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„Für Juden die Hundepeitsche..

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1. Dr. Drimmels Anliegen ist der Nachweis, daß der heftige Widerstand gegen Freud und seine Psychoanalyse sich aus dem Schockierend-Neuen seiner Erkenntnisse ergibt, daß es jener Widerstand ist, dem „jeder schöpferische Mensch“ (Hinweis auf Beethoven und Mahler) begegnet.

2. Näherhin und insbesondere geht es dem Autor (in polemischer Wendung gegen die Erfinder und Verbreiter eben jener „Anti-Freud- Saga“) um den Nachweis, daß an der feindseligen Haltung gegen Freud der Antisemitismus (insbesondere die „klerikalen Antisemiten“) keinen Anteil habe.

3. Um diese polemische Hauptabsicht seiner Argumentation zu untermauern, führt Dr. Drimmel andeutungsweise einige historische Fakten an.

Dazu gibt es einige Anmerkungen:

Der Widerstand gegen Freud ergibt sich zum überwiegenden Teil aus den Inhalten seiner Lehre und ihrer Wirkung auf eine prüde, verklemmte Umwelt (vgl. Stefan Zweig: Eros matutinus“), ja diese Umwelt ist die Voraussetzung für das Finden der Psychoanalyse.

Daß aber die stark antisemitische Haltung dieser Umwelt so gar keinen Anteil an den Zurücksetzungen gehabt haben sollte, die Freud widerfuhren, dem widerspricht einer, der es doch wissen müßte: Sigmund Freud. Um das zu belegen, genügt der Hinweis auf Vorbericht und Analyse des „Önkeltraumes“ aus dem Frühjahr 1897: Freud macht die wahrscheinliche Nichtbeförderung zum a. o. Prof, zu einer Folge „konfessioneller Rücksichten“.

Die Widersinnigkeit der „Anti- Freud-Saga“ soll deutlich gemacht werden durch den Versuch, jenen Zeitraum, in welchem sich die „wissenschaftliche Laufbahn“ Freuds entschied, historisch zu charakterisieren. Da es hier um Anerkennung oder Nichtanerkennung der Ergebnisse der Freudschen Forschungen geht, muß es sich also um die Zeit von der „Vorläufigen Mitteilung“ (1892) bis zur „Traumdeutung“ (1898 bzw. 1900) handeln. Dr. Drimmel führt nun an: „Es war die Zeit, in der Georg von Schönerer … den bekannten Publizisten und Historiker Heinrich Friedjung noch seinen geschätzten Connationalen nannte …“, er stellt die Juden Herzl, Schnitzler, Adler und Braun als nationale Burschenschafter vor und fügt die Behauptung an, der „herrschende Zeitgeist“ sei der des Liberalismus gewesen.

Betrachtet man diese Fakten genauer, so sieht das folgendermaßen aus: Schönerer und Friedjung waren politische Freunde um das Jahr 1882, spätestens 1885 hat der Antisemit Schönerer alle Juden aus seiner Partei vertrieben. Aber 1882 hat Freud eben seine Abschlußprüfungen bestanden und einen Posten im Allgemeinen Krankenhaus angenommen. Was trägt also die zitierte Freundschaft Schönerer-Friedjung zur Charakterisierung jener Zeit bei, in welcher Freud am Widerstand einer verständnislosen Umwelt zu leiden hatte?

Aber weiter! Herzl als nationaler

Burschenschafter: Herzl trat im Herbst 1881 in die „Albia“ ein (zu diesem Zeitpunkt existierte selbstverständlich die „Kadimah“ noch nicht; sie entstand 1882 und ihre Gründung wird am 23. März 1883 mit Erlaß der k. k. nö. Statthalterei genehmigt!); bereits am 7. März 1883 schreibt Herzl einen Absagebrief an die antisemitisch gewordene „Albia“ und wird> mit Mitteilung vom 3. April 1883 aus der Mitgliederliste gestrichen.

In der Entstehungszeit der Psychoanalyse ist Herzl bereits Korrespondent in Paris, und drei Jahre, bevor Freud die „Traumdeutung“ vollendet, entpreßt der Anprall des Antisemitismus dem assimilierten Juden Herzl den Aufschrei „Judenstaat“.

Und schließlich noch ein paar kurze Kostproben zur Korrektur des „herrschenden Zeitgeistes“ und zu den unschuldigen „klerikalen Antisemiten". Nachdem der Antisemitismus in Österreich seit 1848 in klerikalen und konservativen Organen überwintert hatte („Volksfreund“, „Wiener Kirchenzeitung", „Kapistran" und so weiter), wurde Anfang der achtziger Jahre der Theologieprofessor August Rohling zum Wortführer antisemitischer Hetze.

In den entscheidenden Jahren Freuds entstand eine breite und aggressive antisemitische Bewegung in Freuds näherere Umgebung. Einige Beispiele: Bei einer großen Frauenversammlung des Vereins „Christliche Familie“ in der Volkshalle des neuen Wiener Rathauses ruft Prinz Liechtenstein zum weihnachtlichen Boykott gegen die Juden auf: „… die ganze christliche Gesellschaft wird von einem fremden Volke vernichtet…“; in dieser Zeit erscheinen die ersten Hetzschriften (Ritualmord) des Pfarrers Deckert; am 24. September 1893 (in diesem Jahr veröffentlichten Freud und Breuer die „Vorläufige Mitteilung") sprechen auf einer Versammlung der Christlich-Sozialen in Krems Vergam, Monsignore Scheicher und Schneider gegen die Juden, wobei

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