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Die Angst vor einem starken zentrali-stischen Europa, das von Brüssel aus gelenkt wird, erhält immer wieder neue Nahrung, wenn Politiker manchen Völkern in Osteuropa gute Ratschläge erteilen, sie wären gut beraten, sich nicht in kleinere Staaten aufzulösen, weil diese keine Chance hätten, in die EG aufgenommen zu werden.

Dabei übersieht diese Argumentation die Tatsache, daß Luxemburg mit seinen 2.586,4 Quadratkilometern viel kleiner ist als ein unabhängiger Staat Slowenien (20.251 Quadratkilometer) oder Slowakei (49.014 Quadratkilometer).

Der Regionalismus ist als politische Bewegung zur Erringung oder zum Ausbau von Regionalautonomie in Zentralstaaten zu sehen. „Der grundlegende Unterschied zum Bundesstaat liegt darin, daß hier am Prinzip der einheitlichen nationalen-Sou-veränität festgehalten wird und daß daher die Zuständigkeiten der Regionen vom Staat einseitig begründet und verändert werden können", meint der Innsbrucker Jurist Peter Pemthaler. Die in der Region gegebene „Selbstregierung" wird regelmäßig durch Aufsichtsrechte der Zentrale kontrolliert. Als Gegenbegriff zu Regionalismus sieht Pernthaler nicht den Föderalismus, das ist der umfassende Oberbegriff, sondern den Bundesstaat „als die wichtigste und höchstentwik-kelte staatsrechtliche Konkretisierung des allgemeinen politischen Strukturbegriffes .Föderalismus"." Der Bundesstaat ist also im Gegensatz zur Regionalautonomie ein System der Teilung der Staatsgewalt auf die zwei voneinander unabhängigen Ebenen des Zentral Staates und der Gliedstaaten.

Politisch umsetzbar erscheint ein Weg des Nebeneinanders von Regionalismus und auf den Bundesstaat hin orientiertem Föderalismus. Einerseits sind die Widerstände von nationalen Einheitsstaaten gegen echte Föderalisierung zu groß, andererseits ist der Prozeß der übergreifenden Föderalisierung bereits im Gang. Mutige Worte fand Bayerns Ministerpräsident Max Streibl anläßlich einer Tagung „Europa der Regionen" in Linz vorvergangene Woche: Die dort vorgeschlagene Formulierung des Subsidiaritäts-prinzips, wonach die Gemeinschaft tätig werden darf, wenn Ziele auf Gemeinschaftsebene „besser" erreicht werden können, sei eher geeignet zentralistische denn föderalistische Tendenzen zu fördern. Streibl im Originalton: „Das wäre genau das Gegenteil von dem, was wir wollen."

Normenpaket über Europa

Bei genauerer Betrachtung des Themas zeigt sich, daß durch das Begriffswirrwarr, an dem Politiker aller Couleurs maßgeblich beteiligt sind, niemand genau wissen kann, was letztlich wirklich gemeint ist. Würde den einzelnen Menschen in Europa gesagt werden, was der Föderalismus als Ordnungsmodell für Europa bedeutet und wie er wirken soll, ließe sich sinnvoll nach Entscheidungen suchen, ohne ununterbrochen entweder als Rückständiger oder als Problemüberseher verhöhnt zu werden.

Der Politologe Ferdinand Kins-ky aus Nizza definiert Föderalismus durch vier Grundprinzipien: - die autonome Selbstverwaltung untergeordneter Ebenen undGlied-

organisationen;

- vertraglich oder verfassungsgemäß geregelte Konfliktlösung unter Mitwirkung der betroffenen Ebenen und Gliedgruppen;

- Subsidiaritätsprinzip, das heißt die sachgerechte Machtverteilung nach oben und unten in einer Form, die das Eingreifen übergeordneter Instanzen erst dann ermöglicht, wenn die Dimension der zu lösenden Probleme (siehe Ullmann-Interview Seite 11) tatsächlich die Kapazitäten und Kompetenzen der autonomen Gliedorganisationen zu sprengen droht;

- die Partizipation und demokratische Mitbestimmung nicht nur der einzelnen Menschen, sondern auch der autonomen Gliedgruppen.

Einfach ausgedrückt bedeutet das: Je mehr Menschen in den Entschei-dungsprozeß miteinbezogen werden, desto größer ist die Motivation, sich zu beteiligen.

Damit wird der Schritt vollzogen, den Emst Deuerlein, einer der bedeutendsten Föderalismus-Experten aus der Bundesrepublik Deutschland, so ausgedrückt hat: „Föderalismus ist nicht eine Ideologie, etwa zur Verteidigung nicht mehr verteidigungs würdiger Einrichtungen in Staat und Gesellschaft. Föderalismus erschöpft sich nicht in der Teilung der Staatsgewalt in Gesamtstaat und Teilstaaten. Föderalismus ist so nicht ausschließlich ein Prinzip zur Bestimmung der verfassungsrechtlichen Verhältnisse zwischen Bundesstaat und Einzelstaaten. Föderalismus entsteht aus der Notwendigkeit des Menschen, seine Freiheit in größtmöglicher Form zu bewahren. Föderalismus erwächst aus dem Wunsch, die Wechselbeziehungen zwischen Individuum und Gesellschaft auszubalancieren, wobei das Recht des Individuums gewahrt und der Anspruch der Gesellschaft nicht geschmälert werden darf."

Das führt zwangsläufig zur Überlegung, daß von einem Recht auf regionale Eigenart als Ausfluß des Rechtes jedes einzelnen nicht nur auf Gleichheit im Recht, sondern auch auf Verschiedenheit bei der Selbstverwirklichung ausgegangen werde'n muß. Und genau an diesem Punkt setzt die Kritik an den zentralistischen Tendenzen aus Brüssel an. Ein Normenpaket wird über Europa gestülpt, das seine Richtigkeit in spezifischen Situationen der Region bei weitem nicht haben muß.

Die richtige Antwort auf die Herausforderung eines neuen Euopa kann nicht die Angst sein, nicht die Furcht, unterzugehen, sondern der Mut. den Perikles schon beschwor: „Seid überzeugt, das Geheimnis des Glücks ist die Freiheit. Das Geheimnis der Freiheit aber ist der Mut." Zum Mut gehört aber auch, im Bedarfsfall „Nein" zu sagen, weil man die Erfordernisse des Marktes, des Verkehrs und des Kapitalflusses nicht über die Selbstbestimmung stellen sollte.

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