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Digital In Arbeit

Für den Frieden kämpfen ist mehr als demonstrieren

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Mein Bekannter arbeitet in einer Fabrik, die an einem Theater für Südamerika mitgebaut hat - eine Tätigkeit, die wohl an der Spitze jener Leistungsliste steht, an deren Ende sich Waffenlieferung findet.

Doch halt: kein Vertrag mit dem Besteller und künftigen Betreiber hat die ausschließliche Aufführung von Bert Brechts Stücken gesichert, so daß die Gefahr besteht, daß auch Klassiker, Opern oder gar Operetten in jenem Ge-

bäude gezeigt werden, die eine politische Bewußtseinsbildung nicht fördern.

Also doch ein verwerflicher Export? Und Lastwagen, Lebens- ^ mittel, Textilien, Papier nicht?

Es wird klar, daß nicht die Ware, nicht einmal ihre Anwendung, sondern nur deren Endzweck — im Kontext eines durchgehenden, an den Taten und Unterlassungen erkennbaren Menschenbilds — die Exportliste bewerten läßt.

Doch halt - wieso eigentlich nur Exportliste, wieso Produktionsfirmen, wieso deren Bedienstete, wieso also die Letztlieferer, die Endexpedienten? Und wieso nicht die Zulieferer der Hersteller, die Infrastrukturleistungen, die erst die Arbeit der Waffenfabrik ermöglicht?

Wieso, um beim Beispiel zu bleiben, wird wohl der Direktor samt seinem Aufsichtsratvorsit-zend^n und der Mechaniker einer Panzerfabrik moralisch diffamiert, aber nicht die Opernsängerin samt dem Orchesterpersonal, ja auch die Volksschullehrer, die Post-, Finanz- und Bahnbeamten, die jene bedienen und auf Umwegen von deren Einkünften leben?

Kurzum: wer eine ernstzunehmende moralische Instanz sein möchte, muß mehr Trauer-, Denk- und politische Arbeit leisten, als sich in Permanenz einen österreichischen Waffenproduzenten publizistisch-polemisch vorzunehmen.

In einem vorbereitenden Fernsehinterview konnte Andrė Heller nicht verstehen, daß jemand nicht zu seiner Stadthallen-Friedensshow kommt; daß jemand womöglich „zu Hause sitzt und einen Roman schreibt…"

Soviel Intoleranz (abgesehen von selbstverstäoIilich stets entschuldbarer Inkompetenz!) will also jetzt plötzlich Frieden stiften?

Denn ein hehreres, heiligeres, tiefergreifendes Thema tut es wohl nicht? Ich respektierte immer grundsätzlich auch Illusionisten, Irrationalisten und Artisten als ganz legitimen Aspekt innerhalb der menschlichen Gesellschaft - wenn diese aber Alleinvertretungsansprüche erheben, habe ich Angst um die von ihnen vertretene Sache, insbesondere dann, wenn ich diese auch zuinnerst als meine Sache betrachte.

Ich respektiere den Marxismus, sogar sehr. Nur leider respektiert er mich nicht, er bedroht mich nur. Und zwar so massiv, daß ich ihn nicht nur respektieren, sondern todernst nehmen muß!

Solange es Aggression und Imperialismus als ideologisches Programm gibt, solange die Mehrheit der Menschen zwar (ihren) Frieden will, aber sich weder selbst noch durch ihre Führer mit den Eigenschaften, die Voraussetzung für den Frieden sind, auseinandersetzt, solange individuelle und kollektive Wahnvorstellungen theoretisch und praktisch das Dasein anderer vernichten, wird grundsätzlich Verteidigung gerechtfertigt bleiben.

Erst heute plötzlich gegen Atombomben zu protestieren -ohne vorher jemals an sich selbst oder für andere Ordnung errichtet zu haben! — ist zu spät und zu, seicht.

Es beweist Ahnungs- und Phan-tasielosigkeit, die noch stets denen die Anhängerschaft gebrächt haben, die zweifelhafte Gewaltakte entfesselt haben. (So etwa, als wollte man dem Leitartikel auf den Seiten 1 und 2 die Entrüstung über Scheidungsstatistik, Gattenmorde und Kindesmißhandlungen glauben, obwohl auf Seite 3 Pornographie und auf Seite 5 Emanzerei proklamiert werden).

Wer schon immer gegen Denkungenauigkeit, ideologische Un-terschleife, polemische Politik, gesellschaftliche Untugend, moralische Schlamperei, menschliches Unrecht und persönliche Versündigung aller Tage und allen Ortes stand und steht, war und bleibt in der Minderheit bis zur Einsamkeit!

Es war gewiß nicht Mangel an Erleuchtung oder Radikalität -für beides gibt es überwältigende, alle Zweifel ausschließende Zeugnisse — die den Gründer der christlichen Kirche das Gleichnis vom ungerechten Mammon wählen ließ, mit dem man sich Freunde schaffen soll.

Warum sagte er nicht: es dürfe überhaupt keinen ungerechten Mammon geben? Warum gebot er nur die kluge Verwendung irdischer Güter? Warum sagte er nur, daß der Christ in seinem Einflußbereich die Mittel gerecht und menschenfreundlich verwenden soll, kündigte aber nicht eine irdische Systemvollkommenheit an, innerhalb derer es keinen ungerechten Mammon mehr geben wird?

Weil er kein Illusionist war! Weil er damit bis ?um Ende der Geschichte eine unbillige wohlfeile Harmonisierung ausschloß.

Sich selbst mitschuldig, ungerecht, ratlos, hinfällig und demütig zu fühlen wäre ein produktiver Stachel für die gebotene Denkarbeit und Umkehr. Alles pharisäisch-Plakative ist strukturkonform.

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