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Für Freiheit und Frieden

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Der Dichter und Schriftsteller Reinhold Schneider, am 13. Mai 1903 in Baden-Baden gehören, könnte dieses Jahr den 70. Geburtstag feiern, wenn er nicht bereits am 6. April 1958 — es war gerade Ostersonntag — gestorben wäre. Nur 55 Lebensjahre waren diesem Manne beschieden, ihrer 30 waren in ungewöhnlich konzentrierter Weise einem schriftstellerischen Werk gewidmet, das in seiner Ideenfülle und -tiefe sowie in seiner prägnanten Formulierung einzigartig dasteht und noch weithin der Entdeckung und der Ausschöpfung harrt.

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Der Dichter und Schriftsteller Reinhold Schneider, am 13. Mai 1903 in Baden-Baden gehören, könnte dieses Jahr den 70. Geburtstag feiern, wenn er nicht bereits am 6. April 1958 — es war gerade Ostersonntag — gestorben wäre. Nur 55 Lebensjahre waren diesem Manne beschieden, ihrer 30 waren in ungewöhnlich konzentrierter Weise einem schriftstellerischen Werk gewidmet, das in seiner Ideenfülle und -tiefe sowie in seiner prägnanten Formulierung einzigartig dasteht und noch weithin der Entdeckung und der Ausschöpfung harrt.

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15 Jahre nach seinem Tod ist Schneiders Name auf der Liste der Neuerscheinungen und Bestseller zwar nicht mehr zu finden (nachdem immerhin 20 Bücher postum erschienen sind, darunter das bekannte Tagebuch „Winter in Wien“, 1958, das dieser Tage die neunte Auflage erlebte). Aber wer heute von der „christlichen Literatur“ der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts spricht, wird neben Paul Claudel und Georges Bernanos, T. S. Eliot und Graham Greene, neben Gertrud von le Fort, R. A. Schröder, Werner Ber-gengruen und anderen auch Reinhold Schneider nennen. Wenn wir „christliche Literatur“ als Epochenbezeichnung betrachten, so müssen wir freilich gestehen, daß diese Epoche (zwischen beginnendem Renouveau catholique und Zweitem Vatikanischem Konzil) zu Ende geht. (Schaper, Goes, Hausmann u. a. schreiben noch.)

Die jungen christlichen Dichter und Schriftsteller unserer Tage besitzen zu Leben und Welt, zu Glaube und Kirche, zu Kunst und schriftstellerischem Auftrag ein verändertes Verhältnis. Namen wie Heinrich Boll, Luise Rinser, Friedrich Dürrenmatt, Silja Walter, Kurt Marti, Ernesto Cardenal und Herbert Meier mögen das anzeigen. Aber hat sich nicht gerade ein Heinrich Boll in sei^ ner kritischen Haltung der Gesellschaft, dem Staat, der Kirche gegenüber auf Reinhold Schneider berufen? Und erinnert sich Luise Rinser im Wiener Stephansdom nicht an Schneiders „Winter in Wien“ und das darin artikulierte Heimatrecht von Zweifel und Skepsis selbst im Räume der Kirche? (Vgl. L. Rinser: Grenzübergänge, 1972, S. 28f.)

Mehr als andere Dichter seiner Zeit ist Reinhold Schneider dem heute geistig aktiven Christen nah und für den modernen Schriftsteller vorbildlich. Der Grund dieses Nachwirkens liegt in Schneiders Einheit von Leben und Werk. Sein Wort ist ein gelebtes Wort, die eigene Existenz steht dahinter. Es mag polare Spannungen innerhalb der 30jähri-gen schriftstellerischen Tätigkeit Reinhold Schneiders gegeben haben, immer aber galt sein Einsatz in christlicher Verantwortung dem Menschen und der Menschenwürde, der erhaltenswerten Tradition wie dem Fortschritt, der leiblich-irdischen und der geistig-seelischen Entwicklung und Vollendung der Mitmenschen, einem Leben in Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden. 1956 wurde dieser sein Einsatz mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geehrt.

Reinhold Schneiders Einsatz für Freiheit und Menschenwürde wird heute im ganzen deutschen Sprachraum und allmählich auch darüber hinaus beachtet und anerkannt, selbst in der DDR. Hier und in anderen Ostländern, wo man noch immer einfachster demokratischer und menschlicher Freiheiten entbehrt, wird heute sein Werk ähnlich wirken wie im Deutschland des Naziterrors und des Krieges: Als Trost im Leid, als Rettung vor der Verzweiflung, als Ermutigung zum Vertrauen auf die Vorsehung und Vatergüte Gottes, zum Durchhalten und

menschenmöglichen Widerstand gegen Unmenschlichkeit und Freiheitsberaubung. Die eben erschienene Studie des Ost-Berliner evangelischen Theologen Ingo Zimmermann „Der späte Reinhold Schneider“ (Freiburg, Herder 1973) erfüllt uns mit dieser Hoffnung.

Damals hat sich Reinhold Schneider nicht gescheut, die Soldaten und die Verängstigten in den Bomben-

kellern, die Kriegswitwen und -waisen zur inneren Umkehr, zu Gebet und Sühneleistung aufzurufen. Sein Trost und seine Hilfe bestanden im Hinweis auf das Kreuz und des Gekreuzigten Nähe im Leid. Ohne eine ähnliche Besinnung und Vertiefung wird man der Tragik und der Komplexität der heutigen Weitsituation in West und Os+ nicht gerecht. Für Millionen bedeutet das Ausharren unter dem Kreuze Christi die einzige Wirkmöglichkeit in politischer, militärischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Notlage und Unfreiheit.

Diese Vereinigung mit dem leidenden Christus führt zur inneren Freiheit, schafft die Bereitschaft für das Opfer. Ohne Verzicht und Opfer keine Christus-Nachfolge und keine Miterlösung der Welt in unserer Zeit. Reinhold Schneider hat das in der Lebensdarstellung verschiedener Heiliger, etwa des heiligen Franz von Assisi, nachgewiesen, aber auch am eigenen Leib erfahren. Der Selbstfindungs- und Selbstbefrei-

ungsprozeß der Völker und des Einzelmenschen muß erlitten, erdauert, erbetet werden. Freiheit realisiert sich nach Reinhold Schneider überall in der Geschichtswelt als Opfer.

So verstehen wir Ingo Zimmermann: „Der Christ, der nach dem Vorbild Christi das Heil der Welt suchen will, muß als .Sterbender' in der Welt sein; denn das Geheimnis der Inkarnation Christi, in dem die Erlösung verborgen liegt, ist das Geheimnis seines Todes für die Welt, seines Untergangs und Eingangs in Leiden und Tod der Welt im Verlauf der ganzen Geschichte“ (a. a. O 137).

Das Wort des Dichters erreicht auch die heutige Jugend, die Kinder und Enkel derer, die Reinhold Schneider noch persönlich gekannt haben. Wer sich ins Werk des Lyrikers, Erzählers und Dramatikers, des Essayisten und Geschichtsvisionärs vertieft, es braucht Ausdauer dazu, wird innerlich ergriffen den ewigen Fragen der Menschheit, aber auch den Problemen unseres Jahrhunderts begegnen und zu persönlichen Lösungen gelangen. Letztlich führt Reinhold Schneider immer zum Wort der Schrift, in die Nähe des allgegenwärtigen Herrn. Er ist Zeuge Jesu und der christlichen Weltschau in jedem seiner Bücher.

Was der Jugend imponieren mag: Reinhold Schneider wuchs aus klei-

nen Anfängen und in schwerer Zeit zu einer überragenden Persönlichkeit empor. Ehrlichkeit, Wahrhaftigkeit und die völlige Hingabe an die einmal erkannte Lebensaufgabe sowie ein starker Durchhalte- und Arbeitswille halfen ihm dabei. Innere und äußere Widerstände fehlten nicht. Es seien genannt: die Last der Schwermut, die es ein Leben lang zu tragen galt, die durch die Inflation der frühen zwanziger Jahre bedingte Armut (Reinhold konnte sich nach dem Abitur kein Universitätsstudium leisten, bildete sich jedoch privat in sprachlicher, literarischer, philosophischer und historischer Richtung aus), die Krankheit (seit dem 35. Altersjahr war jedes

Buch einem kranken Körper abgerungen), die Ungunst der Zeit (Naziterror; Entzug der Druckerlaubnis, aber Schneider veröffentlichte illegal, im „Underground“).

Reinhold Schneiders größtes Verdienst liegt für uns heutige Europäer wohl in seinem Glaubenszeugnis. Er hat die moderne religiöse und christliche Existenz nicht nur formuliert (vor allem in seinen letzten Büchern „Verhüllter Tag“, „Der Balkon“, „Pfeiler im Strom“ und „Winter in Wien“), sondern persönlich durchlit-ten und durchgehalten gegen alle

Anfechtungen aus dem Bereich der Naturwissenschaften, des Makro-und Mikrokosmos, einer umfassenden Geschichts- und Lebenserfahrung, gegen das unablässige Fragen des eigenen Herzens. Er hat die seelische Not vieler heutiger Menschen, das Schweigen, die Abwesenheit Gottes, Atheismus und Nihilismus von innen her gekannt und als „dunkle Nacht der Seele“ mitgetragen. Immer aber blieb er offen für das Gnadenlicht, das nie ganz fehlte und schließlich obsiegte. „Erheben wir die Verheißung des Kreuzes wider unser Herz!“ notierte er in Wien.

Das Kreuzesgeheimnis: nicht in blutiger Revolution, sondern im de-

mutigen und tapferen Durchhalten des Unabwendbaren liegt die Hoffnung auf die Veränderung der Welt, in der ständigen Evolution, in der Herzenserneuerung unter der Gnade.

„Der Christ ist gerüstet für die Welt und Zeit mit dem Helm des Heils, mit dem Schwert des Glaubens“, schreibt Reinhold Schneider. „Es ward ihm alles gegeben, dessen er bedarf. Um Wirkung und Sieg kann es ihm nicht gehen, das ist Gottes Sache, sondern nur um die Tat, das Leben der Liebe“ („Der Friede der Welt“, 1956).

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