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Für immer Fremde

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Man erinnere sich: mit Janit-scharenmusik, mit türkischem Prunk und Pomp wurden die heurigen Wiener Festwochen eröffnet. In Erinnerung an den Entsatz Wiens vor 300 Jahren.

Man erinnere sich: Max Frisch, der Schweizer Schriftsteller, prägte vor Jahren das heute schon geflügelte Wort: „Arbeitskräfte haben wir gerufen, Menschen sind gekommen.

Man erinnere sich: Einige Jahre vorher wurde durch 24-Bogen-Plakate versucht, den Wienern zum Gastarbeiterproblem Denk-

anstöße zu liefern: „I haß Kola-ric, du haßt Kolaric, warum sa-gen's zu dir Tschusch?"

Verlorene (Gastarbeiter-)Lie-besmüh.

Es sind Fremde und sie werden wohl immer Fremde in diesem Land bleiben.

Fremde zweiter Klasse.

Denn die Fremden erster Klasse, die brauchen wir ją für unseren Tanz ums Goldene Kalb, den Tourismus. Und türkische Touristen bringen ihre Lire ins Land, beleben das Straßenbild und - das ist das wichtigste - sie bleiben für maximal drei Wochen.

Ansonsten: Türken sind Türken, Türken sind unerwünscht. Haben wir vor 300 Jahren das Türkenproblem „gelöst" (mit Hilfe der Polen), so werden wir es wohl jetzt auch noch schaffen.

Erika Krasser, eine 28jährige Wiener Neustädterin, hat in einer Diplomarbeit am Geographie-Institut der Universität Wien die Situation der türkischen Gastarbeiter in ihrer Heimatstadt untersucht. Und bestätigte — wissenschaftlich — die Vorurteile von Frau und Herrn Österreicher.

Krasser sieht als Gründe für eine Migration ins Ausland: die mangelnde Tragfähigkeit einer Existenz als Landarbeiter oder Kleinbauer in der Türkei, den Aufbau einer sicheren Existenz nach Rückkehr in die Heimat, die Sicherung der Zukunft der Kinder und die Arbeitslosigkeit wegen fehlender industrieller Entwicklung des Herkunftgebietes.

„Die traditionellen Agrarregio-nen, aus denen ein Großteil der türkischen Arbeitnehmer stammt, sind durch ein Beharren der sozialen Strukturen und durch Denkweisen gekennzeichnet, die sich von denen einer technisierten Gesellschaft unterscheiden. So dominiert der hierarchische Aufbau, der Sozialstatus ist weitaus mehr durch Geburt und Privileg vorbestimmt als durch Arbeit und Anhäufung von Wissen, die sozialen Beziehungen, die auf sehr alten Vorbildern beruhen, sind ausgeprägter als in einer Produktionsgesellschaft" (Krasser).

Was den türkischen Gastarbeitern beziehungsweise den österreichischen „Gastgebern" Schwierigkeiten bereitet, ist auch der andere Arbeits* und Lebensrhythmus der Türken, die patriarchalische Form der Familie, eine andere Religion, eine andere Kultur.

Erika Krasser, ihr Gatte ist Türke und Opernsänger, sieht insgesamt vier Hauptprobleme der türkischen Gastarbeiter: „Die große kulturelle Distanz zu Österreich, das gefühlsmäßige Defizit unserer Gesellschaft, das geringe Sozialprestige der türkischen Arbeiter sowie die Sprachbarriere."

Gastarbeiter sind nur in einem kleinen Teil des „Berufsspektrums" zu finden. Vielfach in Berufen des Dienstleistungssektors oder dort, wo keine Österreicher gefunden werden können, weil zu wenig bezahlt wird, aus gesund-heitlicherv Gründen oder wegen des zu geringen Sozialprestiges.

Sie müssen die schlechtesten Berufe ausüben — und der Aufstieg wird ihnen mit allen Mitteln verwehrt. Ungelernte oder angelernte Hilfsarbeitertätigkeiten, „berechtigen" eben nicht zu einem Aufstieg.

Und in einer Studie aus dem Jahr 1972 über Innsbrucker Gastarbeiter heißt es: „... viele Fremdarbeiter sind nach der Schicht zu müde, um zu lernen, ferner fehlt ihnen das Vermögen und die Energie, systematisch geistig zu arbeiten..."

Qualifizierte Arbeitskräfte in Führungspositionen sind unter Gastarbeitern kaum zu finden.

Problembereiche für Gastarbeiter sind auch die Unterkünfte und Wohnungen. Ghettos werden gebildet, mit Massenquartieren und relativ hohen Mieten wird sehr oft die Wohnungsnot der Türken ausgenutzt.

Ghettos entstehen aber nicht nur am Wohnungssektor. Infrastrukturelle Einrichtungen, wie Geschäfte oder Lokale, sind ebenfalls mit dem Zeichen „Nur für Gastarbeiter" behaftet — und abgestempelt.

Kinder haben es besonders schwer. Sie sind in den Schulen aufgrund ihrer Sprachschwierigkeiten (im Vergleich zu den Eltern sind sie jedoch noch besser dran) benachteiligt. In ihrem Heimatland werden sie nicht mehr als „vollwertige" Türken akzeptiert.

Das Kainsmal „Ausländer" beginnt schon im zarten Kindesalter. So weigern sich manchmal Kindergärten, ausländische Kinder aufzunehmen.

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