6939878-1983_23_09.jpg
Digital In Arbeit

Für geeignete Aufklärung

19451960198020002020

Die Sexualwissenschaft könnte durch bessere Aufklärung die Abtreibungszahlen senken, so Bornemann. Aufklärung ist aber mehr als Information und diese Wissenschaft ideologiebeladen.

19451960198020002020

Die Sexualwissenschaft könnte durch bessere Aufklärung die Abtreibungszahlen senken, so Bornemann. Aufklärung ist aber mehr als Information und diese Wissenschaft ideologiebeladen.

Werbung
Werbung
Werbung

Es gibt ein tragisches Problem namens Abtreibung und alle — einerlei welcher Religion, Weltanschauung oder Partei wir angehören — müssen wir alles tun, um die Zahl der Abtreibungen herabzusetzen. Eines ist sicher: Eine Wiedereinführung der Strafe bringt nichts. Hierin bin ich mir mit dem steirischen Diözesanbischof Weber einig: Statt zu strafen, müssen wir erzieherische und flankierende Maßnahmen ergreifen, um Abtreibung unnötig zu machen.

Zwei der Maßnahmen, die vom österreichischen Gesetzgeber un-

ter anderem auch als Einrichtung Zur Abtreibungsprävention gedacht waren — der schulische Sexualunterricht und die Familienberatung —, haben versagt, obgleich alle beide höchst sinnvolle und unterstützenswerte Einrichtungen sind. Auch hat Ministerin Elfriede Karl völlig recht, wenn sie den Vorwurf zurückweist, die Familienberatungsstellen lieferten zu wenig Information über Empfängnisverhütung. Zu wenig sicherlich nicht — aber ist es die richtige Information? Wird sie von qualifizierten Beratern gegeben?

Der von allen Parteien gemeinsam erarbeitete Erlaß zur Sexualerziehung in den Schulen (1971) ist aus politischen Gründen niemals in die Praxis umgesetzt worden. Jede Partei fürchtet bis zum heutigen Tage, daß sie von den anderen Parteien der Jugendverführung beschuldigt werden könnte, wenn sie die ihr nahestehenden Schuldirektoren und Schullehrer veranlassen würde, den Kindern volle Aufklärung über Schwängerung und Verhütung zu geben.

In ganz Österreich haben ängstliche und irregeleitete Elternvereine Treibjagden auf die wenigen Lehrer veranstaltet, die den Erlaß ernst genommen und seriöse Aufklärung geliefert haben. Dazu kommt erschwerend, daß es an den Pädagogischen Instituten keine qualifizierte Ausbildung der Lehrer für den schulischen Sexualunterricht gibt, so daß die Lehrer mit Recht plädieren können, man dürfe nicht von ihnen verlangen, etwas zu tun, was man ihnen nie beigebracht habe;

170 Familienberatungsstellen gibt es in Österreich. Sie haben — zumindest auf dem Gebiete der Ehe- und Sexualberatung — versagt, weil das Familienberatungsförderungsgesetz die einzig quali fizierten, für den Zweck der Schwangerschaftsberatung ausgebildeten Fachleute ausspart. Zwar verlangt das Gesetz, daß in jeder Beratungsstelle ein Arzt und ein Sozialarbeiter zur Verfügung stehen muß, und daß ein Jurist und ein Psychologe verfügbar sein sollen — aber es verlangt nicht, daß die einzige für Fragen des Geschlechtsverkehrs und der Verhütung zuständige Sparte, die Sexuälwissenschafter, an erster Stelle in den Beratungsstellen tätig werden.

Untersuchungen in der Bundesrepublik Deutschland haben ergeben, daß gerade Ärzte, Psychologen, Juristen und Sozialarbeiter auf dem Gebiet der Sexualberatung besonders inkompetent sind — eine Inkompetenz, die jener von Psychiatern und Neurologen bei der Diagnose und Behandlung von Sexualtätern entspricht. Die Begutachtung solcher Fälle in die Hände von Neurologen oder Psychiatern zu legen, ist, als ob man Krebskranke zum Zahnarzt schickte.

Selbst wenn die in der Familienberatung tätigen Ärzte, Psychologen, Sozialarbeiter und Juristen den Wunsch hätten, sich sexualwissenschaftlich fortzubilden, ginge das nicht. Denn es gibt in ganz Österreich kein einziges offizielles Seminar, das Ärzte in Sexualmedizin ausbildet. Es gibt keine einzige offizielle Institution, die Sozialarbeiter für Sexualberatung ausbildet, keine Universität, die Juristen im Sexualrecht oder Psychologen in Sexualpsychologie ausbildet.

Die einzige österreichische Institution, die solche Fortbildungs kurse anbietet — die österreichische Gesellschaft für Sexualforschung —, tut das nur inoffiziell und nur für ihre eigenen Mitglieder. Sie hat seit Jahren versucht, die zuständigen Bundesministerien zu überzeugen, Hochschulab- teilungen, Lehraufträge und andere autorisierte Ausbildungskurse auf den Gebieten Sexualmedizin, Sexualpsychologie, Sexualpädagogik und des Sexualrechts einzurichten — bisher ohne jedes Echo.

Mit Ausnahme’der kleinen Abteilung für Fortpflanzungsbiologie und Sexualmedizin an der Universität Innsbruck gibt es in ganz Österreich keine einzige Lehrstätte für Sexualforschung. Das schlägt sich nicht nur in der wahrscheinlich höchsten Rate an Sexualstörungen in Europa nieder, sondern auch in der viel zu hohen Abtreibungsziffer.

Solange es in Österreich so wenige Sexualwissenschaftler und Sexualforscher mit Facherfahrung auf dem Gebiete der Abtreibungsprävention gibt, wird sich das auch nicht ändern. Und so bedauerlich Schwangerschaftsabbruch ist, stellt er doch nur eine kleine Facette der allgemeinen Vogel-Strauß-Politik Österreichs auf dem Gebiete der Geschlechterbeziehungen dar.

Solange der Wohlfahrtsstaat sich jedoch nur um die rechtliche und finanzielle Wohlfahrt des Staatsbürgers kümmert, die seelische und sexuelle Wohlfahrt aber völlig außer acht läßt, wird die Abtreibungsrate nur minimal sinken und das sexuelle Elend der Nation weiter wachsen.

Der Autor ist 1. Vorsitzender der öst. Ges. für Sexualforschung.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung