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Digital In Arbeit

Für eine Änderung des Gesellsdiaftsredits

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Die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in der Wirtschaft kann unter sehr vielen Gesichtspunkten diskutiert werden, wie in den letzten Jahren auch die umfangreiche Literatur zu diesem Themenkreis zeigt. Hierbei können humanitäre, sozialpolitische, gesellschaftspolitische, arbeitsrechtliche, organisationsrechtliche, vermögensrechtliche Fragen im Vordergrund stehen — um nur die wichtigsten Möglichkeiten zu nennen —; Diskussion und Reformbestrebungen können weiters primär an der Verwirklichung eines Maximums an individueller Freiheit für den einzelnen Arbeitnehmer oder primär an der Stärkung des Einflusses der Arbeitnehmervertretungen orientiert sein.

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Die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in der Wirtschaft kann unter sehr vielen Gesichtspunkten diskutiert werden, wie in den letzten Jahren auch die umfangreiche Literatur zu diesem Themenkreis zeigt. Hierbei können humanitäre, sozialpolitische, gesellschaftspolitische, arbeitsrechtliche, organisationsrechtliche, vermögensrechtliche Fragen im Vordergrund stehen — um nur die wichtigsten Möglichkeiten zu nennen —; Diskussion und Reformbestrebungen können weiters primär an der Verwirklichung eines Maximums an individueller Freiheit für den einzelnen Arbeitnehmer oder primär an der Stärkung des Einflusses der Arbeitnehmervertretungen orientiert sein.

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Im folgenden soll Mitbestimmung als Problem individueller Freiheit und der Unternehmensorganisation diskutiert werden.

Im Rahmen der (staatlich) organisierten Gesellschaft kann dem Anspruch des einzelnen auf Verwirklichung individueller Freiheit sowohl durch Gewährung und Sicherung einer vom Staat und von anderen Organisationen mit Zwangsmitgliedschaft freien Sphäre, das heißt durch Freiheit vom Staat Rechnung getragen werden. Dieser kann aber auch durch Einräumung individueller Mitwirkungsrechte im staatlichen Bereich, das heißt durch Freiheit im Staat und über diesen hinausgehend in anderen Organisationen des gesellschaftlichen Lebens, realisiert werden. Auf die Probleme der Realisierung von Freiheit in organisatorisch nicht erfaßten Lebensbereichen und der Einschränkung individueller Freiheit durch informelle gesellschaftliche Zwänge soll hier nicht eingegangen werden, doch ist deren Bestehen zumindest anzumerken.

Die Verwirklichung der Mitbestimmung am Arbeitsplatz und in der Unternehmung zielt somit erstens auf Schaffung von mehr Freiheit Innerhalb eines Bereiches der organisierten Gesellschaft, nämlich der Unternehmung; die demokratischen Einrichtungen im staatlichen Bereich werden hierbei in Analogie herangezogen, weshalb gelegentlich auch von „Demokratisierung“ der Arbeitswelt gesprochen wird. Freiheit innerhalb der gesellschaftlichen Organisation, in unserem Fall Innerhalb der Unternehmung, wird also durch Mitwirkung des Arbeitnehmers bei der Gestaltung seines Arbeitsverhältnisses und darüber hinausgehend bei Entscheidungen über grundsätzliche Fragen der Betriebsführung sowie der unternehmerischen Disposition angestrebt.

Neben dieser auf „Demokratisierung“ zielenden Forderung, die Freiheit durch materielle Mitgestaltung zu verwirklichen trachtet, kann der individuelle Freiheitsraum innerhalb der Unternehmung aber auch durch formelle, nämlich Verfahrensvorschriften, erweitert werden, welche den Arbeitnehmer durch ein System von checks and balances, wie Erfordernisse gewerkschaftlicher Zustimmung, Einführung von Fristen usw., gegen ihm unangenehme Anordnungen schützen sollen. Stellt sich im ersten Fall die Frage nach der sachlichen Kompetenz zur Mitwirkung an Entscheidungen, so stellt sich im zweiten die nach der noch tragbaren Zeitdauer der Verzögerungseffekte. Der Verwirklichung individueller Freiheit in der Unternehmung durch Mitbestimmung sind deshalb Grenzen gesetzt. Dafür wird der individuelle Freiheitsraum allerdings durch Freiheit von der im Unternehmen organisierten Gesellschaft ergänzt, etwa im Rahmen der heute durch Verkürzung der Arbeitszeit ständig steigenden Freizeit oder durch die Freiheit der Arbeitsplatzwahl und des Arbeitsplatzwechsels, welche durch Vollbeschäftigung und Umschulungshilfen heute nicht nur formell, sondern auch materiell gesichert ist.

Zweitens ist zu entscheiden, ob diese Freiheiten vom einzelnen persönlich, dem Muster der direkten Demokratie folgend, ausgeübt werden sollen und in welchen Fällen dies der Schutz von persönlichen Einzelinteressen erfordert; oder ob die Vertretung seiner Interessen durch Interessenverbände gesichert

werden kann und auf welcher Verbandsstufe diese genügt. Denn je größer der Verband, desto stärker ist zwar seine Durchschlagskraft, desto mehr differieren aber auch die Interessen der einzelnen Verbandsmitglieder untereinander, desto mehr wird das einzelne Verbandsmitglied in der Verfolgung seiner individuellen Interessen mediatisiert und desto größere Bedeutung erlangen die Eigenziele des Verbandes. Es ist deshalb für das Ausmaß der durch Mitbestimmung zu verwirklichenden individuellen Freiheit und für die Chance, Forderungen durchzusetzen, nicht unerheblich, ob Information und Mitwirkung an Entscheidungen des Unternehmens dem einzelnen Arbeitnehmer selbst zustehen, oder ob diese an eine Arbeitspartie, den in einem Teil des Unternehmens Beschäftigten gemeinsam, an den Betriebsrat für das gesamte Unternehmen, die Industriegewerkschaft, den Gewerkschaftsbund oder an eine parlamentarische Arbeitnehmervertretung, falls eine solche bestehen sollte, übertragen sind. Die Frage, wer zur Mitbestimmung berufen sein soll, kann deshalb nicht für alle Fälle einheitlich beantwortet werden, sondern nur im Hinblick auf die individuelle Differenzierung und die Schutzwürdigkeit von Einzelinteressen oder jener von kleineren oder größeren Personengruppen, auf die zur Durchsetzung dieser Interessen erforderliche Verbandsmacht und auf den für die Entscheidungen im einzelnen Fall erforderlichen Sachverstand.

Bei Verwirklichung der Mitbestimmung muß deshalb drittens vorerst entschieden werden, für welche Informationen und Entscheidungen der Unternehmung unmittelbar schutzwürdige Interessen des einzelnen bestehen und in welchem Umfang diese anzuerkennen sind, sowie welche Gruppen Interessen zu berücksichtigen sind. Es wird hierbei zweckmäßig sein, zumindest zwischen Mitbestimmung in die persönlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers betreffenden Angelegenheiten, in allgemeinen sozialen Fragen, in Fragen der Betriebsorganisation und in Fragen der Unternehmenspolitik zu unterscheiden. Soll Mitbestimmung der Verwirklichung individueller Freiheit dienen, so wird der Gesetzgeber mehr als bisher die Mitbestimmung als Individualrecht auszugestalten haben. Nur wenn der einzelne Arbeiter oder Angestellte als Person in den innerbetrieblichen Entschei-dungsprozeß einbezogen wird, kann seiner heute so häufig beklagten Entfremdung wirksam entgegengewirkt werden. Die Interessen des einzelnen Arbeitnehmers dürften sich hierbei unmittelbar vorwiegend auf die Gestaltung der persönlichen Arbeitsverhältnisse, soziale Fragen und auf ihn direkt betreffende Angelegenheiten der Betriebsorganisation richten.

Viertens muß in allen Angelegenheiten, für die eine Mitbestimmung seitens der Arbeitnehmer vorgesehen ist, deren Inhalt und Umfang näher bestimmt werden. Soll es sich um Information handeln, also um Mitwissen, um Mitbenatung, um Mitentscheidung oder auch um Mitverantwortung? Auch diese Frage kann nicht für alle Angelegenheiten gleich beantwortet werden. Je stärker der einzelne Arbeitnehmer persönlich unmittelbar betroffen ist, um so stärker und anspruchsvoller wird sein Wunsch nach Mitbestimmung

sein, um so mehr dürfte er allerdings auch bereit sein, Mitverantwortung zu tragen. Denn auch aus der Sicht des einzelnen Arbeitnehmers gilt der Satz, daß nur das mitverantwortet werden kann, was bewußt, in Kenntnis der Konsequenzen, mitentschieden worden ist.

Eine eingehende Analyse der heute vorliegenden Konzepte, die zur Verwirklichung der Mitbestimmung entwickelt wurden, würde den Rahmen dieser Studie bei weitem sprengen. Allein für Österreich füllen die erarbeiteten Konzepte ohne Kommentar einen Band von 250 Seiten1.

Zum ersten kann festgestellt werden, daß heute die Tendenz zur Realisierung individueller Freiheit in der Gesellschaft mittels „Demokratisierung“ möglichst vieler Lebensbereiche stärker ist als die Be-

strebungen, individuelle Freiheit von der Gesellschaft durch Stärkung und Ausdehnung der dem Individuum verfassungsmäßig garantierten

Grund- und Freiheitsrechte zu sichern. Dies ist auch eine der Wurzeln für die nachdrücklich erhobene Forderung der Arbeitnehmer und ihrer Organisationen nach betrieblicher Mitbestimmung. Dort allerdings, wo die Interessengegensätze zwischen Management oder Kapital und der Arbeitnehmerschaft für unüberbrückbar angesehen werden, wird nicht in der Mitbestimmung, sondern im verstärkten Interessenkampf die Zukunft gesehen. Dies gilt insbesondere für orthodoxe Vertreter der marxistischen Lehre vom Klassenkampf, für welche Mitbestimmung der Arbeitnehmer in der kapitalistischen Unternehmung in erster Linie als Instrument des Klassenfeindes zur Schwächung des solidarischen Bewußtseins der Arbeiterklasse und damit zur Rettung der bürgerlich ^kapitalistischen Gesellschaftsordnung gelten muß. Aber auch westliche Gewerkschaften, die von den Grundsätzen der Marktwirtschaft und einer freiheitlichdemokratischen politischen Ordnung ausgehen, stehen der ausschließlich direkten Mitbestimmung des einzelnen Arbeitnehmers in seinem Betrieb vielfach skeptisch gegenüber, da diese den Betriebsegoismus zu fördern geeignet ist und der Arbeitnehmer einem persönlichen Konflikt zwischen der Loyalität zu seinem speziellen Unternehmen und der zu seiner Gewerkschaft ausgesetzt werden kann.

Daneben sollte jedoch auch nicht übersehen werden, daß durch Mitbestimmung der Arbeitnehmer die Freiheitssphäre der von dieser passiv betroffenen Unternehmer und Kapitaleigentümer eingeschränkt wird, so daß eine gegenseitige Abgrenzung der Interessen erforderlich bleibt. Schließlich werden durch Mitbestimmung der Arbeitnehmer gelegentlich auch Interessen dritter Personen berührt, so etwa dann, wenn die Arbeitnehmervertreking der Einstellung, der Gehaltsvereinbarung oder der Wohnungsvergabe an einen neu aufzunehmenden Ar-

beitnehmer zustimmen muß, soll der beabsichtigte Arbeitsvertrag rechtswirksam werden. Gerade am Extremfall eines closed shop zeigt sich besonders deutlich, daß eine radikal verwirklichte Mitbestimmung der in einem Betrieb bereits Beschäftigten nicht das Maß an allgemeiner individueller Freiheit, welches in einer Gesellschaft verwirklicht ist, erhöhen muß.

Zum zweiten ist eine Tendenz zur Mediatisierung des einzelnen Arbeitnehmers zu beobachten,. da sich das Recht zur Mitbestimmung vielfach auf Organisationen und Verbandsfunktionäre verlagert, die eine größere Distanz zu den individuellen Arbeitsverhältnissen und den einzelnen Unternehmungen aufweisen. Auch die persönliche Stellung des Betriebsrates, der am Arbeitsprozeß

nicht mehr teilnimmt und nur selten in diesen zurückzukehren gezwungen ist, unterscheidet sich in zunehmendem Maße von der Situation der von ihm Vertretenen. Häufig werden Agenden der Mitbestimmung aber auch an Stelle des Betriebsrats von der Fachgewerkschaft wahrgenommen. Dies liegt zwar insbesondere dort nahe, wo Mitbestimmung ein über den Betrieb hinausreichendes technisches oder wirtschaftliches Fachwissen erfordert, die Inter-essenslage dieses neuen Entscheidungsträgers kann sich von der des einzelnen Arbeitnehmers jedoch stärker unterscheiden als die des Managements seiner eigenen Unternehmung.

Zum dritten ist Mitbestimmung in personellen und sozialen Fragen heute bereits weitgehend verwirklicht; sie gewinnt allerdings weiter an Gewicht, weil sich in diesem Bereich die Mitsprache tendenziell zur Mitentscheidung und weiters zur Bindung des Unternehmers an die Zustimmung der Arbeitnehmervertreter entwickelt. Da auch Interessen dritter Personen, wie etwa bei Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses, hiervon berührt werden, steht einem Gewinn an Freiheit seitens der in einem Unternehmen bereits Beschäftigten ein Freiheitsverlust auf Seiten des Arbeitgebers, aber auch Außenstehender gegenüber. Aber auch die individuelle Freiheit der Beschäftigten kann eingeschränkt werden, falls Mitbestimmung in persönlichen und sozialen Angelegenheiten nicht von ihnen selbst, sondern durch betriebsfremde Funktionäre ausgeübt wird.

Die Forderung nach Mitbestimmung wird heute aber auch für Entscheidungen, welche die Gestaltung des Produktionsprogramms, die Preis- und Absatzpolitik und die Unternehmensfinanzierung betreffen, erhoben. Zwar stehen hier vorerst der Wunsch nach Information und Mitberatung im Vordergrund. Doch wird auch die Mitentscheidung vielfach als wünschenswert erachtet, während Mitverantwortung, insbesondere die Teilnahme am unternehmerischen Risiko, fast ausnahmslos als nicht praktikabel abgelehnt wird.

Damit Ist viertens die Qualität der angestrebten Mitbestimmung angesprochen. In Ländern, in denen sich die Vertretungen der Arbeitnehmer ernstlich an einer umfassenden Mitbestimmung interessiert zeigen, wird fast ausnahmslos die Mitentscheidung angestrebt, wenngleich mehr Information und Mitberatung vielfach die kurzfristig zu verwirklichenden Zwischenziele sind. Bei Mitentscheidung stellt sich aber ganz allgemein die Frage, wie diese mit Mitverantwortung kombiniert werden kann. Denn zumindest voll gleichberechtigte Beteiligung an Entscheidungen ohne Mitverantwortung kann es schon deshalb nicht geben, weil dann für den nicht verantwortlichen Partner das für jede Entscheidung erforderliche Korrektiv der Haftung fehlen würde und weil der allein verantwortliche Partner allein das volle Risiko aus allen Entscheidungen zu tragen hätte, in extremen Fällen allenfalls sogar dann, wenn er diese Entscheidungen selbst nicht billigt. .

Es ist deshalb zu prüfen, durch welche Rechtsinstrumente Mitbestimmung und angemessene Mitverantwortung am besten verwirklicht werden können. Es erhebt sich hierbei die Frage, ob die Arbeitsverfassung der Unternehmungen, das heißt das Arbeitsrecht, den besten Ansatz zur Verwirklichung einer Mitbestimmung bietet, die über personelle und soziale Fragen hinausgeht. Wäre es nicht systematisch richtiger, Mitentscheidung und damit auch Mitverantwortung, sofern diese allgemein verwirklicht werden sollen, durch eine Reform des Gesellschaftsrechts zu ermöglichen? Dies würde auch der Tatsache Rechnung tragen, daß eine derart qualifizierte Mitwirkung der Arbeitnehmer an unternehmerischen Entscheidungen vor allem für Großunternehmungen in Frage kämen, welche in einer Kapitalgesellschaft organisiert sind und bei denen unternehmerisches Management und Kapitaleigentum heute nicht mehr o eng verbunden sind, wie dies zu Beginn der industriellen Entwicklung allgemein der Fall war.

Individuum — Verbandshierarchie — Staat

Wirtschaftliche Interessenkonflikte zwischen den allgemeinen wirtschaftspolitischen Zielsetzungen des Staates, den Zielen der großen Interessenverbände und den Wünschen der einzelnen arbeitenden Menschen sowie der Konsumenten können in keiner Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung ä priori ausgeschlossen werden. Der Kompetenzabgrenzung in der Wirtschaft kommt deshalb allgemein und insbesondere bei Verwirklichung der Mitbestimmung für die Realisierung individueller Freiheit große materielle Bedeutung zu.

Wie unmittelbar soll der einzelne an der Entscheidung ihn persönlich betreffender Angelegenheiten mitwirken können? Wird individuelle Freiheit noch ausreichend verwirklicht, wenn die Interessen des einzelnen überwiegend nur noch mittelbar über Vertreter großer, mitgliederstarker Verbände zur Sprache gebracht werden können? Da im politischen Leben Einrichtungen der unmittelbaren Demokratie nur in wenigen Fäillen und in wenigen Staaten regelmäßig wirksam werden, wäre es da nicht angezeigt, die Mitbestimmung in der Wirtschaft möglichst als direktes Recht der unmittelbar Betroffenen zu konzipieren? Nur dann dürfte sie geeignet sein, die Entfremdung am Arbeitsplatz zu vermindern, individuelle Persönlichkeitsentwicklung nicht nur auf die Freizeitgestaltung zu verweisen, sondern auch ins Berufsleben hineinzutragen. Nur dann dürfte auch gesichert sein, daß Abhängigkeit vom Arbeitgeber nicht durch Abhängigkeiten von Verbandsfunktionären ersetzt wird.

Dennoch können die Interessen des einzelnen nicht verabsolutiert werden. Vielfach wird er auch nicht imstande sein, diese selbst wirksam zu vertreten und auch nicht über ausreichendes Fachwissen verfügen. Der einzelne Arbeitnehmer ist deshalb auf die Unterstützung durch seine Verbände angewiesen. Trotz Information und Weiterbildung der Arbeitnehmer werden die Verbände

dort ihre fachliche Vertretung zu besorgen haben, wo es dem einzelnen Arbeitnehmer an ausreichender fachlicher Qualifikation zur Wahrnehmung seiner Interessen mangelt oder wo individuelle Interessen so stark divergieren, daß nur der Verband für ihre einheitliche und damit wirksame Vertretung nach außen sorgen kann.

Dennoch sollten die Verbandsvertreter möglichst dem Kreis der unmittelbar Betroffenen angehören. Ist übergeordnetes Fachwissen erforderlich, so sollten die Vertreter der zentralen Verbände eher als Experten denn als Mitglieder in Gremien, die der Mitbestimmung dienen, mitwirken. Denn die Verbände selbst können weitreichende Eigeninteressen entwickeln. Der Förderungszweck zugunsten ihrer Mitglieder kann durch eigenes Machtstreben des Verbandes gegenüber anderen Interessengruppen, aber auch gegenüber den eigenen Mitgliedern konkurrenziert werden. Auch ist in privatrechtlich, auf Grundlage des Vereinsgesetzes organisierten Verbänden die demokratische Repräsentation der Mitglieder und die Bindung der Verbandsexekutive an den Willen der Verbandsmitglieder nicht ebensogut gesichert wie durch das Legalitätsprinzip für die staatliche Verwaltung.

Trotz Mitbestimmung verbleiben schließlich noch Aufgaben, die nur von der staatlich organisierten Gesellschaft bewältigt werden können. Der Staat muß weiterhin den rechtlichen Rahmen für die Wirtschaft schaffen und sichwn.

Mitbestimmung kann deshalb kein umfassendes und allgemein wirksames Instrument zur Lösung sämtlicher gesellschaftlichen Probleme der modernen industriellen Arbeitswelt sein.

Gesellschaftsrecht und Arbeitsverfassung

Soll Mitbestimmung Im Sinne der Mitentscheidung im Unternehmen verwirklicht werden, so stehen

rechtlich mehrere Ansatzmöglichkeiten zur Wahl.

Traditionell ist die Mitbestimmung im Arbeitsrecht geregelt, was darin begründet sein mag, daß ursprünglich die Durchsetzung der Mitbestimmung in Fragen der persönlichen Arbeitsverhältnisse sowie in sozialen Fragen als besonders vordringlich angesehen wurde. Die Ausdehnung der Forderung nach Mitbestimmung auf weitere, für die Entwicklung der Unternehmungen zentrale unternehmerische Entscheidungen und die Entwicklung von Information und Mitberatung zur Mitentscheidung läßt es heute jedoch angezeigt erscheinen, diesen neuen Forderungen nach Mitbestimmung, wenn überhaupt, dann jedenfalls im Gesellschaftsrecht Rechnung zu tragen. Denn ihre Erfüllung würde die für die Organisation der betroffenen Unternehmungen geltenden Prinzipien und die gesellschaftsrechtlichen Verhältnisse selbst grundlegend verändern. Es würde der Rechtssystematik widersprechen und viele Gestaltungsmöglichkeiten, insbesondere auch der Probleme der Verantwortlichkeit und Haftung, verbauen, wenn der Versuch unternommen würde, die Wirkung grundlegender Normen des Gesellschaftsrechts durch arbeitsrechtliche Vorschriften entscheidend zu verändern.

Eine Regelung der Mitentscheidung und Mitverantwortung der Arbeitnehmer in der Unternehmung durch Änderung des Gesellschaftsrechtes würde überdies Ansätze zur Lösung anderer, derzeit nicht voll befriedigend geregelter Probleme des Gesellschaftsrechts bieten. Solche sind etwa die Kontrolle der Geschäftspolitik internationaler Großunternehmungen und Konzerne, die Stellung des Staates als Alleinaktionär, das Bankenstimmrecht, die Entmachtung der Hauptversammlung im geltenden Aktienrecht und der Umfang des Verfügungsrechtes des Kapitaleigentümers. Es könnte auch besser der Tatsache Rechnung getragen werden, daß Verfügungs-

macht und Eigentum im Fall der modernen, großen Kapitalgesellschaft heute weitgehend getrennt sind. Auch ist die Struktur vieler Großunternehmungen, für die Mitbestimmung vor allem zur Diskussion steht, heute dadurch gekennzeichnet, daß der Leitung der Unternehmungen durch das Management die Produktionsfaktoren Kapital, Arbeit und allenfalls noch spezialisiertes Fachwissen, auf welches auch der technische Fortschritt zurückzuführen ist, gegenüberstehen, und daß auch auf die Interessen der Allgemeinheit Rücksicht genommen werden muß.

Es wäre deshalb zu prüfen, ob der Mitentscheidung und Mitverantwortung der Arbeitnehmer in Kapitalgesellschaften nicht am besten durch eine Änderung des Gesellschaftsrechts Raum gegeben werden sollte. Es könnte sich etwa die Hauptversammlung paritätisch aus Vertretern der Kapitaleigentümer und aus in direkter Wahl aus dem Kreise der Arbeitnehmer bestellten Belegschaftsvertretern zusammenzusetzen haben. Die Aufnahme voll stimmberechtigter Arbeitnehmervertreter in die Hauptversammlung und die damit verbundene Schwächung der Position des Kapitals würde auch der veränderten Stellung des Nur-Kapitalisten sowohl in den großen Kapitalgesellschaften als auch in der modernen Industriegesellschaft

überhaupt entsprechen und gleichzeitig nahelegen, die Befugnisse der Hauptversammlung wieder auszudehnen.

Der Aufsichtsrat dieser Kapitalgesellschaften könnte sich ja zu einem Drittel aus Vertretern der Kapitaleigentümer, der Arbeitnehmer und aus Kapital- und Arbeitnehmervertretern gemeinsam zu bestellenden Fachleuten zusammensetzen, die nicht der Belegschaft angehören dürfen; auf diese Weise könnten hervorragende Spezialisten auf den verschiedensten Fachgebieten institutionell an die Unternehmung gebunden und überdies für Belange

B|*^nter4j(sj^eft|Brüng in ,den Aufsichtsräten gesorgt werden'. Die Auf nähme von interessenpolitisch nicht gebundenen Fachleuten als voll stimmberechtigte Mitglieder in die Aufsichtsräte der Kapitalgesellschaften würde auch die Prüfung aller fachlichen Gesichtspunkte sowie die Bildung von Mehrheiten bei Beschlußfassung erleichtern und könnte auch geeignet sein, einem extremen Betriebsegoismus entgegenzuwirken, falls die gemeinsamen Interessen von Kapital und Arbeit im Unternehmen denen der Allgemeinheit widerstreiten. Da den Forderungen nach Mitbestimmung auf diese Weise entsprochen wäre, müßte auch die Entscheidungsfreiheit des Vorstands aus diesem Grund keine neuen Einschränkungen erfahren und seine Fähigkeit zu schnellen und durchgreifenden Dispositionen bliebe voll erhalten.

Für die Arbeitnehmer hätte diese Art, die Mitbestimmung gesetzlich zu regeln, den Vorteil, daß ihnen tatsächliche Entscheidungs- und Kontrollrechte eingeräumt werden und sie in allen wichtigen Fragen mitentscheiden können. Durch die Drittelparität im Aufsichtsrat wäre für veränderliche Mehrheiten unter Berücksichtigung sachlicher Erfordernisse der Unternehmung gesorgt. Die Verantwortlichkeit der Arbeitnehmer und ihrer Vertreter wäre gegeben, ohne daß die von diesen zu vertretenden Risken unzumutbar groß sein müßten.

Darüber hinaus würden durch diese Regelung zumindest einige der anderen, offenen gesellschaftsrechtlichen Probleme einer befriedigenderen Lösung nähergebracht. So hätte auch dann, wenn der Staat einziger Aktionär ist, die Hauptversammlung noch ihre volle Funktion zu erfüllen. Eine klare Abgrenzung der von einer verstaatlichten Aktiengesellschaft zu erfüllenden hoheitlichen und erwerbswirtschaftlichen Ziele müßte im Gesellschaftsstatut vorgenommen werden, womit auch eine rechtliche Grundlage für die Berücksichtigung öffentlicher Interessen zu Lasten der Unternehmung gegeben wäre. Unternehmungen, die im aus-

ländischen Eigentum stehen, würden ohne diskriminierende Sonderregelungen stärker zur Beachtung der Interessen des Gastlandes verhalten; es wäre fraglich, ob überhaupt noch von ausländischen Unternehmungen gesprochen werden könnte. Auch die Problematik des Bankenstimmrechts würde entschärft. Die von kapital-mäßigen Verflechtungen von Unternehmungen erhofften Vorteile könnten genutzt werden, obwohl gleichzeitig die Gefahr der Ausübung unkontrollierter Wirtschaftsmacht durch Großkonzerne entscheidend vermindert, wenn nicht beseitigt würde.

Freilich würde auf diese Gesellschaften die Bezeichnung „Kapitalgesellschaft“ nicht mehr voll zutreffen. Denn das Kapital hätte als bloß einer der beiden entscheidenden Produktionsfaktoren seine Herrschaft über die Unternehmung mit dem Faktor Arbeit zu teilen; die englischen Bezeichnungen „Corporation“ oder „limited Company“ oder die französische Bezeichnung „so-ciete anonyme“ wären zweifelsohne zutreffender. Eine Änderung des Eigentumskonzeptes selbst, wie es etwa der österreichischen Bundesverfassung zugrunde liegt, wäre meines Erachtens jedoch nicht erforderlich, da die aus dem Eigentum fließenden Befugnisse an sich nicht bereits dadurch geändert werden, daß der Kapitaleigentümer aus freien Stücken mit anderen Rechtssubjekten in besondere Rechtsverhältnisse, die im Gesellschaftsrecht vorgebildet sind, eintritt. Auch das geltende Gesellschaftsrecht kennt Unternehmensformen, bei denen die Stellung des Kapitaleigentümers, wie etwa die des Kommanditisten in der Kommanditgesellschaft, diesem nur sehr beschränkte Einflußnahme erlaubt. Der Forderung nach Mitbestimmung der Arbeitnehmer würde jedoch in einer der Organisation und der Funktionsweise von Unternehmungen entsprechenden Art Rechnung getragen.

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