, Straffung des Widerstandes, wo es noch ging, und die Bereitschaft, nötigenfalls eine Abwehrfront irgendwo quer durch Italien zu akzeptieren. Diese sollte den Deutschen Zeit geben, mit neuen Vernichtungswaffen die britische Insel zu zerstören, während die Russen an den Flußübergängen der Ukraine verbluteten.

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Drei Wochen vor dem endgültigen Fall Siziliens, als dort noch erbittert gekämpft wurde, erwartete der Duce den Führer zu einer Lagebesprechung in der Villa Feltre. Hitler erschien mit einem Stab hochmütiger Offiziere und blieb viel kürzer, als geplant. Mussolini drängte auf Friedensfühler mit Sowjetrußland, da er erkannt hatte, daß die Anglo-Amerikaner mit ihm nicht verhandeln würden und die eigene Bevölkerung kaum mehr bei der Stange gehalten werden konnte. Hitler aber war sich bereits im klaren darüber, daß er nirgends mehr Chancen hatte. Deshalb forderte er von Mussolini schärfstes Durchgreifen im eigenen Lager, Straffung des Widerstandes, wo es noch ging, und die Bereitschaft, nötigenfalls eine Abwehrfront irgendwo quer durch Italien zu akzeptieren. Diese sollte den Deutschen Zeit geben, mit neuen Vernichtungswaffen die britische Insel zu zerstören, während die Russen an den Flußübergängen der Ukraine verbluteten.

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Mit Mühe konnte Generalstabschef Ambrosio zwei neue deutsche Divisionen für die Schlacht in Sizilien durchsetzen, der Führer schien diesen Verbänden von vornherein nur den Riegel am Ätna und die Deckung des deutschen Rückzuges anvertrauen zu wollen. Dagegen forderte er, daß sich die italienischen Truppen auf der Insel ähnlich wie die Deutschen bei Stalingrad benehmen sollten, obwohl dies bereits in Tunesien ohne den erhofften Zeitgewinn versucht worden war. So ließ der Duce in tiefer Niedergeschlagenheit seinen illustren Gast ziehen, zumal soeben die Nachricht vom Luftbombardement Roms eingetroffen war. Mussolini flog etwas später mit seiner Militärmaschine in die Ewige Stadt zurück, die ihn schon von weitem mit gewaltigen Brandwolken begrüßte.

Beim Anflug überdachte er noch einmal die eigene Situation: Die Masse der italienischen Bevölkerung war von Haß gegen die Deutschen erfüllt, wünschte Brot und sofortigen Frieden. Mussolini konnte dies durchaus verstehen und suchte nach einem Weg, das Schicksal der Partei und seine eigene Zukunft Von den unbeugsamen Deutschen zu trennen. Aber dem stand jene Proklamation Roosevelts und Churchills entgegen, die am 17. Juli über zahlreichen Städten Italiens abgeworfen worden war und die Vernichtung des Faschismus zur Vorbedingung eines Frontwechsels gemacht hatte.

Man mußte also den Faschismus zu ändern trachten, um verhandlungsfähig zu werden. Im Lichte dieser Erkenntnis bereute es Mussolini zunächst keinen Augenblick, daß er kürzlich die Einwilligung zum Zusammentritt des Großen Faschistenrates gegeben hatte, der seit 1939 nicht mehr einberufen worden war. Prominente Gesinnungsgenossen hatten ihm nämlich erklärt, man müsse dem Ernst der Lage Rechnung tragen und eine Wiedergeburt der Partei versuchen, um mit ihr die Krise zu bestehen.

Bis dahin blieben zwei Tage, die noch Gelegenheit zu einer Aussprache mit dem König, den Militärs und den Parteileuten ließen. Victor Emanuel, den Mussolini am nächsten Morgen aufsuchte, war außergewöhnlich nervös und unfreundlich. Er erklärte rundheraus, daß weder das Volk noch die Armee den Kampf gegen die Alliierten und das Benehmen der Deutschen im Lande länger aushalten könnten. Mussolini erklärte sich bereit, das Land bis zum 15. September 1943 aus dem Bündnis mit Berlin ehrenvoll zu lösen. Kurze Zeit später erschien der alte Faschistenführer Dino Grandi beim Duce. Er war nach Rom gekommen, um im Großen Faschistenrat eine besondere Rolle zu spielen und hielt mit seinen Absichten nicht hinterm Berg. Dem entsetzten Mussolini wurde klar, daß Grandi nichts weniger als eine neue, nationale Regierung und die Wiedereinsetzung des Königs in seine stillgelegten Rechte als Oberbefehlshaber forderte. Nun fiel es dem Duce wie Schuppen von den Augen: Da bestand also schon eine Art Verschwörung in der eigenen Partei, wahrscheinlich auch ein Komplott in der Umgebung des Königs und eine Fronde innerhalb des Offizierskorps! Genraistabschef Ambrosio hatte sich in letzter Zeit mehrmals verdächtig gemacht, der nach dem griechischen Feldzug hinausgeworfene Marschall Badoglio war bereits im Quirinalspalast gesehen worden. Jetzt galt es, sich im Großen Faschistenrat durchzusetzen. Alles andere mußte warten!

Am Samstag, den 24. Juli, um 17 Uhr, als die größte Hitze im Abklingen war, versammelten sich die Ratsmitglieder im Palazzo Venezia. Der großdeutsche Rundfunk hatte auf diese Sitzung in Unkenntnis der Situation feierlich hingewiesen, alle italienischen Radiostationen bezeichneten das Ereignis als entscheidend für den Schicksalskampf der Achse, die schließlich in alter Frische triumphieren sollte.

Der Palast war von der Leibgarde des Duce, verstärkt durch Alarmabteilungen der Polizei, besetzt. Mussolini hielt eine großangelegte Rede, verlangte Sondervollmachten, wollte schärfer denn je vorgehen und eine neue Generalmobilmachung durchsetzen, bekannte sich zur Verantwortung für den Krieg und seine Zielsetzungen. Aber der müde italienische Diktator war kein Hitler, der Faschistenrat kein Deutscher Reichstag.

Grandi erhob sich, lehnte Mussolinis Forderungen in einer ebenso großen Rede ab und brachte eine Gegenresolution ein. Parteisekretär Scorza verlangte daraufhin voll Angst die Vertagung des Rates, aber Grandi schrie ihn nieder. Auch der Schwiegersohn Mussolinis, Graf Ciano, erinnerte den kochenden Duce an die Meinungsverschiedenheiten, die zwischen ihnen bereits in der Außenpolitik offenbar geworden waren und verlangte vom Duce, daraus die Konsequenzen zu ziehen. Um 2 Uhr nachts wurde abgestimmt. 19 wagten für Grandi zu votieren, nur 7 für Mussolini. Zwei alte Kämpfer enthielten sich der Stimme. Der Duce schloß mit bittersten Vorwürfen die Sitzung und. rannte grußlos aus dem Saal. Die anderen zerstreuten sich eiligst, um in versteckten Winkeln der Stadt unterzutauchen. Überall brummten die Motoren der Überfallskommandos durch die nächtliche Stille.

Fast zur selben Stunde ließ der Herzog von Acquarone in seiner Eigenschaft als Minister des königlichen Hauses den Generalstabschef Ambrosio wissen, daß der vorgeplante Termin gekommen sei. All das, was am 20. Juli 1944 in Berlin, Wien, Paris und anderswo hätte glücken müssen, geschah in der Nacht des 24. Juli 1943 in Rom. Königstreue Polizei- und Armeeeinheiten besetzten die Telephonzentralen, das Innenministerium, wichtige Verkehrsknotenpunkte und die Residenz, ohne daß jemand viel davon bemerkte. Am Sonntag, dem 25. Juli, ging die Sonne über den Ruinen der Antike und über den Trümmern des Bombardements vom Wochenanfang auf und Mussolini fuhr ins Amt. Gegen Mittag verließ er seine Diensträume, um die gebombten Viertel zu besuchen, nachdem eine neuerliche Besprechung beim König für 17 Uhr vereinbart worden war. Pünktlich fuhr der Duce zum Sommersitz Victor

Emanuels weiter, ließ die Wagen seiner Leibgarde vor dem Tor warten und passierte den Innenhof mit Erstaunen, da er überall Carabinieri auf Posten sah.

Der König trat ihm mit einladender Geste entgegen, trug allerdings Marschallsuniform... Mussolini glaubte daher, ihn mit der Zurückgabe des Oberbefehls beruhigen zu können und bot ihm diese Konzession an. Doch freundlich und gelassen gab ihm der kleine Victor Emanuel zu verstehen, daß auch alle anderen Dienste des Duce ab sofort nicht mehr nötig seien. Er, der König, verbürge sich für das persönliche Wohlergehen des Entlassenen, der zweifellos im Augenblick zu den unpopulärsten Menschen Italiens zähle...

Mussolini wankte treppabwärts, direkt in die Arme eines Carabinieri-Hauptmannes, der ihn zu jenem Ambulanzauto eskortierte, in dem die mit der Festnahme betrauten Kriminalbeamten warteten. Eine Stunde später beauftragte der

König Marschall Badoglio mit der Bildung eines Kabinetts aus Generälen und Beamten, am Abend erfuhr es die Welt über Radio Rom. Wir wissen heute, daß Mussolini nach dem Abschied von Hitler in der Villa Feltre nur eine Chance hatte, die ihn vor dem moralischen Sturz ins Bodenlose bewahrt hätte: Der Duce hätte Italien, der Welt und den Deutschen öffentlich erklären müssen, daß sein Volk nicht mehr weiterkönne und sofort die Waffen niederlegen müsse. Er hätte Hitler öffentlich bitten müssen, Italien aus dem Bündnis zu entlassen und sich hinter den Brenner zurückzuziehen. Dann hätte er, Mussolini, aller Macht entsagen und die Schweizer Grenze überschreiten müssen. Möglich, daß er etwas ähnliches für den 15. September in Erwägung zog, jedenfalls zögerte er zu lange.

Die Regierung Badoglio stand, mit Ausnahme der persönlichen Konsequenzen, vor einer nicht weniger schwierigen Aufgabe. Aber auch der Marschall und seine Mitarbeiter scheuten den kühnen Sprung nach vorne und verlegten sich auf diplomatische Kunstgriffe. Schleunigst wurde den Deutschen die Waffentreue zugesagt, der neue Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten, Guariglia, traf sich am 6. August 1943 mit Ribbentrop in Norditalien. Sicher hat Guariglia die Deutschen ebenso bestürmt, Wunder zu wirken oder mit dem Krieg Schluß zu machen, wie Mussolini dies bei Hitler getan hatte. Aber ein

Unterschied bestand doch: Die Italiener ' berichteten gleichzeitig in Lissabon dem britischen Botschafter, warum sie mit dem Dritten Reich noch einige Zeit gut Freund sein müßten, und die Deutschen schickten jetzt bereitwilligst Division auf Division nach Italien. Dies freilich aus ganz anderen Gründen, als etwa zur gemeinsamen Verteidigung Siziliens. Hitler hatte bereits einen Tag nach dem Fall des Duce in einer Lagebesprechung erklärt, er werde nicht nur den Übertritt Italiens ins feindliche Lager verhindern, sondern auch das faschistische Regime wiederherstellen und Mussolini in seine alten Rechte einsetzen. Zum 60. Geburtstag des Duce am 29. Juli 1943 schickte er ihm allerdings nur Nietzsches Gesammelte Werke in einer Prunkausgabe, doch bis Mitte August standen acht deutsche Divisionen unter Feldmarschall Rommel in Norditalien, zwei Divisionen kreisten Rom ein und sechs Divisionen bereiteten sich im Süden unter Feldmarschall

Kesselring auf neue Kämpfe mit den Anglo-Amerikanern vor. 20 weitere Divisionen, die von der russischen Front nach Frankreich verlegt worden waren, standen für künftigen Bedarf zur Verfügung. Demgegenüber wurde die Position der Regierung Badoglio von Tag zu Tag schlechter. Der faschistische Parteiapparat war zwar kurzfristig gelähmt, aber nicht tot, die Opposition gegen Mussolini stand hingegen ohne wirkliche Anhängerschaft da. Die Generalität, die liberale Aristokratie und die Grundbesitzer wurden von den Massen abgelehnt, nur die Kirche bot einen gewissen Halt. Sonst schien alles in ein rotes Meer zu versinken, sogar die wiedererwachenden Faschisten bewegten sich rapide nach links. Während die Polizei in den Straßen mit Kommunisten raufte, besetzten deutsche Dienststellenleiter Posten auf Posten in Verwaltung und Industrie.

Badoglios Sendboten rangen in Lissabon, in Tanger und im alliierten Hauptquartier fieberhaft um die Aufnahme Italiens ins westliche Lager, offerierten militärische Leistungen, zu denen sie nicht mehr fähig waren, und forderten die Landung von anglo-amerikanischen Invasionsarmeen, welche die Alliierten ihrerseits nicht im Entferntesten zusammenkratzen konnten. Die Engländer und die Amerikaner, die von den Italienern die bedingungslose Kapitulation forderten, sahen sich in die lächerliche Position gedrängt, ihrerseits dauernd Bedingungen anhören zu müssen, die sie an die eigenen Schwächen erinnerten: Badoglio wollte wenigstens Rom gesichert wissen, wenn er den Waffenstillstand unterschrieb.

Innerlich widerstrebend, aber von Churchill gedrängt, gaben die Amerikaner nach und stellten hiefür entsprechende Kräfte zur Verfügung, obwohl sie bereits mehrere Divisionen aus der afrika-nisch-sizilianischen Aktion für den Rücktransport nach England freigegeben und auch größere Bomberverbände in Tunesien dem gleichen Zweck gewidmet hatten. Deshalb erfuhren die Italiener niemals Genaueres über die alliierte Stärke und es kostete Eisenhower einige Selbstverleugnung, dem letzten italienischen Unterhändler, General Castellano, durch General Bedell Smith eine amerikanische Luftlandedivision für die Besetzung Roms zu garantieren.

Damit hatten die Italiener ihre früheren anglo-amerikanischen Feinde endlich weich bekommen und Castellano kehrte nach Rom zurück, wo die Spannung aufs höchste gestiegen war. Deutsche Panzerspähwagen und Fallschirmjägertrupps zeigten sich in den Vororten, die Machtergreifung durch ein neues, extrem faschistisch-deutschfreundliches Kabinett unter dem

Parteisekretär Farinacci lag in der Luft. Schleunigst machte Castellano kehrt und unterschrieb am 3. September abends in einem Olivenhain bei Syrakus die alliierten Waffenstillstandsbedingungen. Einige Stunden früher waren die Vorausabteilungen der 8. britischen Armee, von Messina kommend, bei Reggio di Calabria an Land gegangen und hatten sich vorsichtig ins Innere gewagt.

Die nächsten Tage mußten große Entscheidungen bringen, zumal das Waffenstillstandsabkommen nicht lange geheim bleiben sollte. Das alliierte Hauptquartier erwartete die ersten Zusammenstöße italienischer und deutscher Truppen. Am 7. September 1943 ließ sich der Kommandeur der 82. US-Luftlandedivision, General Taylor, auf ebenso abenteuerliche Art nach Rom schmuggeln, wie dies Badoglio mit seinen Emissären für die Waffenstillstandsverhandlungen gewohnt war. Taylor hoffte, alle Flugfelder der Ewigen Stadt in königstreuer Hand zu finden, wurde jedoch enttäuscht. Um 2 Uhr nachts traf er mit einem erschöpften Badoglio zusammen, der ihm eingestehen mußte, daß die bevorstehende Operation der Amerikaner überall auf deutschen Widerstand stoßen würde. Im Gegenteil, Badoglio wollte den Waffenstillstand nicht veröffentlichen und dem Bruch mit den Deutschen möglichst lange aus dem Wege gehen.

Taylor verschwand wütend, seine Luftlandedivision wurde vor ihrem Abflug gestoppt.

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