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Für eine Ethik der Medizin

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Der rasante Fortschritt auf dem Gebiet der medizinischen Wissenschaft hat zunehmend eine Fülle von rechtlichen und ethischen Fragen ausgelöst, die nicht mehr allein von der Medizin ausgetragen und gelöst werden können.

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Der rasante Fortschritt auf dem Gebiet der medizinischen Wissenschaft hat zunehmend eine Fülle von rechtlichen und ethischen Fragen ausgelöst, die nicht mehr allein von der Medizin ausgetragen und gelöst werden können.

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Spektakuläre Ereignisse aus dem Bereich medizinischer Praxis fuhren nur allzu oft zu einer oberflächlichen und selten rational ausgetragenen Diskussion.

Ein Symposium „Medizin-Ethik-Recht”, das am 4. und 5. Juni 1993 an der Wissenschaftlichen Landesakademie in Krems stattfand, hatte eine interdisziplinäre Diskussion dieser Fragen durch namhafte Fachleute aus den Bereichen Medizin, Ethik und Recht zum Ziel.

Der Nestor der Internen Medizin, Karl Fellinger, zeigte in der Einleitung den medizinischen Wandel der von ihm persönlich erlebten letzten 60 Jahre auf, indem er auf die Spannung zwischen technischem Fortschritt in Form von deutlich gesteigerten Behandlungsmöglichkeiten und erhöhtem kritischem Bewußtsein von Patienten hinwies. Dies griff der Medizinhistoriker Dietrich von Engelhardt (Lübeck) in einem brillanten Uberblick über medizinethische Positionen der letzten 2000 Jahre auf und strich die Wichtigkeit einer klaren Sprache heraus, um die weitverbreitete Vermischung zwischen Ethik, Psychologie, Soziologie und Recht zu vermeiden.

Es ginge um eine Kultur des Umganges mit Gesundheit, Krankheit und Sterben. Gerade von Ärzten werde Ethik oft fälschlich mit Bevormundung und Einmischung von außen identifiziert, wohingegen sich ethische Reflexion doch als Erkenntnis der kulturellen Bedingtheit von Handlungsmaximen und -begründungen geradezu als Entlastung von übersteigerten Erwartungen darstelle. Wie wichtig auch eine Unterscheidung insbesondere zwischen Ethos des Arztes und ethischen Begründungen ist, stellte sich in den folgenden Referaten heraus.

Michael Neumann, Präsident der Österreichischen Ärztekammer, wies auf die europäischen Wurzeln unserer Medizin hin und warnte vor unkritischer Übernahme amerikanischer

Tendenzen. Dies wurde von Erich Loewy (Chicago) anhand einer Kritik des Marktwesens amerikanischer Prägung in der Medizin noch unterstrichen. Die Käuflichkeit medizinischer Versorgung hält er für ethisch unbegründbar und gerade am Beispiel der USA auch hinsichtlich der Kosten des Gesundheitssystems für verhängnisvoll.

Zu allen Themen wurde der so notwendige, aber erwartungsgemäß nicht immer spannungsfreie Dialog zwischen Ärzten, Pflegepersonal, Ethikern und Juristen geführt. So stellte der Sozialrechtler Wolfgang Mazal eine Verbindung zwischen Demokratisierung und Verrechtlichung des Gesundheitssystems her. Die Diversifizierung der Gesundheitsberufe mache eine rechtlich fundierte Definition der Rollen nötig, ohne die das Problem der Verantwortung bei zunehmender Teamarbeit im Gesundheitswesen der Handhabbarkeit entgleiten könnte. Es gehe um gleichzeitige Wahrung von Freiheit und Sicherheit, wofür bei zunehmender Entfremdung und Vertrauens verlust eben auch die Jurisprudenz benötigt werde.

Klare Begriffe notwendig

Das Problem des Todes im Rahmen der Intensivmedizin und Transplantationsmedizin wurde vom Intensivmediziner Karl Steinbereithner, dem Neurologen Eduard Auff, dem Herzchirurgen Felix Unger und von der Vertreterin der Pflegeberufe Marianne Kriegl diskutiert. Auch hier zeigte sich wieder die Notwendigkeit zu weitgehend noch nicht vorhandener begrifflicher Klarheit. So wurde beispielsweise nicht zwischen Todesdefinition und Kriterien zur Feststellung des Todes unterschieden, worauf die unweigerliche und von Werthaltungen beeinflußte Verwirrung folgte. Ist etwa „Hirntod” eine Neudefinition des Todes oder die Einführung eines neuen Kriteriums zur Feststellung des Todes?

Der Biochemiker Hans Tuppy und der Strafrechtler Einhard Steiniger behandelten die Frage der Normen wissenschaftlicher Forschung, wobei das Dilemma der Freiheit biomedizinischer Forschung und der Notwendigkeit rechtlicher Bindungen in Fragen des Eingriffs in das Leben zur

Sprache kam: Kann oder soll jede ethisch noch nicht ausdiskutierte Frage durch rechtliche Normen ersetzt werden? Der Pathophysiologe Meinrad Peterlik plädierte für eine wissenschaftlich fundierte Ausbildung der Mediziner im Gegensatz zu rein praktischem Erlernen des Handwerkes, worin er auch eine ethische Dimension sieht, indem Kompetenz zu verantwortlichem Handeln nur dadurch zu erwerben sei.

Professor Peter Kampits, Leiter des Zentrums für Ethik und Medizin, faßte den Tenor der Veranstaltung in der klaren Einsicht zusammen, daß Österreich dringend eine sachliche und wissenschaftlich fundierte Auseinandersetzung mit Themen der Medizinethik besonders im postgradualen Bereich benötige.

In Krems findet im Herbst 1993 ein Postgradualer Lehrgang Medizin-Ethik-Recht mit internationaler Beteiligung statt. Anmeldungen sind noch möglich. Information: 02732/70545/ 400,401.

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