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Für einen Traum

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Er hörte nicht auf zu hoffen, obwohl er, klaren Blickes, die kleinliche Selbstsucht xind die zähe Trägheit der Welt - und besonders dieser kleinen Wiener Welt -wie kaum ein zweiter erfaßte. Rund um ihn bastelten die Gleichaltrigen und die Jüngeren an ihren Karrieren, setzten mit matter Geschmeidigkeit, raunzend und nörgelnd, zuweilen liebedienerisch schweigend, das Räderwerk ihres Aufstiegs in Bewegung. Er betrachtete sie, all diese kleinen Seelen, mit einem Mitleid, dem

die Härte nicht fehlte, durchschaute sie und blickte über sie hinweg: auf das Ziel, das ihn irgend einmal in der Jugend bezaubert hatte.

Er wollte, daß die Welt schöner sei als sie ist. Er glaubte daran, daß sie menschlicher sein könnte, vernünftiger, liebevoller, großzügiger und gerechter. Aber im Ausdruck der Augen lag, unter dem Glanz der Zuversicht kaum verborgen, auch ein Schatten der Skepsis.

Es gab oft Grund genug, am glücklichen Ausgang einer guten Unternehmung zu zweifeln, an der Ubermacht der Umstände zu ' verzweifeln, und es kostete Mühe, an den Hoffnungen, den Planungen, den Visionen festzuhalten. Manchmal blieb gar nichts anderes übrig als die Zuflucht zur Bewegung des Barons Münchhausen: sich selbst am Schopf zu pak-ken und aus-dem Sumpf emporzuziehen.

Jörg Mauthe ist tot. Man muß den Satz wiederholt aussprechen, um ihn zu begreifen. Die Gestalt ist so lebendig, daß sie uns daran hindert, der bösen Nachricht zu glauben.

Er war krank. Er wußte, daß er sterben würde. Er war stark genug, um, im Freundeskreis, zur Ermutigung der anderen, diesen Zustand zu schildern und von den Nächsten ruhig Abschied zu nehmen. Er hatte genügend Kraft, sich der Fürsorglichkeit, aber auch der betäubenden Gifte des Spitalsaufenthaltes zu entziehen. Zuweilen erinnerte er sich an seine Großmutter, die im Bett gestorben war, in dem sie ihre Kinder empfangen hatte. Jörg Mauthe starb daheim.

Uber sein Leben nachzudenken heißt: sich die verschiedenen Gebiete und Wirkungsmöglichkeiten eines einzigen, auf Vermenschlichung gerichteten Strebens in Erinnerung zu rufen.

Jörg Mauthe war Wiener, gebo-

ren im Jahr 1924, Sohn des unvergessenen Publizisten Hans Mauthe, der in seinen Leitartikeln in der „Neuen Freien Presse“ seinen Glauben an die Größe deutscher Kultur und seine Abneigung gegenüber Hitlers großdeutschen Größenwahn in kraftvollen Worten zu formulieren wußte. Das Elternhaus war im wahrsten Sinne des Wortes liberal. Und protestantisch. Jörg Mauthe hing nicht an seinem Lutheranertum, wohl aber an der christlichen Pflicht, der Herausforderung des Bewußtseins eines freien Willens durch Taten zu begegnen.

Er studierte Kunstgeschichte, wurde Publizist und war längere Zeit als Kunstkritiker der FURCHE tätig. Seine Beiträge gehörten zu den inhaltsvollsten, die in diesen Spalten jemals erschienen

waren. Sein Streben nach Vermenschlichung fand ein neues Betätigungsfeld im Studio des Senders Rot-Weiß-Rot, wo er gemeinsam mit Walter Davy, mit Peter Weiser, mit Ingeborg Bachmann, auch mit Helmut Qualtinger, Millionen von Menschen täglich erreichen konnte. Vom Jahre 1975 an vermochte er dann die Wirksamkeit seines Denkens als Programmplaner des Fernsehens weiter zu verbreiten.

Als „Watschenmann“ übersiedelte er nachher zum „Kurier“, ohne daran zu denken, sich den fragwürdigen Anforderungen der Boulevardpresse zu beugen. Er fand hier Raum, Banau-sentum zu bekämpfen, Schönheit

zu vermehren. Die Kampagne „Wir wollen Niederösterreich schöner machen“ stärkte das gerade erwachende Bedürfnis nach Verbesserung des Ortsbildes. Es gibt heute im größten Bundesland Österreichs viele Gemeinden, die ihre Erneuerung - und das heißt: die Rückbesinnung auf die gewachsenen Formen der Architektur — seiner Aktion verdanken.

Es konnte nicht ausbleiben, daß der ruhetos Tätige selbst zum Werkzeug griff. Nordwestlich von Krems, im Weitental, befand sich vor einer Burgruine ein verfallener Wohntrakt. Jörg Mauthe beschloß, ihn wiederherzustellen. Die Bauarbeiten blieben den Fachleuten überlassen, aber die Schindeln des Daches konnten in Handarbeit erzeugt werden. Gemeinsam mit seinen drei Söhnen

sorgte Jörg Mauthe selbst für die Überdachung der Mollenburg.

Die Verbindung zur ländlichen Umgebung erstarkte. Der Bauernmarkt, den Jörg Mauthe in Wien, auf dem Platz Am Hof, unter der Beteiligung seiner näheren und ferneren Nachbarn veranstaltet hatte, bleibt unvergeßlich.

Es war die Zeit, in der die Gespräche zwischen Jörg Mauthe und Erhard Busek inniger und intensiver wurden. Sie formten sich zur festen Freundschaft.

Das Problem vieler Schreibenden enthielt an diesem Punkt eine praktische Lösung. Der Schriftsteller, auch der Publizist, versucht, die Wirklichkeit zu erfassen und sie durch das Wort zu formen. Die Möglichkeit des direkten Eingriffs bleibt ihm freilich versagt. Der unbefriedigende Zustand erzeugt Spannung. In dieser liegen Quellen der Inspiration — aber auch der Tat. Das Beispiel des Schriftstellers Andre Mal-reaux, der als Kulturminister von Charles de Gaulle Bedeutendes zu bewirken wußte, spricht für viele. Der Wahlverwandtschaft zwischen dem sensiblen Politiker Erhard Busek und dem von seinen Visionen erfüllten Schriftsteller ist es zu verdanken, daß Jörg Mauthe als Stadtrat von Wien und als Herausgeber des von ihm gegründeten „Wiener Journals“ in den letzten Jahren die dichterische Vision in Tat und Wort in die Realität übertragen konnte.

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