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Für Freiheit und Solidarität
Geht die jetzige Entwicklung in Bosnien weiter, „stirbt Europa als eine Gemeinschaft, die auf Recht und nicht auf Gewalt gegründet ist", heißt es in einer Erklärung zum Abschluß eines mehrtägigen „Kirchengipfels" in Prag.
Geht die jetzige Entwicklung in Bosnien weiter, „stirbt Europa als eine Gemeinschaft, die auf Recht und nicht auf Gewalt gegründet ist", heißt es in einer Erklärung zum Abschluß eines mehrtägigen „Kirchengipfels" in Prag.
An der Moldau ging vom 7. bis zum 13. September ein hochkarätiges katholisches Europa-Treffen vor sich. 90 Bischöfe, davon neun Kardinäle, 45 Weltpriester, 18 Ordensmänner, 27 Ordensfrauen und 55 Laien, davon 22 Frauen, berieten in der tschechischen Hauptstadt über das Thema „Das Evangelium leben in Freiheit und Solidarität". Eine sechsköpfige Delegation der Konferenz Europäischer Kirchen (CEC) vertritt die anderen christlichen Kirchen.
Der Wert der Veranstaltung lag weniger in glanzvollen Schlußdokumenten als in der Atmosphäre dieser erstmals in diesem Umfang gelungenen Begegnung von geweihten und nicht geweihten Katholiken und Katholikinnen aus verschiedenen Teilen Europas. Man betete, sang, feierte Gottesdienst, aß und diskutierte eine Woche miteinander, sprach Gemeinsames und Trennendes an, tauschte teils stark voneinander abweichende Meinungen und Erfahrungen aus, sodaß bisweilen recht verschiedene Vorstellungen von der Kirche und ihrer Sendung aufeinanderprallten.
Dabei wurden keineswegs nur Gegensätze zwischen Ost und West spürbar, wie die Ausführungen der polnischen Soziologin Jolanta Ba-biuch und die Reaktionen darauf zeigten. Babiuch warnte die Bischöfe der Reformstaaten vor einer Rückkehr zu
den Bedingungen der vorkommunistischen Zeit und forderte, die Seelenrettung müsse vor der Stärkung der eigenen Strukturen rangieren. Der Posener Erzbischof Jerzy Stroba kritisierte, Babiuch habe aus „Sicht der Ungläubigen", nicht der Kirche gesprochen, und der Kölner Kardinal Joachim Meisner, einst Bischof in
der DDR, warf der Referentin vor, das Thema verfehlt zu haben, weil sie die Kirche nicht als Mysterium in den Blick bekommen habe.
Im Umfeld der Frage Kirche als Mysterium einerseits und als soziologische Größe anderseits wurden auch andere heiße Eisen angesprochen. Paul Becher, Präsident des europäischen Forums der nationalen Laienkomitees, artikulierte, daß für immer mehr Menschen Religion zur „menschen-
feindlichen Bindung, Kirche zur Bedrohung der Freiheit" geworden sei und ortete einen Mangel an innerkirchlichem Dialog. Die belgische Laienvertreterin Maria Martens beklagte Flügelkämpfe in der Kirche, sie vermißt Respekt, Liebe und Verständnis. France Delcourt, Europa-Vorsitzende der nationalen Vereinigungen der Ordensoberen (UCESM), plädierte für die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips statt eines autoritären Amtsverständnisses in der Kirche, der irische Jesuit Joseph Dargan (Generalsekretär der UCESM) forderte Bischöfe und Kleriker auf, sie sollten Laien nicht mehr in erster Linie als „Objekt ihres Dienstes" oder „bestenfalls als Helfer in kirchlichen Ämtern" sehen. Es war unverkennbar, daß im Nordwesten Europas vielfach anders gedacht wird als im Süden und Osten.
Der Prager Erzbischof Miloslav Vlk, Präsident des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen, zog als Gastgeber eine positive Bilanz des Treffens. Das drängendste Problem sieht Vlk im Krieg auf dem Balkan und in Teilen der ehemaligen Sowjetunion. Von Christen sei „unbeugsames politisches Handeln gefordert", das den Krieg beenden helfe. Für Vlk ist Freiheit Voraussetzung für Solidarität, umgekehrt sei dort, „wo Arbeit und Brot nicht geteilt werden", die demokratische Freiheit in Gefahr. Solidarität sei vielfach gefordert: durch zerstörerischen Nationalismus, durch Wanderungsbewegungen und wachsende Arbeitslosigkeit in Europa, die Bedrohung des Lebens und der Umwelt, die Neuverteilung der Lebenschancen zwischen Frauen und Männern sowie die Verantwortung Europas für eine weltweite Entwicklung.
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